Wieker: Kein „kurzfristiger Eingriff“ bei den Streitkräften

Volker Wieker im Gespräch mit M. Groth und H. Wimmersberg |
8,3 Milliarden Euro sollen im Zuge der Bundeswehrreform gespart werden. Nach Ansicht von Generalinspekteur Volker Wieker ist dafür jedoch ein längerer Zeitraum notwendig als bislang geplant.
Deutschlandradio Kultur: Herr Wieker, Sie sind seit einem Jahr der ranghöchste Soldat der Bundeswehr. Der Generalinspekteur ist ja auch der oberste militärische Berater der Bundesregierung und vor allem des Verteidigungsministers. Es liegt auch an Ihnen, die Vorgaben der Politik in der Truppe umzusetzen. Was war für Sie die größte Herausforderung?

Volker Wieker: Eigentlich die Überlagerung und die Parallelität der Entwicklungen in den Einsätzen hier, insbesondere Afghanistan nach den Vorkommnissen Karfreitag, und dann eben die Erkenntnis, dass ein solcher Auftrag, der mir dort erteilt wurde, eine ganz grundsätzliche Debatte über die zukünftige Wehrform auslösen würde. Das fordert dann natürlich die militärische Führung auch nicht unerheblich.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben gelesen, dass Sie der erste Generalinspekteur mit praktischer Einsatzerfahrung sind. Nach Ihrer Ausbildung zum Artillerieoffizier durchliefen Sie zahlreiche Stationen im Heer. Können Sie in Ihrem jetzigen Job eigentlich noch nahe an der Truppe sein?

Volker Wieker: Ja. Darum bemühe ich mich eigentlich sehr, obwohl es immer zu wenig ist. Ich hätte mir – gerade auch in diesem Jahr – gewünscht, noch dichter dran zu sein, noch mehr Truppenbesuche durchführen zu können. Ich war sehr häufig in den Einsätzen. Das ist mir gelungen. Meine Aufgabe ist natürlich maßgeblich auf die Binnenwirkung ausgerichtet. Allerdings bin ich natürlich auch der Berichterstatter gegenüber dem Parlament im Verteidigungsausschuss. Von daher ist die eigene Einsatzerfahrung auch sehr hilfreich, weil die Bilder präsent sind und man ein Vorstellungsvermögen der Abläufe besitzt und hier Dinge dann auch erklären kann.

Deutschlandradio Kultur: Ist es denn auch so, dass die Soldaten zu Ihnen kommen und Ihnen ihr Herz ausschütten, wenn es Probleme gibt?

Volker Wieker: Ja. Ich erlebe eigentlich, und das ist durchgängig der Fall, eine sehr offene Gesprächsatmosphäre, und zwar eigentlich über alle Ebenen – sei es wenn ich mich mit den Vertrauenspersonen unterhalte, sei es, wenn ich mich mit unterschiedlichen Dienstgradgruppierungen unterhalte. Aber auch innerhalb der Hierarchie, denke ich, tritt man mir gegenüber recht unbekümmert auf und sagt mir auch, wo der Schuh drückt.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja nach den Vorfällen auf der Gorch Fock diesen offenen Brief der Besatzung, in dem sich die Soldaten schon ziemlich harsch über die Behandlung durch den Minister beschweren. Können Sie nachvollziehen, dass die Soldaten sich alleingelassen fühlen?

Volker Wieker: Ich weiß nicht, ob es aus dem persönlichen Verhältnis und der Wahrnehmung des Ministers resultiert, als vielmehr aus der Berichterstattung. Hier spielt ja die Wortwahl auch immer eine Rolle. Und Sie wissen, dass auch die Maßnahme des Ministers, den Kapitän vorübergehend von seiner Verantwortung zu entbinden, durchaus in der Wortwahl einen anderen Niederschlag in den Medien gefunden hat, der dann natürlich die Truppe auch betroffen macht.
Tatsächlich war aber von vornherein klar, dass es sich um eine solche vorübergehende Maßnahme handelte, die – nicht ungewöhnlich – auch zum Schutz des Petenten eingestellt wird, um ihn eben nicht dem Verdacht auszusetzen, Einfluss auf Ermittlungen nehmen zu können.

Deutschlandradio Kultur: Aber gerade das wirkt sich ja auch in der Wahrnehmung der Truppe aus. Es mögen die Medien sein, die dann sozusagen die Sachlage möglicherweise nicht richtig darstellen, aber das kommt eben auch bei den Soldaten so an. Und auch für den Mann, juristisch sicher nicht, bleibt ja in der Öffentlichkeit eine Art Vorverurteilung hängen.

Volker Wieker: Das mag in der öffentlichen Wahrnehmung so sein. Realiter ist es aber eben nicht der Fall. Ein wenig erschwerend, offen gestanden, kommt hier natürlich hinzu, dass wir über eine große Distanz miteinander kommunizieren. Der Minister, so weiß ich, hat bereits in der kommenden Woche die Absicht, nun die Marineeinheiten und Verbände zu besuchen, um selbst das persönliche Gespräch zu führen. Wenn das über solche Entfernungen geschieht, dann unterliegt man natürlich auch immer ein wenig dem Zerrbild, das durch die öffentliche Darstellung geschieht.

Deutschlandradio Kultur: Gibt es schon Überlegungen, dass man aufgrund der Vorfälle, die auf der Gorch Fock passiert sind, dem Tod zweier Soldatinnen, denkt, sollte man es sich weiterhin leisten, dieses traditionelle Segelschiff als Ausbildungsstätte weiter laufen zu lassen? Oder müsste man da umdenken?

Volker Wieker: Das ist eine ganz wichtige Frage. Deswegen stütze ich auch ausdrücklich die Entscheidung, unter Hinzuziehung des parlamentarischen Bereichs nun eine externe Gruppierung einzusetzen, die über die Zukunft dieses Ausbildungsschiffes zu befinden hat. Das muss auch im Interesse der Marine und der Streitkräfte sein, nunmehr – wenn es zu einer weiteren Nutzung kommen soll – dies auf eine breite Legitimationsbasis zu stellen. Sie wissen, sonst geraten wir gleich wieder in Verdacht, gewissermaßen in Nabelschau die Dinge selbst entscheiden zu wollen.

Deutschlandradio Kultur: Und das Ganze sollte ergebnisoffen passieren, also auch mit dem möglichen Spruch anschließend, ja, wir müssen in Zukunft auf ein Schiff wie die Gorch Fock verzichten?

Volker Wieker: Ja, ich denke schon. Hier sollte man nichts präjudizieren. Das sollte offen erfolgen, so dass dort ein fundiertes Urteil dann auch erfolgt.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt den Auftrag, nach Ritualen zu suchen, die die Menschenwürde verletzen und auch den Grundsätzen der Bundeswehr widersprechen. Wo setzen Sie bei dieser Suche an?

Volker Wieker: Zunächst einmal habe ich den Eindruck, dass das Wort „Ritual“ in diesem Zusammenhang zu negativ belegt ist. Ich meine, wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es in der Zivilgesellschaft Gebräuche und Rituale gibt, die durchaus sinnstiftend sein können, wie unterschiedliche Formen von Hochzeitsfeiern, in der Handwerkerschaft die Richtfeste zum Beispiel. Ich kann eine Vielzahl weiterer Beispiele nennen. All das dient ja auch dem Zweck, eine Zugehörigkeit zu vermitteln zu einer bestimmten Gruppe, eine Bindung zu erzeugen, persönliche Verhältnisse herzustellen.

Das ist auch bei uns der Fall. Aber es muss natürlich alles seine Grenze finden in Recht und Gesetz, in den Grundsätzen der inneren Führung, der Menschenwürde und unserem Verständnis eines Staatsbürgers in Uniform. Erst wenn wir diese rote Linie überschreiten, dann sehe ich mich natürlich auch veranlasst einzuschreiten.

Hier erkenne ich, obgleich es in der Vergangenheit immer wieder Vorfälle dieser Art gegeben hat, aber noch keinen Trend. Das heißt, es sind Einzelverfehlungen, denen wir dann allerdings auch mit der gebotenen Härte nachgehen müssen.

Deutschlandradio Kultur: Es gab jetzt zweimal Vorfälle mit Waffen in der gleichen Einheit in Afghanistan. Einmal ist ein Soldat durch die Kugel eines Kameraden ums Leben gekommen. Gehören solche angeblichen Waffenspiele, so wurden sie ja in den Medien genannt, zur Einsatzrealität? Ist der Druck auf die Soldaten so groß, dass sie irgendwo Dampf ablassen müssen?

Volker Wieker: Dem gehe ich in der Tat nach – weniger vor dem Hintergrund eines Drucks, der dort entsteht, als mehr dem Umstand geschuldet, dass durch das ständige Tragen von Waffen, und zwar Tag und Nacht, Sie wissen, alle Waffen werden am Mann, an der Frau geführt und nicht abgegeben, möglicherweise der Respekt im Umgang mit der Waffe ein wenig abschleift. Deswegen dürfen wir eigentlich nicht nachlassen, immer wieder darauf hinzuwirken, auch unsere Vorgesetzten anzuhalten, da wirklich großes Augenmerk darauf zu legen, dass sich hier nicht Dinge einstellen, die solche Vorkommnisse dann befördern.

Deutschlandradio Kultur: Wie immer die Fälle nach Abschluss der Untersuchungen beurteilt werden, die Vorgänge auf der Gorch Fock und auch die Vorgänge in Afghanistan zeigen ja eines: Um den Informationsfluss im Ministerium ist es nicht so gut bestellt. Zum Beispiel dauert es zwei Monate bis die Einzelheiten zu dem zweiten Sturz auf der Gorch Fock tatsächlich hier ankamen, zumindest vom Minister in die Öffentlichkeit gebracht wurden. Was muss sich am Informationsfluss ändern?

Volker Wieker: Grundsätzlich ist das Informations- und Meldewesen in der Bundeswehr sehr gut ausgebildet und ausgeprägt. Dass es hier und da mal an der notwendigen Sensibilität bei dem einen oder anderen fehlen mag, ein Vorkommnis nun auch sehr rasch bis in die Leitung vorzutragen, lasse ich einmal dahingestellt. Den Fall, den Sie schildern, stellt sich für mich dennoch nicht so dar. Denn unmittelbar nach dem Ereignis wurde ja bereits eine Havariekommission eingesetzt und es wurde auch staatsanwaltschaftlich ermittelt – direkt im Nachgang des Falles auf der Gorch Fock.

Deutschlandradio Kultur: Aber die Umstände, die jetzt zur Sprache kamen, der Druck, der mutmaßliche Druck, muss man ja sagen, auf die Soldatinnen bzw. diese, wenn sie denn stattgefunden hat, schreckliche Karnevalsfeier anschließend, das alles sind doch jüngste Erkenntnisse.

Volker Wieker: Ja, in der Tat ist es so. Wir müssen uns noch mal vergegenwärtigen, dass sich die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage der ersten Ermittlungen bereits eingelassen hat. Wenn dann solche Vorwürfe erhoben werden, muss man dem erneut nachgehen und sie aufgreifen. Das halte ich für einen normalen Vorgang. Aber der Vorwurf, dass wir dem nicht sofort nachgegangen seien, entbehrt wirklich jeder Grundlage.

Deutschlandradio Kultur: Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses hatten moniert, dass Sie über bestimmte Vorkommnisse nicht weiter informiert worden sind. Also, die Informationen sind ja bestimmt im Ministerium angekommen, aber dann nicht weiter gegangen zu den bestimmten parlamentarischen Gremien, die sich ja auch mit Verteidigungspolitik beschäftigen.

Volker Wieker: Also, hier muss ich sagen, ich war selbst bei der Ausschusssitzung zugegen. Der Vorfall auf der Gorch Fock war der letzte Tagesordnungspunkt an diesem Tag. Der Inspekteur der Marine war auch darauf vorbereitet, umfänglich zu dem Ereignis vorzutragen. Und er erhielt dann aufgrund des Zeitdrucks, es stand eine Parlamentsbefassung bevor, noch eine gute Minute, um auszuführen. Vielleicht ist es diesem Umstand geschuldet, dass es nicht in der Ausführlichkeit geschah.

Deutschlandradio Kultur: Information ist das eine, Kompetenz das andere. Kann es daran liegen, dass es in der Bundeswehr generell zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer gibt?

Volker Wieker: Nun, es war ja eine Feststellung auch der Weise-Kommission, dass wir insgesamt in unseren Strukturen eine gewisse Kopflastigkeit haben. Nun muss man sagen, diese Kopflastigkeit kommt auch nicht von ungefähr. Denn wir hatten ja, wenn Sie auf die vergangenen 20 Jahre schauen, immerhin eine Vielzahl von Reformen. Ich allein erinnere mich an fünf. Man muss wissen, dass die Struktur des Personalkörpers, insbesondere bei Reduzierungen, dieser Reform immer nacheilt, weil wir natürlich an die Beschäftigungsverhältnisse gebunden sind. Ein Berufssoldat bleibt ein Berufssoldat. Und ein Zeitsoldat bleibt ein Zeitsoldat.

Wenn Sie nun reduzieren, greifen natürlich die kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse zunächst. Das heißt, relativ erweitert sich der Umfang der Berufssoldaten auf der Zeitachse, weil die Beschäftigungsverhältnisse länger bestehen. Dadurch entsteht eine Unwucht. Mit dieser Unwucht erzeugen sie natürlich auch Strukturen, um diese Unwuchten aufzufangen, abzubilden in ihren Strukturen – ein Phänomen, was uns auch in der jetzigen Reform wieder Sorge bereiten muss. Denn der Umbau eines Personalkörpers insgesamt ist auf einer sehr langfristigen Zeitachse abzubilden.

Deutschlandradio Kultur: Also werden Sie bei der Generalität auch abspecken?

Volker Wieker: Ja natürlich, und zwar in allen Alters- und Dienstgradgruppen – relativ zum Gesamtumfang. Das ist eigentlich eine Grundregel, der wir auch in früheren Reformen immer gefolgt sind.

Deutschlandradio Kultur: Erkennen Sie eigentlich einen Konflikt zwischen den jüngeren Kommandeuren, der so genannten „Generation Einsatz“ und den älteren?

Volker Wieker: Hier kann man, glaube ich, nicht von einem Konflikt sprechen. Allerdings muss man natürlich darauf achten, dass keine Ablage zwischen diesen beiden Gruppierungen entsteht – auch in der Wahrnehmung und in dem Vermögen, sich miteinander unterhalten zu können. Ich denke, das bereitet gegenwärtig noch keine Sorge, zumal nun auch in der Generalität und in den gehobenen Dienstgradgruppen breite Einsatzerfahrung bereits vorhanden ist.

Deutschlandradio Kultur: Im Gegensatz zu anderen Nato-Staaten, wie Großbritannien oder den USA, fehlt vielen Soldaten hier in Deutschland der Rückhalt großer Teile der Gesellschaft. Wie kommt es, dass die Soldaten in den anderen Ländern einen höheren Stellenwert haben?

Volker Wieker: Ich glaube, hier muss man unterscheiden zwischen dem grundsätzlichen Ansehen in der Bevölkerung – und da fühle ich mich durchaus wohl, denn wir liegen bei einer Zustimmung jenseits der 80 Prozent – und der Unterstützung oder Zustimmung zu bestimmten Einsätzen.

Wir haben hier eine sehr differenzierte Haltung in der Bevölkerung zu Afghanistan. Das heißt, es geht nicht um die grundsätzliche Unterstützung oder Zustimmung zur Bundeswehr, sondern es geht um die Unterstützung dessen, was sie gegenwärtig tun in den Einsätzen. Hier wünsche ich mir wirklich etwas mehr Rückhalt, denn es ist ein Auftrag, den wir durch die Politik erhalten haben und den wir natürlich nach besten Kräften umzusetzen versuchen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn die Bundeswehr jetzt komplett zur Einsatzarmee wird, und das ist ja der Weg, dann wird die Sache ja nicht besser.

Volker Wieker: Sie meinen mit „Einsatzarmee“ einen expeditionären Charakter. Dem möchte ich doch, zumindest in gewisser Hinsicht, widersprechen.

Deutschlandradio Kultur: Aber, was immer die Bundeswehr leistet, das wird sich außerhalb der Landesgrenzen abspielen. Ich meine, Landesverteidigung im alten Sinne ist doch wirklich kein Thema mehr.

Volker Wieker: Nein, aber wenn Sie allein sehen, was die Bundeswehr zum Heimatschutz bereitgestellt hat, wie wir im Rahmen der Katastrophenhilfe tätig geworden sind, sei es bei der Oderflut, bei der Elbe, es zählt doch im Grunde das, was von denjenigen bereitgestellt werden kann, die zu dieser Hilfe befähigt sind. Das ist nicht unerheblich, was dort in den letzten 20 Jahren geleistet wurde.

Deutschlandradio Kultur: Bedingt durch die internationalen Einsätze, an denen sich auch die Bundeswehr beteiligt hat, gibt es natürlich auch immer mehr Soldaten, die zum Beispiel nach Einsätzen in Afghanistan traumatisiert zurückkommen, körperliche Schäden haben. Es gibt immer wieder Kritik, dass die Bundeswehr für diese Soldaten nicht genug tut. Müssen Sie sich in Zukunft mehr darauf einstellen, dass Sie sich gerade um diese Gruppe der Soldaten verstärkt kümmern müssen?

Volker Wieker: Ja. Hier haben wir auch im letzten Jahr schon große Anstrengungen unternommen. Wir haben das Traumazentrum hier in Berlin eingerichtet. Wir haben ein ganzes Netzwerk in der Betreuung von Angehörigen eingerichtet, eine Ansprechstelle auch für die Hinterbliebenen eingerichtet. Also, es läuft eine Vielzahl von Anstrengungen – auch in der Spitzenebene, dass wir einen General abstellen, den wir ausschließlich auf diesen Bereich in seiner Aufgabenwahrnehmung ausrichten müssen. Aber insgesamt ist es etwas, an dem wir weiterhin mit großer Anstrengung arbeiten müssen.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben den Eindruck, bei der Reform der Bundeswehr wird das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Braucht man nicht einen konkreten Aufgabenkatalog für die Truppe der Zukunft, bevor man über Geld, Personal und Beschaffung spricht?

Volker Wieker: Ja. Das ist aber auch der Fall. Zunächst einmal haben wir die Aufgaben, wie sie aus dem Weißbuch abgeleitet wurden. Das reicht von der Teilhabe an Stabilisierungsoperationen bis hin zum Heimatschutz. Was man allerdings machen muss, ist, diese Aufgaben immer wieder nach bestimmten Ordnungskriterien zu hinterfragen und danach zu sortieren, was Streitkräfte wirklich unter einem solchen Oberbegriff leisten müssen.

Wenn Sie einmal die Geschichte unserer Einsatzteilhabe seit 1995 betrachten, dann reicht doch zum Beispiel der Einsatz im Rahmen von Stabilisierungsoperationen von einer robusten Anfangsoperation, wie wir sie im Kosovo hatten, über die Trennung von Konfliktparteien, der Einrichtung einer Pufferzone, bis hin zu der höchsten Stufe, die wir gegenwärtig erleben, der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir über die Reform reden, müssen wir natürlich auch darüber reden, dass die Bundeswehr auch einsparen soll. Der Finanzminister hat Verteidigungsminister zu Guttenberg auch aufgegeben, dass er bis 2015 8,3 Milliarden Euro zu sparen hat, eine Reduzierung der Truppe auf 165.000 Soldatinnen und Soldaten. Dann aber hat der Bundestag doch beschlossen, wir legen noch mal 20.000 Soldaten drauf. Es sollen dann doch 185.000 Soldaten sein. Dann hat Verteidigungsminister zu Guttenberg gesagt, na ja, so ist das Sparziel nicht zu erreichen. – Also, wenn man nicht an den Personalkosten sparen kann, wo kann man sonst noch bei der Bundeswehr sparen?

Volker Wieker: Ich denke, das war schon in dem mir erteilten Auftrag angelegt. Ich hatte ja zu untersuchen und über die Auswirkungen zu berichten bei einem Reduzierungseingriff von bis zu 40.000 Soldaten und bin, wie Sie wissen, zu dem Ergebnis gelangt, dass damit nicht mehr ein verantwortbares Fähigkeitsprofil abzubilden ist. Also habe ich mich von dieser Maximalforderung ausgehend nach oben bewegt. Dass das, gewissermaßen wie bei kommunizierenden Röhren dann auch Einfluss auf die Finanzvorgabelinie haben muss, war eigentlich allen Beteiligten von Anfang an klar.

Nun hat es die politische Debatte gegeben, die zu der Entscheidung der Regierung am 15. Dezember führte, den Umfang nunmehr auf 185.000 Soldaten festzulegen. Ich erwarte bei diesem großen Reformschritt nun natürlich auch eine Unterstützung aus der Politik, um diese Reform realisieren zu können. Der Umstand, dass ein solcher Schritt nur über einen größeren Zeitraum angelegt werden kann, macht auch deutlich, dass Sie Rationalisierungsgewinne auch erst über diesen Zeitraum erwirtschaften können. Das heißt: Der kurzfristige Eingriff, wie er möglicherweise bei Investhaushalten möglich ist, ist in einem solchen Großsystem wie den Streitkräften nicht möglich. Das kann nur auf einer Zeitachse angelegt sein. Und ich denke, hier wird man zu einer tragfähigen Lösung kommen.

Deutschlandradio Kultur: Also, ich habe Sie richtig verstanden? Sie erwarten ein Abrücken vom Schäuble-Ziel, diesen 8,3 Milliarden?

Volker Wieker: Das kann man so nicht sagen. Mir geht es vielmehr um die Fragestellung: In welchem Zeitraum ist dieser Erwirtschaftungsgewinn aufzubringen?

Deutschlandradio Kultur: Wie wollen Sie denn für zukünftige Zeit- und Berufssoldaten die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber präsentieren? Die Wehrpflicht wird ja demnächst ausgesetzt. Da kann man aus diesem Heer jetzt keine Freiwilligen mehr rekrutieren.

Volker Wieker: Das ist in der Tat eine strategische Herausforderung. Ich meine, uns allen muss klar sein, dass wir nach dem 1. Juli dieses Jahres nur noch von ungedienten Freiwilligen sprechen, die wir für alle Statusgruppen gewinnen möchten. Das heißt, die Ansprache der jungen Menschen gewinnt sehr große Bedeutung. Eine frühzeitige Ansprache, ein Auffächern eines ganz breiten Angebotes – vom Einstieg als freiwillig Wehrdienstleistender bis zum Berufsbild eines Zeit- oder Berufssoldaten – muss in aller Transparenz nach außen dargestellt und vermittelt werden. Das ist in der Tat eine Herausforderung, der wir besonders schnell nachkommen müssen, denn der Termin steht unmittelbar bevor.

Deutschlandradio Kultur: Welches Personal wünschen Sie sich denn für die Truppe? Da gibt’s ja schon Befürchtungen. Ich sage jetzt nur mal die Stichworte. Der eine spricht vom Prekariat und der andere spricht von Rambos.

Volker Wieker: Wir sollten hier auch nicht die Pferde scheu machen. Zunächst einmal ist es in der Tat so, dass wir bisher durch die Selektion, durch die Tatsache, dass wir drei bis vier Bewerber auf eine Dienststelle hatten, eine Qualitätssicherung des Personals sicherstellen konnten. Es geht also darum, möglichst viele Bewerber oder Interessenten für eine Laufbahn in den Streitkräften anzusprechen und zu gewinnen, um auch weiterhin diese Qualitätssicherung sicherzustellen. Wenn uns das gelingt, dann habe ich keine Befürchtungen, dass wir auch weiterhin ein breites soziales Gefüge in den Streitkräften abbilden können.

Sie sprachen die Attraktivität an. Das ist in der Tat richtig. Hier müssen wir große Anstrengungen unternehmen. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass wir auch schon eine Menge getan haben. Wir beginnen also nicht bei null. Wir machen bereits heute unseren Soldaten ein breites, auch zivilberuflich verwertbares Ausbildungsangebot. Und ich denke, dass wir auch in der Besoldung immer Augenmaß wahren sollten. Denn natürlich ist es so, dass Sie Bruttogehälter nicht vergleichen können. Allein die Tatsache, dass ein Normalbürger doch erhebliche Aufwendungen für seine eigene Gesundheit vorhalten muss, während wir eine freie Heilfürsorge gewährleisten, verschiebt ein wenig das Koordinatensystem im Vergleich eines Bruttogehaltes.

Also, es gibt eine Vielzahl von Rahmenbedingungen, die bereits bestehen. Aber es ist natürlich so, dass wir gerade in Konkurrenz zur Wirtschaft – und dem müssen wir entgegen sehen – noch mehr tun müssen, um diese Breite an Interessenten zu gewinnen.

Deutschlandradio Kultur: Was bedeutet Ihnen Loyalität?

Volker Wieker: Loyalität ist kritische Gefolgschaft. Loyalität ist nicht etwas, das man um jeden Preis gewährt, sondern Loyalität bedeutet Zivilcourage, bedeutet Aufrichtigkeit, bedeutet auch das Stehen zu einem anderen Standpunkt, das Deutlichmachen. Aber in letzter Konsequenz bedeutet es auch das gemeinsame Tragen von Entscheidungen, um die man möglicherweise auch gerungen hat.

Deutschlandradio Kultur: Was würden Sie einem jungen Menschen antworten, der Sie um Rat bittet und fragt, ob er zur Bundeswehr gehen soll?

Volker Wieker: Ich würde ihm sagen, ich würde ihm raten, ähnlich wie ich es selbst getan habe, zunächst einmal den Betrieb Bundeswehr zu erleben, vielleicht noch nicht unter einem sehr weit reichenden Verpflichtungscharakter, und – wenn er auf dieser Grundlage zu der Erkenntnis kommt, das wäre etwas für mich – sich dann zu einer längerfristigen Bindung zu entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Herr Wieker, wir danken für das Gespräch.

Volker Wieker: Ich danke.
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