Wiener Weinseligkeit passé?
In Grinzing fließt der Wein. Der Winzerort, der zum teuersten Bezirk Wiens gehört, zieht Touristen busweise an. Und Immobilienspekulanten. Die haben aber wenig Interesse an Weinbergen. Langsam aber sicher weichen die Heurigen den Luxusvillen. Für die Einheimischen ist die Gemütlichkeit vorbei.
Fahrzeug um Fahrzeug mit Wiener Kennzeichen schiebt sich an diesem Freitagnachmittag über den Dorfplatz von Grinzing, dazwischen ab und zu ein Linienbus. In den Autos sitzen meist betuchte Neu-Grinzinger auf dem Weg nach Hause. Durch das Nadelöhr am Dorfplatz müssen sie alle. Es ist schick, in Grinzing zu wohnen. Davon profitiert aber nicht die Weinkultur Grinzings, sondern die Immobilienwirtschaft: Die Grundstückspreise sind in Wien gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich über sechs Prozent gestiegen, die für Eigentumswohnungen um fast zehn Prozent. Und Grinzing gehört zum 19. Bezirk, dem teuersten Wiens. Auch Weingärten kosten hier zehn bis 20-Mal mehr als in Niederösterreich, gleich nebenan, wo der Quadratmeter schon für 1 Euro 15 zu haben ist.
Anders als die viele Winzer hat Martin Lenikus das Geld, sie trotzdem zu kaufen - durchaus zum Wohle des Weins. 2007 hat der Immobilien-Entwickler Lenikus seine Liebe zum Weinbau entdeckt; mittlerweile hat er bereits 25 Hektar Rebflächen zusammengekauft und lässt die Trauben von einem professionellen Winzer verarbeiten. Im vergangenen Jahr hat er auch noch das historische Windhaber-Haus gleich am Dorfplatz gekauft und zu einem Edel-Heurigen umgebaut, dahinter, abseits vom Dorfplatz, wird es still. Die schicke Adresse ist symbolisch für das neue Grinzing:
"Grinzing ist auch ein sehr begehrter Wohnort geworden im letzten Jahrhundert, und wir gehen jetzt, wie man sieht, durch wunderbare Villenanlagen, die vermögenden Menschen eben ein wunderbares Zuhause bieten."
Die mittlerweile 14 Botschaftsresidenzen, die sich in Grinzing angesiedelt haben, die teils monströsen Villen, abgeschottet und von zahlreichen Kameras, Hunden, Stacheldrahtzäunen und Bewegungsmeldern geschützt, die Limousinen, Geländewagen und Cabrios, die sich durch die Gassen schieben, das Heurigensterben und Wiederauferstehen als Apartmenthaus? Lenikus will das nicht kritisch kommentieren:
"Auf der anderen Seite muss man auch ganz klar sagen, dass sich die Funktionen in den Orten und auch die Verhältnisse so weit in diesen Heurigenorten oder -dörfern geändert haben, dass einfach nicht mehr der Bedarf gegeben ist für - ich sag einfach einmal - zehn, 15, 20, Heurigenbetriebe für ein kleines Dorf, wie es Grinzing ist oder Neustift. Das ist nicht mehr da, insofern muss man auch neue Funktionen für diese Häuser finden."
Vielen kleinen Winzern macht diese Sichtweise Angst. Sie verkaufen lieber, bevor es zu spät ist. Und Martin Lenikus zahlt gut! Spekuliert er darauf, dass eine zukünftige Stadtregierung den Widmungsschutz für die Weingärten bald aufheben könnte?
"Die Frage ist durchaus berechtigt, ich glaube nur, dass unser lieber Herr Bürgermeister ganz klar gesagt hat, dass eine Umwidmung nicht möglich sein wird, das ist uns bekannt, wir haben auch die Rebflächen erworben, um sie zu erhalten, um sie auszubauen, sogar noch zu verbessern, auf biodynamische Bewirtschaftung umzustellen und ähnliche Sachen, also unser Interesse gilt der Erhaltung der Weingärten!"
Die Busse, die täglich von 16 Uhr bis Mitternacht ihre Passagiere vor dem Eingang zu Grinzings letztem Groß-Heurigen absetzen und meist eine Stunde später wieder aufsammeln, werden von einem silberhaarigen, älteren Herrn eingewiesen. Japanische Teilnehmer eines Ärztekongresses steigen aus und werden von Fremdenführer Tateo Kuranaga in den "Alten Bach-Hengl" geleitet. Der Japaner Kuranaga führt seit über 30 Jahren Touristen nach Grinzing.
Im geräumigen Hof des "Bach-Hengl" laden unzählige grün gestrichene Stühle unter der weinlaubberankten Pergola zum Sitzen ein, im Innern gibt es noch einmal Hunderte von Sitzplätzen. Die Bedienungen tragen Dirndlkleider, und aus dem Lautsprecher schallt der Radetzkymarsch als Endlossschleife. Das Programm ist immer das Gleiche: ein Grinzing-Besuch hier im "Bach-Hengl", 200 Meter unterhalb des Dorfplatzes, dann ein Mozart-Konzert in der Innenstadt. Ein Viertel Wein, dazu Backhendl oder eine rustikale Brotzeit stehen für die Gäste längst bereit.
"Warum hierher kommen? Das ist so eine eigenartige gemütliche Stimmung - gibt's in Japan nicht! Der Wiener Heurige hat eine einzigartige Stimmung, und dazu noch Geschichte! Zum Beispiel der Beethoven oder Schubert, die haben nicht nur gut komponiert, sondern haben sehr bekannte Liebhaber von Wein und Heurigen. Wir haben auch starke Sehnsucht nach diesen verlorenen Vergangenheit, besonders in den Großstädten in Japan ist das ein Traum, weil so etwas nicht existiert. Heute industrialisierte Länder, Technik, Geld, Name und so weiter. Aber wenn wir hier kommen, wird das wieder irgendwie ... Heimat der Seele."
Die Japaner verlassen die "Heimat der Seele" in der Regel mit unverletzten Illusionen. Denn erst auf den zweiten Blick erschließt sich, dass Grinzing als Weinort längst seinen Rückzug angetreten hat. Von der Winzerfamilie geführte Heurige mit Eigenbauweinen und kleinen kalten Bufett - so wie es Tradition ist - sind Mangelware geworden. Einen Katzensprung entfernt vom "Alten Bach-Hengl", in der Langackergasse 5a, liegt hinter einer steilen Zufahrt ein schmuckloses Haus: der "Rauscher", einer der letzten familiär geführten Heurigen. Franz Rauscher ist Winzer in der dritten Generation.
"Na, ja, es ist schon eine Umwälzung vorhanden. Es sind wieder ein paar weniger geworden in den letzten zehn Jahren. Schade."
Der Winzer macht wenig Worte, zu ihm kommen die Gäste noch, Stammgäste, die genau wissen, wann der Rauscher geöffnet hat. Einer davon: der berühmt-berüchtigte "Kronenzeitungs"-Kolumnist Michael Jeannée, der täglich seinen chinesischen Faltenhund Gassi durch Grinzing führt:
"Grinzing ist leider Gottes zu einem Touristendorado ... verkommen will ich nicht sagen, aber geworden. Was es nicht verdient hat, aber das ist der Lauf der Zeit, früher, wenn Sie vor 30 oder 40 Jahren hierher gekommen wären, hätten Sie ein originales Weinbauerndorf mit kleinen lauschigen Heurigenlokalen, mit ehrlichen Winzern und Weinbauern und einer Bevölkerung, die ihr Auskommen gefunden hat, auch im Tourismus, aber nicht in der Art, wie er heute sich darstellt."
Auch der Architekt Gustav Peichl lässt an der Entwicklung Grinzings kein gutes Haar. Peichl wohnt in einer schmalen, uneinsehbaren Villa in der Himmelstraße, ein paar Hundert Meter oberhalb des Dorfplatzes. Der 84-Jährige hatte schon 1976 einen Plan vorgelegt, um den Charakter des alten Winzerortes zu erhalten. Umgesetzt wurde er nicht. In Grinzing fühle er sich nicht mehr recht wohl, sagt der kleine, agile Mann. Auch auf sein Grundstück hätten die Spekulanten ein gieriges Auge geworfen:
"Jetzt haben ja die Investoren das Sagen, und die politischen Machenschaften sind ärger geworden. Eine Hand wäscht die andere, beide bleiben schmutzig. Der jetzige Bürgermeister läßt alles zu, Hauptsache, es sind Freunde, die Investoren, und die bekommen alle Ausnahmegenehmigungen, die sie wollen. Das ist das Traurige an der jetzigen Entwicklung des alten qualitätvollen Grinzing."
Kann man den Trend stoppen? Soll man es überhaupt? Ist es nicht normal, dass auch ein uralter Weinort sein Gesicht verändert, wie der Immobilien-Entwickler Martin Lenikus meint? Nein, ganz und gar nicht, erregt sich Christian Schuhböck, 49 Jahre alt, Landschaftsökologe und Generalsekretär der kleinen Naturschutzorganisation "Alliance for Nature". Der einzige Weg, Grinzing zu retten, sei, den Weinort auf die Unesco-Weltkulturerbeliste zu setzen. Schuhböck sammelt Geld, um eine offizielle Bewerbungs-Dokumentation über Grinzing zu schreiben, die er dann bei der Unesco einreichen kann.
"Derzeit ist der Schutz und die Erhaltung nicht gegeben, weil es zu einer massiven Erosion kommt in dieser Kulturlandschaft, indem einfach sukzessive jahr für Jahr bestimmte Parzellen entweder aufgelassen werden, sie verwildern, sie werden gerodet oder sogar umgewidmet und statt der Weingärten gibt es dann dort Parzellen, die verbaut werden, man stellt
dort sogar Villen hin, irgendwelche Häuser, die gar nicht in die Landschaft passen."
Um das zu illustrieren, eilt Schuhböck Grinzings steile Gassen hinauf und wird ein wenig kurzatmig bei dem Fußmarsch. Hoch oben öffnet sich bald ein Panoramablick auf den Kahlenberg: die Sonne wirft scharfes Licht auf das Raster der grünen Reben, in der Ferne schimmert die Silhouette einer Kapelle, der Flachbau eines Hotels:
"Wir befinden uns hier jetzt am Südhang des Kahlenberges, wo 1683 die 2. Türkenbelagerung stattgefunden hat, hier haben die österreichischen Truppen versucht, die Hauptstadt Wien, die uns jetzt zu Füßen liegt, vor den Türken zu retten. Und das ist sicher ein wesentliches Merkmal auch für die Nominierung dieser besonderen Weingartenkulturlandschaft als potentielle Unesco-Weltkulturerbestätte."
Die Chancen für Schuhböcks Projekt stehen indes schlecht. Wiens Bürgermeister Michael Häupl ist dagegen; und ohne politischen Rückhalt ist es schwer. Zumal sich nur wenige Grinzinger für die Erhaltung ihres alten Weinorts engagieren - viele Winzerfamilien sind untereinander zerstritten, und den wohlhabenden Neu-Grinzingern genügt es, dass die Aussicht von ihrem Grundstück aus nicht zugebaut ist. Daher kaufen sie gern das Nachbargrundstück gleich mit.
So hat es die junge Winzerin Jutta Ambrositsch erlebt. Die gelernte Grafikdesignerin wollte unbedingt Wein anbauen - und zwar in Grinzing! Stur, wie sie ist, hat Ambrositsch es schließlich geschafft, 2004 eine kleine Riede zu pachten. Die bewirtschaftet sie mit Eifer und Herzblut. Ab August reaktiviert sie an vier Wochenenden ein längst aufgegebenes Heurigenlokal am Dorfplatz. Dessen Name ist Programm: "Das gute Grinzing".
Der Wein für das gute Grinzing kommt von um die Ecke: Nach kurzer Fahrt über enge Wirtschaftswege ist das Ziel erreicht, der Wagen direkt auf der Wiese geparkt, die an Ambrositsch' Weingarten grenzt. Er ist bloß einen dreiviertel Hektar groß, 448 Stöcke, und steigt sanft in Richtung Wienerwald an. Kein Haus stört den Blick auf die Reben. 2015 endet der Pachtvertrag, Ambrositsch glaubt nicht, dass er verlängert wird. Die Flächen ringsum besitze nämlich schon eine reiche ukrainische Familie. Die habe Ambrositsch unter Druck gesetzt, ihren Weinberg vorzeitig abzugeben.
"Es geht mir darum, Wiener Weingärten zu erhalten, so lange es geht, was natürlich schon schwierig ist, dadurch dass immer wieder Besitzerwechsel stattfinden und die natürlich horrende Summen zahlen, sind die mit einer lächerlichen Pacht höchst unzufrieden, was zur Folge hat, dass die mit der Pacht hochgehen wollen, was wiederum zur Folge hat, dass es einfache Wiener Weine nicht mehr geben kann. Weil, in Wien ist ja alles fünfmal so teuer, Wiener Wein kann nicht billig sein, das geht einfach nicht."
Ambrositsch schaut sich prüfend die Reben an und kontrolliert die Steher, die Kunststoff-Umfassungen, die den Weinstock vor Verbiss durch Wildschweine und Rehe schützen. Das ganze Jahr hat sie damit zu tun; Andere haben es sich zu einfach gemacht, wie sie sagt:
Ambrositsch spielt auf den "Alten Bach-Hengl" an. Der Chef, Franz Hengl, greift schon lange nicht mehr in den Betrieb ein - das Personal aus Ungarn, der Slowakei und Tschechien arbeitet routiniert und effizient. Hengl, 71 Jahre alt, hat kaum mehr Illusionen. Das romantische Grinzing mit dem guten Wein und dem guten Wienerlied dazu, das Grinzing, das er liebt, gibt es nicht mehr. Ironischerweise hat Hengl selbst dazu beigetragen, dass es verschwunden ist - indem er seinen Heurigen bis zum Geht-nicht-mehr ausbaute und damit immer mehr Busse anlockte - was viele abgeschreckt hat. Er könne sonst nicht überleben, haben ihm die Tourismus-Experten der Stadt Wien damals eingeredet. Er hat es geglaubt.
Franz Hengl hat für sein Grinzing früher in vielen Aktionen handfest gestritten. Eine missliebige neu ausgehobene Baugrube hat er zum Beispiel höchstpersönlich wieder mit dem Bagger zugeschüttet. Er hat sich dabei viele Feinde gemacht, privat und vor Gericht - und dabei Schulden aufgetürmt. All das hat ihn müde gemacht; heute setzt er sich kleinere Ziele: Er sammelt Unterschriften, damit wenigstens das Postamt am Grinzinger Dorfplatz erhalten bleibt.
Anders als die viele Winzer hat Martin Lenikus das Geld, sie trotzdem zu kaufen - durchaus zum Wohle des Weins. 2007 hat der Immobilien-Entwickler Lenikus seine Liebe zum Weinbau entdeckt; mittlerweile hat er bereits 25 Hektar Rebflächen zusammengekauft und lässt die Trauben von einem professionellen Winzer verarbeiten. Im vergangenen Jahr hat er auch noch das historische Windhaber-Haus gleich am Dorfplatz gekauft und zu einem Edel-Heurigen umgebaut, dahinter, abseits vom Dorfplatz, wird es still. Die schicke Adresse ist symbolisch für das neue Grinzing:
"Grinzing ist auch ein sehr begehrter Wohnort geworden im letzten Jahrhundert, und wir gehen jetzt, wie man sieht, durch wunderbare Villenanlagen, die vermögenden Menschen eben ein wunderbares Zuhause bieten."
Die mittlerweile 14 Botschaftsresidenzen, die sich in Grinzing angesiedelt haben, die teils monströsen Villen, abgeschottet und von zahlreichen Kameras, Hunden, Stacheldrahtzäunen und Bewegungsmeldern geschützt, die Limousinen, Geländewagen und Cabrios, die sich durch die Gassen schieben, das Heurigensterben und Wiederauferstehen als Apartmenthaus? Lenikus will das nicht kritisch kommentieren:
"Auf der anderen Seite muss man auch ganz klar sagen, dass sich die Funktionen in den Orten und auch die Verhältnisse so weit in diesen Heurigenorten oder -dörfern geändert haben, dass einfach nicht mehr der Bedarf gegeben ist für - ich sag einfach einmal - zehn, 15, 20, Heurigenbetriebe für ein kleines Dorf, wie es Grinzing ist oder Neustift. Das ist nicht mehr da, insofern muss man auch neue Funktionen für diese Häuser finden."
Vielen kleinen Winzern macht diese Sichtweise Angst. Sie verkaufen lieber, bevor es zu spät ist. Und Martin Lenikus zahlt gut! Spekuliert er darauf, dass eine zukünftige Stadtregierung den Widmungsschutz für die Weingärten bald aufheben könnte?
"Die Frage ist durchaus berechtigt, ich glaube nur, dass unser lieber Herr Bürgermeister ganz klar gesagt hat, dass eine Umwidmung nicht möglich sein wird, das ist uns bekannt, wir haben auch die Rebflächen erworben, um sie zu erhalten, um sie auszubauen, sogar noch zu verbessern, auf biodynamische Bewirtschaftung umzustellen und ähnliche Sachen, also unser Interesse gilt der Erhaltung der Weingärten!"
Die Busse, die täglich von 16 Uhr bis Mitternacht ihre Passagiere vor dem Eingang zu Grinzings letztem Groß-Heurigen absetzen und meist eine Stunde später wieder aufsammeln, werden von einem silberhaarigen, älteren Herrn eingewiesen. Japanische Teilnehmer eines Ärztekongresses steigen aus und werden von Fremdenführer Tateo Kuranaga in den "Alten Bach-Hengl" geleitet. Der Japaner Kuranaga führt seit über 30 Jahren Touristen nach Grinzing.
Im geräumigen Hof des "Bach-Hengl" laden unzählige grün gestrichene Stühle unter der weinlaubberankten Pergola zum Sitzen ein, im Innern gibt es noch einmal Hunderte von Sitzplätzen. Die Bedienungen tragen Dirndlkleider, und aus dem Lautsprecher schallt der Radetzkymarsch als Endlossschleife. Das Programm ist immer das Gleiche: ein Grinzing-Besuch hier im "Bach-Hengl", 200 Meter unterhalb des Dorfplatzes, dann ein Mozart-Konzert in der Innenstadt. Ein Viertel Wein, dazu Backhendl oder eine rustikale Brotzeit stehen für die Gäste längst bereit.
"Warum hierher kommen? Das ist so eine eigenartige gemütliche Stimmung - gibt's in Japan nicht! Der Wiener Heurige hat eine einzigartige Stimmung, und dazu noch Geschichte! Zum Beispiel der Beethoven oder Schubert, die haben nicht nur gut komponiert, sondern haben sehr bekannte Liebhaber von Wein und Heurigen. Wir haben auch starke Sehnsucht nach diesen verlorenen Vergangenheit, besonders in den Großstädten in Japan ist das ein Traum, weil so etwas nicht existiert. Heute industrialisierte Länder, Technik, Geld, Name und so weiter. Aber wenn wir hier kommen, wird das wieder irgendwie ... Heimat der Seele."
Die Japaner verlassen die "Heimat der Seele" in der Regel mit unverletzten Illusionen. Denn erst auf den zweiten Blick erschließt sich, dass Grinzing als Weinort längst seinen Rückzug angetreten hat. Von der Winzerfamilie geführte Heurige mit Eigenbauweinen und kleinen kalten Bufett - so wie es Tradition ist - sind Mangelware geworden. Einen Katzensprung entfernt vom "Alten Bach-Hengl", in der Langackergasse 5a, liegt hinter einer steilen Zufahrt ein schmuckloses Haus: der "Rauscher", einer der letzten familiär geführten Heurigen. Franz Rauscher ist Winzer in der dritten Generation.
"Na, ja, es ist schon eine Umwälzung vorhanden. Es sind wieder ein paar weniger geworden in den letzten zehn Jahren. Schade."
Der Winzer macht wenig Worte, zu ihm kommen die Gäste noch, Stammgäste, die genau wissen, wann der Rauscher geöffnet hat. Einer davon: der berühmt-berüchtigte "Kronenzeitungs"-Kolumnist Michael Jeannée, der täglich seinen chinesischen Faltenhund Gassi durch Grinzing führt:
"Grinzing ist leider Gottes zu einem Touristendorado ... verkommen will ich nicht sagen, aber geworden. Was es nicht verdient hat, aber das ist der Lauf der Zeit, früher, wenn Sie vor 30 oder 40 Jahren hierher gekommen wären, hätten Sie ein originales Weinbauerndorf mit kleinen lauschigen Heurigenlokalen, mit ehrlichen Winzern und Weinbauern und einer Bevölkerung, die ihr Auskommen gefunden hat, auch im Tourismus, aber nicht in der Art, wie er heute sich darstellt."
Auch der Architekt Gustav Peichl lässt an der Entwicklung Grinzings kein gutes Haar. Peichl wohnt in einer schmalen, uneinsehbaren Villa in der Himmelstraße, ein paar Hundert Meter oberhalb des Dorfplatzes. Der 84-Jährige hatte schon 1976 einen Plan vorgelegt, um den Charakter des alten Winzerortes zu erhalten. Umgesetzt wurde er nicht. In Grinzing fühle er sich nicht mehr recht wohl, sagt der kleine, agile Mann. Auch auf sein Grundstück hätten die Spekulanten ein gieriges Auge geworfen:
"Jetzt haben ja die Investoren das Sagen, und die politischen Machenschaften sind ärger geworden. Eine Hand wäscht die andere, beide bleiben schmutzig. Der jetzige Bürgermeister läßt alles zu, Hauptsache, es sind Freunde, die Investoren, und die bekommen alle Ausnahmegenehmigungen, die sie wollen. Das ist das Traurige an der jetzigen Entwicklung des alten qualitätvollen Grinzing."
Kann man den Trend stoppen? Soll man es überhaupt? Ist es nicht normal, dass auch ein uralter Weinort sein Gesicht verändert, wie der Immobilien-Entwickler Martin Lenikus meint? Nein, ganz und gar nicht, erregt sich Christian Schuhböck, 49 Jahre alt, Landschaftsökologe und Generalsekretär der kleinen Naturschutzorganisation "Alliance for Nature". Der einzige Weg, Grinzing zu retten, sei, den Weinort auf die Unesco-Weltkulturerbeliste zu setzen. Schuhböck sammelt Geld, um eine offizielle Bewerbungs-Dokumentation über Grinzing zu schreiben, die er dann bei der Unesco einreichen kann.
"Derzeit ist der Schutz und die Erhaltung nicht gegeben, weil es zu einer massiven Erosion kommt in dieser Kulturlandschaft, indem einfach sukzessive jahr für Jahr bestimmte Parzellen entweder aufgelassen werden, sie verwildern, sie werden gerodet oder sogar umgewidmet und statt der Weingärten gibt es dann dort Parzellen, die verbaut werden, man stellt
dort sogar Villen hin, irgendwelche Häuser, die gar nicht in die Landschaft passen."
Um das zu illustrieren, eilt Schuhböck Grinzings steile Gassen hinauf und wird ein wenig kurzatmig bei dem Fußmarsch. Hoch oben öffnet sich bald ein Panoramablick auf den Kahlenberg: die Sonne wirft scharfes Licht auf das Raster der grünen Reben, in der Ferne schimmert die Silhouette einer Kapelle, der Flachbau eines Hotels:
"Wir befinden uns hier jetzt am Südhang des Kahlenberges, wo 1683 die 2. Türkenbelagerung stattgefunden hat, hier haben die österreichischen Truppen versucht, die Hauptstadt Wien, die uns jetzt zu Füßen liegt, vor den Türken zu retten. Und das ist sicher ein wesentliches Merkmal auch für die Nominierung dieser besonderen Weingartenkulturlandschaft als potentielle Unesco-Weltkulturerbestätte."
Die Chancen für Schuhböcks Projekt stehen indes schlecht. Wiens Bürgermeister Michael Häupl ist dagegen; und ohne politischen Rückhalt ist es schwer. Zumal sich nur wenige Grinzinger für die Erhaltung ihres alten Weinorts engagieren - viele Winzerfamilien sind untereinander zerstritten, und den wohlhabenden Neu-Grinzingern genügt es, dass die Aussicht von ihrem Grundstück aus nicht zugebaut ist. Daher kaufen sie gern das Nachbargrundstück gleich mit.
So hat es die junge Winzerin Jutta Ambrositsch erlebt. Die gelernte Grafikdesignerin wollte unbedingt Wein anbauen - und zwar in Grinzing! Stur, wie sie ist, hat Ambrositsch es schließlich geschafft, 2004 eine kleine Riede zu pachten. Die bewirtschaftet sie mit Eifer und Herzblut. Ab August reaktiviert sie an vier Wochenenden ein längst aufgegebenes Heurigenlokal am Dorfplatz. Dessen Name ist Programm: "Das gute Grinzing".
Der Wein für das gute Grinzing kommt von um die Ecke: Nach kurzer Fahrt über enge Wirtschaftswege ist das Ziel erreicht, der Wagen direkt auf der Wiese geparkt, die an Ambrositsch' Weingarten grenzt. Er ist bloß einen dreiviertel Hektar groß, 448 Stöcke, und steigt sanft in Richtung Wienerwald an. Kein Haus stört den Blick auf die Reben. 2015 endet der Pachtvertrag, Ambrositsch glaubt nicht, dass er verlängert wird. Die Flächen ringsum besitze nämlich schon eine reiche ukrainische Familie. Die habe Ambrositsch unter Druck gesetzt, ihren Weinberg vorzeitig abzugeben.
"Es geht mir darum, Wiener Weingärten zu erhalten, so lange es geht, was natürlich schon schwierig ist, dadurch dass immer wieder Besitzerwechsel stattfinden und die natürlich horrende Summen zahlen, sind die mit einer lächerlichen Pacht höchst unzufrieden, was zur Folge hat, dass die mit der Pacht hochgehen wollen, was wiederum zur Folge hat, dass es einfache Wiener Weine nicht mehr geben kann. Weil, in Wien ist ja alles fünfmal so teuer, Wiener Wein kann nicht billig sein, das geht einfach nicht."
Ambrositsch schaut sich prüfend die Reben an und kontrolliert die Steher, die Kunststoff-Umfassungen, die den Weinstock vor Verbiss durch Wildschweine und Rehe schützen. Das ganze Jahr hat sie damit zu tun; Andere haben es sich zu einfach gemacht, wie sie sagt:
Ambrositsch spielt auf den "Alten Bach-Hengl" an. Der Chef, Franz Hengl, greift schon lange nicht mehr in den Betrieb ein - das Personal aus Ungarn, der Slowakei und Tschechien arbeitet routiniert und effizient. Hengl, 71 Jahre alt, hat kaum mehr Illusionen. Das romantische Grinzing mit dem guten Wein und dem guten Wienerlied dazu, das Grinzing, das er liebt, gibt es nicht mehr. Ironischerweise hat Hengl selbst dazu beigetragen, dass es verschwunden ist - indem er seinen Heurigen bis zum Geht-nicht-mehr ausbaute und damit immer mehr Busse anlockte - was viele abgeschreckt hat. Er könne sonst nicht überleben, haben ihm die Tourismus-Experten der Stadt Wien damals eingeredet. Er hat es geglaubt.
Franz Hengl hat für sein Grinzing früher in vielen Aktionen handfest gestritten. Eine missliebige neu ausgehobene Baugrube hat er zum Beispiel höchstpersönlich wieder mit dem Bagger zugeschüttet. Er hat sich dabei viele Feinde gemacht, privat und vor Gericht - und dabei Schulden aufgetürmt. All das hat ihn müde gemacht; heute setzt er sich kleinere Ziele: Er sammelt Unterschriften, damit wenigstens das Postamt am Grinzinger Dorfplatz erhalten bleibt.