Wieder hören, sehen und fühlen können

Von Stephanie Kowalewski · 06.01.2008
Mit Hilfe von Neuroprothesen werden Organe oder Nerven stimuliert. So sollen schwer hörgeschädigte oder sogar taube Menschen wieder hören und Sehbehinderte und Blinde wieder sehen können. Elektroden in den Tiefen des Gehirns ermöglichen Parkinsonpatienten ein ruhiges Leben ohne ständiges Zittern und erleichtern depressiven Menschen den Alltag.
Für rund 200.000 Menschen in Deutschland ist die Welt - still. Doch wer nicht hören kann, kann auch das Sprechen nicht lernen und das erschwert den Alltag erheblich. Elektronische Neuroprothesen im Ohr sind da für viele eine Hoffnung.

"CI steht für Cochlea-Implantat und stellt eine elektrische Innenohrprothese dar, bei der die Funktion des Innenohres ersetzt wird, und ist damit die einzige beim Menschen anwendbare Sinnesprothese, die nicht nur im Experiment funktioniert, sondern die wirklich weltweit zum klinischen Einsatz kommt."

Thomas Stark ist Oberarzt an der HNO-Klinik der Ruhr-Universität Bochum. Hier betreut er Patienten, deren Haarzellen in der Cochlea, also der Gehörschnecke, nicht mehr in der Lage sind, mechanischen Schallwellen in elektrische Reize umzuwandeln. Das, was das Ohr selber nicht mehr leisten kann, übernimmt jetzt das Cochlea-Implantat. Teile der Hörprothese trägt der Patient außen am Körper, andere werden ins Ohr und den Schädel eingebaut.

"Im äußeren Teil sitzt also ein Mikrophon, was den Schall aufnehmen muss. Das wird weitergegeben in einen kleinen Prozessor, den eigentlichen Sprachprozessor, wo diese Information eben umgewandelt werden muss in elektrische Impulse."

Der Sprachprozessor ist heute so klein, dass er unauffällig hinter dem Ohr getragen werden kann. Hinzu kommt ein Sender, der in einem Magnet außen am Kopf sitzt. Diesem Sendemagneten gegenüber liegt im inneren des Kopfes das eigentliche Implantat: ein magnetischer Empfänger samt winziger Elektrodenbündel, sagt Andreas Engel, Ingenieur am Bochumer Elisabeth-Krankenhaus.

"Die Elektrode können sie sich vielleicht am ehesten vorstellen wie eine gekochte Spaghetti, auch von der Steifigkeit her und vom Durchmesser her. Das Ganze ist schon sehr, sehr fein."

Diese winzigen Fadenelektroden stimulieren dann direkt den Hörnerv, der die elektrischen Reize ans Gehirn weiterleitet. Dann muss der Ingenieur Andreas Engel das Implantat auf jeden Patienten individuell einstellen. Das geht ganz bequem über den Sprachprozessor.

"Der Sprachprozessor hat eine Programmierbuchse. Da kommt ein Kabel hinein. Und angeschlossen wird der Sprachprozessor an ein Notebook. Und der Sprachprozessor sendet dann natürlich per Funk durch die Haut zum Implantat."

Gemeinsam mit dem Patienten tastet sich der Ingenieur langsam an die Strommenge heran, bei der der Patient Töne hört. Überraschenderweise weiß niemand so genau, was die Patienten dann tatsächlich hören. Wie für sie zum Beispiel der Satz "Ich bin nicht nass geworden" wirklich klingt.

Es wird allerdings vermutet, dass es sich nicht sehr natürlich anhört. Eher blechern oder elektronisch. Dennoch sind die meisten Menschen mit einem Cochlea-Implantat wieder in der Lage, Alltagsgeräusche wahrzunehmen, sich zu unterhalten und zu telefonieren. Einige sollen sogar wieder Musik genießen können. Auch wenn sie nicht alle Töne wahrnehmen.

Seit Jahren arbeiten Forscher unterschiedlichster Disziplinen an einer Prothese für das Auge, die bei Patienten mit unheilbaren Netzhauterkrankungen die Arbeit der zerstörten Zellen übernehmen soll. Retinitis Pigmentosa heißt die Erbkrankheit, bei der die Netzhaut von außen nach innen abstirbt, bis die Sehkraft schließlich völlig erlischt, erklärt Prof. Peter Walter, Direktor der Universitäts-Augenklinik in Aachen.

"Bei dieser Erkrankung liegt ein Defekt in den Genen vor, die für den Bau von Stoffen, Eiweißen zuständig sind, die unabdingbar sind dafür, dass die Zellen aus Licht einen Nervenimpuls machen. Und dadurch funktionieren diese Zellen nicht bzw. sterben nach einer Zeit ab. Und zwar immer mehr."

Allein in Deutschland leiden etwa 40.000 Menschen an der heute noch unheilbaren Krankheit. Weltweit sind es schätzungsweise drei Millionen. Bei der Krankheit werden nur die lichtempfindlichen Zellen der Retina – also der Netzhaut - zerstört. Die dahinter liegenden Nervenzellen, die die Informationen ans Gehirn weiterleiten, bleiben zumindest teilweise erhalten. Und genau diese Nervenzellen wollen die Wissenschaftler mit dem Sehimplantat direkt ansteuern, so Prof. Wilfried Mokwa, Elektrotechniker an der RWTH Aachen.

"Die Idee ist ja, dass man die ausgefallene Funktion, nämlich die Umsetzung der Sehreize in elektrische Reize, dass man diese Funktion ersetzten will, indem man elektrisch stimuliert. … Dazu ist es natürlich notwendig, dass wir zuerst mal mit Hilfe einer Kamera, die Sehinformationen aufnehmen."

Dazu wird eine winzige Videokamera in eine handelsübliche Brille eingebaut und übernimmt praktisch das Sehen. Die Videobilder werden dann durch einen Computer in elektrische Impulse umgerechnet, die die Nervenzellen stimulieren. Dieser Computer ist etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel und kann am Gürtel getragen werden, sagt der Arzt Peter Walter.

"Diese Daten müssen dann irgendwie zu dem Implantat in dem Auge gebracht werden. Das erreichen wir über einen Sender, der vor dem Auge angebracht ist und auch in dem Brillengestell integriert wird. Und im Auge ist ein Empfänger. Also im Prinzip ist das wie ein Radiosender, der Energie und Daten in das Auge hinein sendet."

Und zwar dratlos. Im Auge selbst werden die Kameradaten dann auf eine implantierte hauchdünne Folie übertragen, die mit Elektroden versehen ist. Die Elektroden stimulieren dann die Nervenzellen der Netzhaut, die noch intakt sind, und diese Reize werden dann über den Sehnerv ans Gehirn weitergeleitet. Optimalerweise sieht der Mensch dann das, was die Kamera filmt. Doch wirklich klare Bilder werden mit dem Implantat nicht zu sehen sein, meint der Augenarzt Peter Walter, denn noch verfügt das Implantat über viel zu wenig Elektroden.

"Wir streben hier also die Zahl von 500 bis 1000 Elektroden auf einer Fläche von drei mal drei Millimetern etwa an. Das wäre schon ein wahnsinniger technologischer Fortschritt und damit könnte man sicherlich schon Sehschärfen erreichen, die besser als zehn Prozent sind. Im Moment sind wir noch bei bescheidenen 25 Elektroden."

Aber dass es funktioniert, kann man eben auch mit 25 Elektroden zeigen. Inzwischen wurde die Sehprothese im Rahmen einer Studie sechs Menschen implantiert. Die ersten Erfahrungen seien sehr viel versprechend, sagt der Augenarzt. Die genauen Ergebnisse werden derzeit ausgewertet. In ungefähr fünf bis sieben Jahren soll das Implantat dann für den klinischen Einsatz zur Verfügung stehen.

Der Kopf des Patienten wird mit einem Ring fixiert, sodass er sich nicht mehr bewegen kann. Dann wird ein kleines Loch in den Schädel gebohrt. Die Patienten sind nur örtlich betäubt und bei Bewusstsein wenn der Kölner Neurochirurg Volker Sturm sich mit einer hauchdünnen Sonde den Weg durch ihr Gehirn bahnt, um in der Tiefe des Organs winzige Elektroden zu implantieren.

"Tiefenhirnstimulation ist ein Verfahren, mit dem man durch ganz schwache elektrische Impulse, die gezielt in tiefe Hirnregionen abgegeben werden, fehlgesteuerte Hirnaktivität nun wieder auf normalen Wert bringen kann und damit eben bestimmte Erkrankungen, die ansonsten nicht mehr behandelbar sind, noch effektiv therapieren kann."

Bei der Tiefenhirnstimulation werden die Elektroden an die Gehirnzellen angedockt, die durch einen Defekt aus dem Takt geraten sind. Die meisten Erfahrungen mit der Tiefenhirnstimulation gibt es bei der Behandlung von Parkinsonpatienten und Menschen, die unter so starkem Zittern leiden, dass der Alltag eine Qual für sie wird.

"Und schließlich, das ist ein Gebiet das immer wichtiger wird aber noch relativ neu ist, das sind schwerste psychiatrische Krankheiten."

Menschen, die sich zum Beispiel die Haut blutig schrubben, weil sie sich zwanghaft waschen müssen, profitieren sehr von der Tiefenhirnstimulation. Neuerdings werden auch Patienten mit schwersten Depressionen mit Elektroden im Gehirn versorgt. Über einen Hirnschrittmacher, der ähnlich einem Herzschrittmacher unter die Haut am Brustbein eingesetzt wird, werden die Elektroden angesteuert. Langsam wird - zum Beispiel bei Parkinsonpatienten - die Strommenge erhöht, bis eine Wirkung eintritt. Wie ein Dimmer das Licht einer Glühbirne herunterregelt, so löscht der Strom die überschüssigen Impulse im Gehirn. Das ist das Spezialgebiet von Doris Lenartz, Fachärztin für Neurochirurgie an der Kölner Uniklinik.

"Ich kann direkt sehen, zittert die Hand noch oder nicht. Und sobald die Hand aufgehört hat zu zittern, weiß ich, jetzt sind wir bei der richtigen Stromstärke."

Solch direkte Erfolge sind bei den neun schwerst depressiven Patienten, die bisher einen Hirnschrittmacher implantiert bekommen haben, nicht zu beobachten. Bei ihnen findet Doris Lenartz die richtige Strommenge durch vorsichtiges Herantasten und Gespräche mit den Patienten.

"Das kann man dann nur daraus ersehen, wie die Patienten plötzlich berichten, dass sich ihr Leben wieder verändert hat, dass sie sich wieder aufs Leben konzentrieren können. Das ist auch sehr, sehr beeindruckend. Also wir hatten bislang von den psychiatrisch operierten Patienten keinen, bei dem es nicht geholfen hat."