Wiederkehr der Religion
Die Wiederkehr der Religion ist nach dem Untergang des Kommunismus der beherrschende Faktor unserer Gegenwart. Das gilt nicht nur für die Politik, das gilt auch für unser Bewusstsein. Darum geht es auch in dem Buch "Widerworte. Wieviel Modernisierung verträgt Religion?" des Theologen Klaus Berger.
Ob wir es mögen oder nicht, Al-Quaida hat uns unserem längst vergessenen Gott wieder näher gebracht. Einige erinnern sich, dass auch Christen Märtyrer gezeugt haben: einen St. Sebastian und einen St. Xavier und einen Bonhoeffer.
Andere wissen, dass uns nicht nur eine enge und oft schmerzliche Geschichte mit den Juden verbindet, sondern auch mit den Moslems. Wir haben mit Verblüffung vernommen, dass die Moslems uns als Kreuzritter in ihrem historischen Gedächtnis verankert haben, aber auch, dass die Moslems unter ihrem Feldherrn Tariq ibn Ziyad 711 ganz Spanien, das damalige Westgotenreich, eroberten und Jahrhunderte lang besetzt hielten. Der Kontakt zu der muslimischen Welt ist intensiv wenn auch weitgehend verborgen geblieben. Allein in den knapp 100 Jahren zwischen 1580 und 1689 raubten, verkauften und versklavten muslimische Piraten aus Nordafrika mehr als 850 000 Christen.
"Die Wiederkehr der Religion" ist nach dem Untergang des Kommunismus der beherrschende Faktor unserer Gegenwart. Das gilt nicht nur für die Politik, das gilt auch für unser Bewusstsein. Es trifft sich also gut, dass der Heidelberger Theologe Klaus Berger unter der Überschrift "Widerworte. Wieviel Modernisierung verträgt Religion?" eine Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen publiziert. An dem Begriff Widerworte darf man sich dabei nicht stören. In der Regel erwartet einen der pure Konformismus, wenn Widerworte, Widerspruch oder gar Widerstand angekündigt werden, vielleicht sogar eine Unterschriftensammlung für irgendeine mächtige Partei. Wenn Sie aufgefordert werden sollten, sich "mutig einzumischen", lassen Sie Ihren Cheeseburger fallen und rennen. Bergers Buch aber gibt zu solchen Anmutungen keinen Anlass. Es handelt sich um ein leidenschaftliches, ein empörtes, ein zugleich introvertiertes Selbstgespräch. Und seine Argumentation ist spannend. Berger sieht die christliche Kirche als eine Festung, die einen Schatz verbirgt, vielleicht sogar einen Gral. Belagert wird diese Festung von Blöden, von Böswilligen und von Beflissenen. Zu den Böswilligen zählt er die Journalisten.
"Ich hatte in letzter Zeit wiederholt Gelegenheit, Vertreter von deutschen Printmedien wegen ihrer Berichterstattung über Kirche, speziell die katholische, und kirchliche Themen zu befragen. Die Antworten: Berichtet wird nur über Skandale, Abweichler und Negativtrends. Das Publikum erwartet es so, und zwar aus vier Gründen: Erstens sei die Kirche eine machtvolle kulturelle Institution. Die Berichterstattung versuche, diese Macht zu "knacken" und gehe jedem Haarriss nach, aus dem beim nächsten Frost ein Absprengsel werden könnte. Denn Macht brauche eine kritische Begleitung. Zweitens müsse die Kirche kritisiert werden, weil sie viele Dinge hochhalte, die nicht mehr in die heutige Zeit passten. Es kamen dann ausschließlich Gesichtspunkte aus dem sexuellen Bereich: Zölibat, Verbot der Verhütung, Verbot des vor- und außerehelichen Verkehrs, Verbot der Scheidung, Verbot des Frauenpriestertums, sexuelle Übergriffe von Priestern, Stellung zur Homosexualität. Drittens: Kirche und Theologie muteten dem Menschen Dinge zu, die voraufklärerisch und vorwissenschaftlich seien, wie zum Beispiel Wunder. Und Viertens: Kirche sei vordemokratisch. Insofern müsse sie bekämpft werden."
Berger sieht in dieser Form der Berichterstattung nicht nur Böswilligkeit, sondern vor allem Ahnungslosigkeit, ein grundsätzliches Missverständnis darüber, was Glaube und Gott, Geschichte und Kirche sind. Er plädiert dabei ausdrücklich für die Dimension des Vorwissenschaftlichen als historisch und religiös bedeutsam.
"Je rationalistischer das Gottesbild der Kirchen gestaltet wird, umso stärker wandert magisches Verständnis von Religion in die Esoterik aus. Und Magie, das war und ist immer die vermeintlich vormoralische, angeblich primitive und "dingliche", die Götter mit Zwang bedrohende Religion der jeweils anderen, die Frömmigkeit der kulturell nicht akzeptierten Nachbarn."
Für Berger ist die Aufklärung der Wendepunkt. Mit ihr verlor die Transzendenz ihre Legitimität, die Philosophie ersetzte die Theologie und alle Formen der Spiritualität gerieten unter Ideologieverdacht. Seither definiert der eindimensionale Mensch unser Selbstbild.
"Während der Aufklärung schlug der Rationalismus eine Schneise in die Glaubenswelt - die beiden Kirchen leiden noch heute daran. Längst sind in den Buchhandlungen die Abteilungen "Religiöses" durch "Esoterik" ersetzt. "Esoterik" - das meint Umgang mit unsichtbaren Mächten und Kräften. Symbolische Praktiken sollen unsichtbare Vorgänge und Erscheinungen bewirken. Man ist bereit, die unglaublichsten Dinge zu akzeptieren: Reinkarnationsglaube ist noch das Harmloseste. Das alles geschieht, da die großen Kirchen aufgeklärt sind wie nie zuvor. Immerhin, schon gibt das neue "Evangelische Kirchenlexikon" zu: Esoterik sei nicht mehr nur Wissenschaftskriminalität, nicht mehr nur die "Metaphysik der dummen Kerle". Kündigt sich nun eine Wende in der Kirche der Aufklärung an?"
"Ich frage: ist der Beitrag, den Christen hier zu leisten haben, immer nur die Vernunft? Die Esoterik belehrt uns in neuheidnischer Form über Dinge, die Bibel und Christentum seit vielen Jahrhunderten verarbeitet und integriert, dem Glauben zugeordnet und in ihrem Realitätsgehalt gewürdigt haben. Mir scheint, der vorkonziliare Katholizismus hätte in diesem Punkt ein Gleichgewicht erlangt. Er hat es verloren, weil die Formen während der Aufklärung zusammenbrachen. Wer ein Gleichgewicht neu gewinnen will, muss wohl bei dem Stichwort Spiritualität einsetzen, denn hier geht es um das Verhältnis zur unsichtbaren Welt Gottes, und das ist nicht nur ein "Bewusstsein", sondern eine religiöse Praxis. Christentum ist als Religion wiederzuentdecken. Wer weiterhin Mystik schon an sich für Teufelszeug erklärt, wird den Zugang verfehlen."
Zentral für Bergers Überlegungen ist die historische Konstruktion unseres Menschenbildes. Er verfolgt zwei Argumentationsstränge: den einen manifest, den anderen latent. Manifest geht es um die abendländische, latent um die geopolitische Dimension. Berger bezweifelt, dass unser Menschenbild Krisen überstehen, dass es in seinem Schoße Hoffnung nähren kann. Berger meint, dass unser aufgeklärtes Menschenbild zu kurz greift, dass es Vernunft und Verlangen trennt, dass es das Irrationale, das Mystische, das Geheimnis unterschlägt. Man kann hier eine Brücke zu Sigmund Freud schlagen, der die gleiche These, wenn auch in einem anderem Vokabular, vertritt. Der Islam aber trennt nicht zwischen Vernunft und Verlangen und schon gar nicht zwischen Glaube und Gemeinschaft. Damit stellt sich - geopolitisch - die Frage, wer in diesem Kampf überleben, ja obsiegen wird. Die beiden Enkel Abrahams - Paulus und Mohammed - kämpfen seit Jahrhunderten um Legitimität und Macht, der Islam offensiv, das Abendland zaudernd. Gibraltar, Konstantinopel, Wien, New York, Madrid, London heißen die Etappen. Weite Teile des Abendlandes und ihre Metropolen sind unter Beschuss, andere schon unterworfen. Welcher Gott - fragt Klaus Berger - welcher Mensch, welche Ideologie wird unsere Zukunft bestimmen?
Andere wissen, dass uns nicht nur eine enge und oft schmerzliche Geschichte mit den Juden verbindet, sondern auch mit den Moslems. Wir haben mit Verblüffung vernommen, dass die Moslems uns als Kreuzritter in ihrem historischen Gedächtnis verankert haben, aber auch, dass die Moslems unter ihrem Feldherrn Tariq ibn Ziyad 711 ganz Spanien, das damalige Westgotenreich, eroberten und Jahrhunderte lang besetzt hielten. Der Kontakt zu der muslimischen Welt ist intensiv wenn auch weitgehend verborgen geblieben. Allein in den knapp 100 Jahren zwischen 1580 und 1689 raubten, verkauften und versklavten muslimische Piraten aus Nordafrika mehr als 850 000 Christen.
"Die Wiederkehr der Religion" ist nach dem Untergang des Kommunismus der beherrschende Faktor unserer Gegenwart. Das gilt nicht nur für die Politik, das gilt auch für unser Bewusstsein. Es trifft sich also gut, dass der Heidelberger Theologe Klaus Berger unter der Überschrift "Widerworte. Wieviel Modernisierung verträgt Religion?" eine Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen publiziert. An dem Begriff Widerworte darf man sich dabei nicht stören. In der Regel erwartet einen der pure Konformismus, wenn Widerworte, Widerspruch oder gar Widerstand angekündigt werden, vielleicht sogar eine Unterschriftensammlung für irgendeine mächtige Partei. Wenn Sie aufgefordert werden sollten, sich "mutig einzumischen", lassen Sie Ihren Cheeseburger fallen und rennen. Bergers Buch aber gibt zu solchen Anmutungen keinen Anlass. Es handelt sich um ein leidenschaftliches, ein empörtes, ein zugleich introvertiertes Selbstgespräch. Und seine Argumentation ist spannend. Berger sieht die christliche Kirche als eine Festung, die einen Schatz verbirgt, vielleicht sogar einen Gral. Belagert wird diese Festung von Blöden, von Böswilligen und von Beflissenen. Zu den Böswilligen zählt er die Journalisten.
"Ich hatte in letzter Zeit wiederholt Gelegenheit, Vertreter von deutschen Printmedien wegen ihrer Berichterstattung über Kirche, speziell die katholische, und kirchliche Themen zu befragen. Die Antworten: Berichtet wird nur über Skandale, Abweichler und Negativtrends. Das Publikum erwartet es so, und zwar aus vier Gründen: Erstens sei die Kirche eine machtvolle kulturelle Institution. Die Berichterstattung versuche, diese Macht zu "knacken" und gehe jedem Haarriss nach, aus dem beim nächsten Frost ein Absprengsel werden könnte. Denn Macht brauche eine kritische Begleitung. Zweitens müsse die Kirche kritisiert werden, weil sie viele Dinge hochhalte, die nicht mehr in die heutige Zeit passten. Es kamen dann ausschließlich Gesichtspunkte aus dem sexuellen Bereich: Zölibat, Verbot der Verhütung, Verbot des vor- und außerehelichen Verkehrs, Verbot der Scheidung, Verbot des Frauenpriestertums, sexuelle Übergriffe von Priestern, Stellung zur Homosexualität. Drittens: Kirche und Theologie muteten dem Menschen Dinge zu, die voraufklärerisch und vorwissenschaftlich seien, wie zum Beispiel Wunder. Und Viertens: Kirche sei vordemokratisch. Insofern müsse sie bekämpft werden."
Berger sieht in dieser Form der Berichterstattung nicht nur Böswilligkeit, sondern vor allem Ahnungslosigkeit, ein grundsätzliches Missverständnis darüber, was Glaube und Gott, Geschichte und Kirche sind. Er plädiert dabei ausdrücklich für die Dimension des Vorwissenschaftlichen als historisch und religiös bedeutsam.
"Je rationalistischer das Gottesbild der Kirchen gestaltet wird, umso stärker wandert magisches Verständnis von Religion in die Esoterik aus. Und Magie, das war und ist immer die vermeintlich vormoralische, angeblich primitive und "dingliche", die Götter mit Zwang bedrohende Religion der jeweils anderen, die Frömmigkeit der kulturell nicht akzeptierten Nachbarn."
Für Berger ist die Aufklärung der Wendepunkt. Mit ihr verlor die Transzendenz ihre Legitimität, die Philosophie ersetzte die Theologie und alle Formen der Spiritualität gerieten unter Ideologieverdacht. Seither definiert der eindimensionale Mensch unser Selbstbild.
"Während der Aufklärung schlug der Rationalismus eine Schneise in die Glaubenswelt - die beiden Kirchen leiden noch heute daran. Längst sind in den Buchhandlungen die Abteilungen "Religiöses" durch "Esoterik" ersetzt. "Esoterik" - das meint Umgang mit unsichtbaren Mächten und Kräften. Symbolische Praktiken sollen unsichtbare Vorgänge und Erscheinungen bewirken. Man ist bereit, die unglaublichsten Dinge zu akzeptieren: Reinkarnationsglaube ist noch das Harmloseste. Das alles geschieht, da die großen Kirchen aufgeklärt sind wie nie zuvor. Immerhin, schon gibt das neue "Evangelische Kirchenlexikon" zu: Esoterik sei nicht mehr nur Wissenschaftskriminalität, nicht mehr nur die "Metaphysik der dummen Kerle". Kündigt sich nun eine Wende in der Kirche der Aufklärung an?"
"Ich frage: ist der Beitrag, den Christen hier zu leisten haben, immer nur die Vernunft? Die Esoterik belehrt uns in neuheidnischer Form über Dinge, die Bibel und Christentum seit vielen Jahrhunderten verarbeitet und integriert, dem Glauben zugeordnet und in ihrem Realitätsgehalt gewürdigt haben. Mir scheint, der vorkonziliare Katholizismus hätte in diesem Punkt ein Gleichgewicht erlangt. Er hat es verloren, weil die Formen während der Aufklärung zusammenbrachen. Wer ein Gleichgewicht neu gewinnen will, muss wohl bei dem Stichwort Spiritualität einsetzen, denn hier geht es um das Verhältnis zur unsichtbaren Welt Gottes, und das ist nicht nur ein "Bewusstsein", sondern eine religiöse Praxis. Christentum ist als Religion wiederzuentdecken. Wer weiterhin Mystik schon an sich für Teufelszeug erklärt, wird den Zugang verfehlen."
Zentral für Bergers Überlegungen ist die historische Konstruktion unseres Menschenbildes. Er verfolgt zwei Argumentationsstränge: den einen manifest, den anderen latent. Manifest geht es um die abendländische, latent um die geopolitische Dimension. Berger bezweifelt, dass unser Menschenbild Krisen überstehen, dass es in seinem Schoße Hoffnung nähren kann. Berger meint, dass unser aufgeklärtes Menschenbild zu kurz greift, dass es Vernunft und Verlangen trennt, dass es das Irrationale, das Mystische, das Geheimnis unterschlägt. Man kann hier eine Brücke zu Sigmund Freud schlagen, der die gleiche These, wenn auch in einem anderem Vokabular, vertritt. Der Islam aber trennt nicht zwischen Vernunft und Verlangen und schon gar nicht zwischen Glaube und Gemeinschaft. Damit stellt sich - geopolitisch - die Frage, wer in diesem Kampf überleben, ja obsiegen wird. Die beiden Enkel Abrahams - Paulus und Mohammed - kämpfen seit Jahrhunderten um Legitimität und Macht, der Islam offensiv, das Abendland zaudernd. Gibraltar, Konstantinopel, Wien, New York, Madrid, London heißen die Etappen. Weite Teile des Abendlandes und ihre Metropolen sind unter Beschuss, andere schon unterworfen. Welcher Gott - fragt Klaus Berger - welcher Mensch, welche Ideologie wird unsere Zukunft bestimmen?