Wiederaufbau von Palmyra

Erst die Menschen, dann die Steine

08:38 Minuten
Ruinen des Baal-Tempels in der antiken Stadt Palmyra in Syrien.
Der antike Baaltempel in der Ruinenstadt Palmyra vor seiner Zerstörung. © picture alliance/ imageBROKER/ Andrey Nekrasov
Stefan Weber im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 24.08.2020
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Vor fünf Jahren zerstörte der IS antike Tempel in der syrischen Ruinenstadt Palmyra. Ein möglicher Wiederaufbau könne warten, sagt der Islamwissenschaftler Stefan Weber. Wichtiger sei es, den Menschen in Städten wie Aleppo zu helfen.
Stephan Karkowsky: Nachrichten aus Syrien hören wir kaum noch. Dabei ist der Bürgerkrieg noch immer nicht vorbei und der Wiederaufbau in weiter Ferne. Heute vor genau fünf Jahren kam die Nachricht, dass der sogenannte IS die Tempelstadt Palmyra mit dem 2.000 Jahre alten Baaltempel zerstört hat. Was daraus werden soll und aus anderen antiken Städten in Syrien, das möchte ich mit Professor Stefan Weber besprechen. Der Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin hat viele Jahre in Syrien und im Libanon gelebt. Herr Weber, denken Sie doch bitte für uns noch einmal fünf Jahre zurück. Wie haben Sie von der Zerstörung Palmyras erfahren?
Stefan Weber: Man hat es eine ganze Zeit beobachtet, was kaputt ging, und als dann der IS einmarschierte und dann die ersten blauen Tonnen mit Sprengstoff angebunden worden sind, so nach dem Motto: erst mal erobert, und wir lassen nichts zurück, dann war schon schnell klar, das wird vielleicht so ein ähnliches Ding wie bei Bamiyan, dass sich da was hochschaukelt.
Eine der beiden riesigen, Jahrhunderte alten Buddha-Statuen von Bamiyan, aufgenommen im Februar 2001. Kurz darauf wurden die beiden Statuen von den Taliban gesprengt.
Eine der beiden riesigen, Jahrhunderte alten Buddha-Statuen von Bamiyan, aufgenommen im Februar 2001. Kurz darauf wurden die beiden Statuen von den Taliban gesprengt.© dpa/ epa / afp / Chapon
Karkowsky: Die Buddha-Statuen.
Weber: Die Buddha-Statuen, wo dann der IS versuchte, in einem historisierenden Größenwahn, auch diese Presseaufmerksamkeit zu nutzen, um sich zu zeigen in seiner Wirkungsmacht, so: Wir sind die Neuen, und wir zerstören alles, was vorher war. Das ging ja danach relativ schnell. Es war leider ein trauriges Beispiel.
Erst der schöne kleine Baalschamin-Tempel – das war, glaube ich, am 25. August – und dann ein paar Tage später der Bel-Tempel. Ein unglaublich tolles Bauwerk, so ein bisschen eine Mischung zwischen römischen und mesopotamischen Stilen. Sieht römisch aus, aber er funktionierte ganz anders als ein römischer Tempel – ein tolles Gebäude!
Dann die Grabtürme, die man schon von Weitem sehen konnte, immer, wenn man in die Stadt reinfuhr. Das sind so Türme, wo so wie Schubladen drin, Loculi-Gräber sind, die vorne immer ganz tolle Verschlussplatten hatten, wo praktisch die Personen in Steinmetzarbeiten dargestellt waren. Unglaublich tolle Sachen!
Grabtürme Westnekropole im syrischen Palmyra 25.02.2003
Eine alte Aufnahme aus dem Jahr 2003: die Grabtürme der Westnekropole im syrischen Palmyra.© dpa / Matthias Tödt
Karkowsky: Ich erinnere mich daran, dass es vor fünf Jahren durchaus auch Leserbriefe und Kommentare von Menschen gab, die sagten: Da sterben Hunderttausende von Menschen, und ihr trauert ein paar alten Steinen hinterher! Ist das ein Vorwurf, den man als Archäologe und Denkmalpfleger im Krieg immer zu hören kriegt und aushalten muss?

Mehr Aufmerksamkeit für menschliches Leid

Weber: Ja, der ist auch nicht ganz unbegründet. Diese unglaubliche Aufmerksamkeit damals für Palmyra, weil man sich damit identifizierte: schon ein bisschen schwierig.
Also heute zum Beispiel gibt es ein modernes – also das gab es damals auch –, das moderne Palmyra, da leben heute nur noch 3.000 von 60.000 Menschen, die sind zurückgekehrt. Da gibt es kaum Wasser, dreckiges Wasser, Elektrizität kommt alle paar Tage, die Menschen leben in Elend. Die Oasen um Palmyra herum sind um 40 Prozent abgebrannt.
Das sind gerade die herausragenden Probleme vor Ort. Also das menschliche Leben, das muss gerettet werden. Wir sind natürlich aber Fachleute für das eine. Ind wenn man uns fragt, dann können wir besser darauf antworten. Aber klar, erst mal müsste die Aufmerksamkeit eigentlich genau auf die Menschen gehen. Ein paar Ruinen, das sage ich jetzt mal so läppisch, aber Ruinen können wieder aufgebaut werden, Menschen brauchen aber schnelle Hilfe.

Wiederaufbau hat Zeit

Karkowsky: Was wissen Sie denn darüber, wie es derzeit vor Ort in Palmyra aussieht? Haben da überhaupt schon Aufbauarbeiten begonnen?
Weber: Noch nicht. Also gerade ist auch Corona überall, und Syrien hat es ziemlich hart getroffen. Es gibt aber keine strukturelle Aufräumarbeiten, nur rubble management, um die Steine zu sortieren für den späteren Wiederaufbau. Es gibt auch keine Restaurierungen. Die Eremitage hat einen Vertrag unterschrieben, dass sie jetzt die ersten Stücke im Museum restauriert. Und ein 3D-Scan ist von der Eremitage fertiggestellt worden, erst mal eine Dokumentation.
Aber es ist auch, ehrlich gesagt, nicht wichtig. Es gibt niemanden, der in Palmyra wohnt, es gibt keine Touristen, es gibt keine harten Winter. Das kann liegenbleiben. Also es ist praktisch wie die Frauenkirche in Dresden, die hat ja auch lange gelegen. Sogar noch viel besser, wenn im Augenblick nicht Aktionismus stattfindet und alles weggeräumt wird. Denn solange das noch dokumentiert liegt, wie es in der Sturzlage ist oder in der Sprengung, kann man einige Dinge wieder aufbauen. Das hat aber auch dann Zeit.
Solange es in Syrien andere Probleme gibt, geht es nicht darum, jetzt schnell wieder aufzubauen, oder sich wie Boris Johnson damals am Trafalgar Square zu produzieren und in einem Dualismus mit den Dschihadisten einzugehen, wo man sagt: Wir machen das wieder ganz, was ihr da kaputtmacht. Das macht keinen Sinn. Man hat jetzt Zeit, sich auf Dinge zu konzentrieren, die wirklich wichtig sind. Das sind die Menschen, oder es sind natürlich Städte, die bewohnt sind.
Eine verlassene Straße im Aleppo der Nachkriegszeit. Eine Katze sitzt zwischen Müllresten.
Eine Straße in Aleppo, vom Krieg gezeichnet. © Michael Alaeddin/Sputnik/dpa
Es gibt genug Kulturerbestädte in Syrien oder alte Städte. Aleppo ist die älteste, durchgehend bewohnte Stadt der Welt, ist sowas wie Barcelona oder Florenz, und das liegt in Trümmern. Da kommen die Leute zurück, denn da müssen sie leben, da müssen sie arbeiten. Das sind dann wirklich die Hotspots, wo es Schnittmengen zwischen der Not der Menschen und der Not des Denkmalschutzes gibt...

Welche Art von Wiederaufbau wollen wir?

Karkowsky: Wenn wir kurz noch mal bei Palmyra bleiben könnten, es macht ja wahrscheinlich auch einen Unterschied, ob Berlin sein altes Stadtschloss rekonstruiert und als Humboldt-Forum wieder aufbaut oder ob man historische Ruinenstätten auferstehen lassen möchte. Wenn es denn losgeht, wie soll denn das am besten geschehen? Ich meine, niemand wird doch wahrscheinlich auf die Idee kommen, den Originalzustand wiederherstellen zu wollen aus der Zeit, als die Tempel noch genutzt wurden, oder?
Weber: Nein, das gibt es eigentlich kaum oder nicht. Gott sei Dank sind ja eigentlich überall in den meisten Ländern der Welt Fachleute am Werk, und die syrischen Fachleute sehen es ziemlich ähnlich wie die deutschen Fachleute. Man hat manchmal Streitigkeiten, bis zu welchem Grad man rekonstruiert. Aber einen ganzen Neubau aus Plastik, so Disneyworld, oder aus Grundstein, das würden sie nicht machen, oder aus Beton.
Es gibt durchaus Menschen, die das gerne möchten, und jeder hat seine Ansicht. Und Denkmalschutz muss auch ausgehandelt werden gesellschaftlich. Es gibt kein falsch oder richtig per se. Aber das wird nicht passieren. Also alle syrischen Fachleute, die ich kenne, würden da jetzt nicht einen Tempel aus Beton hinsetzen und dann eine Fassade davorstellen, sondern wenn, dann geht es darum, überhaupt zu überlegen: Baut man auf? Es gibt Stimmen, die auch sagen: Lassen wir es so liegen als Mahnmal. Kennen wir auch, Frauenkirche.
Karkowsky: Aber was sagen Sie denn? Das wäre ja auch eine Möglichkeit, einfach so zu sagen: Okay, Ruinenstadt war es ja vorher schon, wahrscheinlich ist ja der IS nicht der erste, der Palmyra angegriffen hat. Warum lässt man es nicht liegen?
Weber: Das muss man entscheiden. Möchte man jetzt sagen, wir wollen – das ist auch berechtigt – das so schnell wie möglich wie vor dem Krieg wiederherstellen? Das lässt sich auch zum Teil machen. Zu 80 Prozent, sagt man, wäre der Baalschamin-Tempel wieder herstellbar. Ja, das würde ich auch machen, wenn die Gelder da sind. Aber erst, wenn die moderne Stadt Wasser und Strom hat.

"Neokoloniale Aneignung von Geschichte"

Karkowsky: Es gibt ja Archäologen, die sagen: Ach, wir fixieren uns bei Palmyra zu sehr auf die Antike, und andere historische Zeitabschnitte werden vernachlässigt. Wie sehen Sie das?
Weber: Ja, das ist schon fast ein bisschen eine neokoloniale Aneignung von Geschichte, denn die Antike ist auch ein Teil der syrischen Geschichte, aber warum nicht auch die anderen historischen Epochen?
Aber Aleppo ist ein ganz anderes Kaliber. Da wohnen mehrere Hunderttausend Menschen, das war eine und ist eine noch lebende Altstadt mit Basaren, den größten der Welt. Mit einer unglaublichen Zitadelle, einer wichtigen Altstadt, wie gesagt, die älteste, durchgehend besiedelte Stadt der Welt, muss man sich erst mal klarmachen. Da ist es wichtig, dass man Menschen hilft.
Das Problem ist, dass überall Fachkräfte fehlen. Es gibt einen politischen Deadlock. Also man sagt, es gibt erst Gelder oder Geberkonferenzen, wenn Reformen im Staat angegangen werden, was ich politisch verständlich finde, was aber den Menschen natürlich nicht hilft. Hier müsste man sehr schnell Hilfe zur Selbsthilfe geben, um überhaupt mal möglich zu machen, dass man denkmalgerecht wieder aufbaut.
Das heißt aber nicht, dass man praktisch jetzt alles wieder hundertprozentig so macht wie vorher, sondern dass man überhaupt erst mal mit Steinmetzen überlegt: Wie werden die Bögen gebaut? Ist ein Rundbogen richtig hier oder sonst was. Wie kann man wieder aufbauen, wenn keine Archive da sind, wenn keine Bilder da sind, um zu sehen, wie sah es denn mal aus, und wie muss jetzt der Bogen hingebaut werden. Das sind so ganz, ganz einfache Sachen, und da arbeiten wir auch dran, aber das müsste viel, viel intensiver funktionieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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