Wieso? Weshalb? Warum?

Rezensiert von Kim Kindermann |
Dass Philosophie keineswegs nur etwas für Spezialisten ist, belegt der Philosoph und Journalist Roger-Pol Droit in seinem Buch "Wie ich meiner Tochter die Philosophie erkläre". Im Dialog mit seiner 16-jährigen Tochter zeigt er, dass Philosophie die Fähigkeit ist, zu fragen und nachzudenken.
Welchen Sinn hat mein Leben? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was hat es mit dem Tod auf sich? Was bedeutet Freiheit? Das sind Fragen, die jeden von uns beschäftigen. Oft tauchen sie sogar schon sehr früh auf, wenn man jung ist, als Kind oder Jugendlicher. Je mehr man von der Welt erlebt, umso spannender wird sie. Das "warum" eines kleinen Kindes, wird zu einer Idee über das Leben: Man beginnt nachzudenken, zu urteilen, seine Gedanken zu ordnen und mitzuteilen. Und letztendlich ist nicht mehr erforderlich, so sagt Roger-Pol Droit in seinem kleinen, schlauen Buch "Wie ich meiner Tochter die Philosophie erkläre", um mit der Philosophie zu beginnen. Denn Philosophie ist die Fähigkeit, zu fragen und nachzudenken. Nicht mehr und nicht weniger.

Diese wunderbar einfache Erklärung nimmt die Angst vor diesem großen Gebiet "Philosophie", das oftmals mit Unbehagen beäugt wird. "Wir erwarten schrecklich komplizierte Fragen, ein unverständliches Vokabular und Bücher, deren Titel wir nicht einmal verstehen", wie Roger-Pol Droit treffend den Zustand dieser großen Zunft beschreibt. Denn, seien wir ehrlich, Philosophie, so denken viele von uns, ist etwas für abgehobenen Spezialisten und nichts für die Allgemeinheit. Die Schriften dieser Gelehrten nehmen viele von uns daher nur mit Unbehagen zur Hand. Einfach, weil wir glauben, sie nicht zu verstehen. Aber wer so denkt, der vergibt sich ein großes Stück Freiheit. Und zwar die Freiheit, frei zu denken und sich darüber hinaus mit den mitunter merkwürdigen, unglaublichen und unerwarteten Ideen, die in den Köpfen anderer Menschen entstehen, auseinanderzusetzen. Und genau das ist unentbehrlich, sagt der Autor: "Diese geistige Offenheit macht die unerschöpfliche Kraft der Philosophie aus. Sie scheint mir unentbehrlich, da ich davon überzeugt bin, dass wir leben wie wir denken." Sein Buch widmet Roger-Pol Droit deshalb all denjenigen, die Fragen stellen und sich nicht mit den Antworten zufrieden geben.

Er, der Philosoph und Journalist, richtet sich mit dieser Widmung vor allem an die ganz jungen Leser und Leserinnen: er will ihr natürliches Potential, Fragen zu stellen und ihre Neugierde nutzen, um die Philosophie fernab aller Vorurteile in ihrer Einheit und Vielfalt verstehen zu lernen. Und das gelingt ihm hervorragend. In einem Dialog mit seiner 16-jährigen Tochter Marie arbeitet sich Roger-Pol Droit durch die spannende Geschichte der Philosophie. In vier kurzen Abschnitten erzählt er von ihren Anfängen, von ihren verschiedenen Denkrichtungen und ihren herausragenden Denkern.

So erfährt man etwa, dass es den Philosophen wie Platon anfangs darum ging, weise zu werden. Sprich eine andere Lebenshaltung zu gewinnen, um so der Suche nach Glück und Vollendung auf Erden möglichst nah zu kommen. Später dann aber wurde dieses Bestreben ersetzt: Fortan war der Traum der Philosophen nicht mehr die Weisheit, sondern die Wissenschaft. Nicht mehr das Dasein sollte sich ändern, sondern die Philosophie, sollte jetzt dazu dienen, Ideen wissenschaftlich und logisch zu begründen. Sprich für jede Frage, muss es eine logische und begründbare Antwort geben.

Das hört sich zunächst nicht ungewöhnlich an, doch es ist die Art, wie er all dieses Wissen vermittelt, die Roger-Pol Droit aus der Masse der Autoren hervorhebt: Nie doziert er! Das ist ganz wichtig. Er gibt die Antworten auf die Fragen seiner Tochter nicht einfach vor, sondern er sucht den Dialog und regt an, selber nachzudenken, selber die Antwort zu suchen. Damit katapultiert er seine Gesprächspartnerin und mit ihr seine Leser und Leserinnen direkt in die Tätigkeit des Philosophierens mit hinein. Ein genialer wie einfacher Zug. Dadurch dass wir mit überlegen, nachdenken, Antworten suchen und uns mitreißen lassen von seinem Enthusiasmus, betreten wir die Welt der Philosophen ohne Scheu.

Das beginnt schon mit der Suche nach der Erklärung, was Philosophie bedeutet. Roger-Pol Droit macht deutlich: Die wortwörtliche Übersetzung "Philosophie" gleich "Liebe zur Weisheit" zu kennen, reicht nicht aus, um wirklich zu wissen, was mit Philosophie gemeint ist. Vielmehr muss man, um Philosophie zu verstehen - analog zu einem fremden Land - hin reisen: Man muss Erfahrung sammeln. Implizit fordert er uns damit auf, hinter das Wort - wie überhaupt hinter alle Wörter - zu schauen und sich nicht mit der Worthülle zufrieden zu geben. Was ist eine Zahl? Was ist Schönheit? Was ist Mut?, fragt der Autor seine Tochter. Und indem er jede ihrer Antworten hinterfragt, erfährt man so Schritt für Schritt: Philosophie bedeutet, die Wahrheit einer Idee zu finden und zwar auf zahlreichen Gebieten wie etwa der Moral, der Politik, der Wissenschaft, der Kunst, der Logik, der Psychologie und der Geschichte. Eine Suche - das macht Droits Buch deutlich - die alles andere als langweilig ist. Denn hier diskutieren verschiedene Menschen miteinander, tragen ihre eigenen Sichtweisen zusammen, um sie anschleißend kritisch in ihre Einzelteile zu zerlegen und um eine einheitliche Antwort zu ringen. Dabei spielt die Sprache eine herausragende Bedeutung: Denn allein durch Wörter haben wir Zugang zu den Ideen, umso wichtiger ist es deshalb, dass wir uns richtig ausdrücken.

Das ist hoch spannend zu lesen und zeigt: Philosophie ist kein langweiliges, hochtrabendes Gerede. Vielmehr geht es lebhaft zu in dieser Zunft, in der bis heute die alten Theoretiker, wie etwa ein Sokrates oder Platon "aus dem Grab hinaus sprechen", wie der Autor es beschreibt. Und so kommen diese Männer aus dem Grab natürlich auch in seinem Buch zu Wort. Immer wieder gelingt es Roger-Pol Droit kleine, leicht verständliche Geschichten von Sokrates, Aristoles, Kant und Hegel einfließen zu lassen. Etwa die 2500 Jahre alte Geschichte von den Kindern, die den Zuckerbäcker dem Arzt vorziehen. (Eine Geschichte, die sinnbildlich für den Glauben an falsche Ideen steht.)

Das macht Spaß, ist eingängig und entmystifiziert die Denkanstöße dieser schlauen Männer. Allerdings ohne die Philosophie zu banalisieren. Vielmehr zeigt Droit: Weisheit ist kein verborgender Schatz, sondern etwas, das man schaffen und beweisen kann. "Letztendlich suchen die Philosophen nach der bestmöglichen Definition jeder Idee. Und unter diesen Definitionen suchen sie diejenige, die wahr ist." Folgerichtig geht uns alle diese Suche an, denn Ideen und ihre Umsetzung bestimmen unser aller Leben, Handeln und Verhalten. Erst wenn wir wissen, dass eine Idee wahr ist, können wir nach ihr leben. Dazu müssen wir aber jede unserer Ideen untersuchen, hinterfragen und immer wieder kritisch betrachten. Genau dazu regt Roger-Pol Droit mit seinem Buch "Wie ich meiner Tochter die Philosophie erkläre" an und das macht die Magie dieses kleinen, 96-seitigen Buches aus. Es ermuntert dazu, die Welt in all ihren Aspekten verstehen zu lernen.

Roger-Pol Droit: Wie ich meiner Tochter die Philosophie erkläre
Aus dem Französischen übersetzt von Hainer Kober
Hoffman und Campe, 2006
96 Seiten, 8,95 Euro