Wie zu Stalins Zeiten
In der russischen Tageszeitung "Izvestija" haben 50 Schauspieler, Sänger, Schriftsteller und Sportler einen Brief unterschrieben, in dem sie das Urteil gegen den ehemaligen Jukos-Chef Chodorkowskij sinngemäß unterstützen. Die Stalinsche Tradition, Künstler politisch zu instrumentalisieren, findet offenbar ihre Fortsetzung.
Fett und großgedruckt stand in der Tageszeitung "Izvestija" vor einer Woche das zu lesen, was eine Diskussion auslöste, die bis heute andauert: Appell der Persönlichkeiten der Kultur, der Wissenschaft, der Vertreter der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit dem Urteil gegen den ehemaligen Jukos-Chef. Der Name Michail Chodorkowskij fällt in dem ganzen Brief nicht, aber um ihn geht es. Natürlich - so heißt es da - könne in einer demokratischen Gesellschaft jeder seine eigene Meinung haben. Aber noch viel wichtiger sei: Steuern müssten in Russland alle zahlen, auch die Reichen. Mit schmutzigen Händen könne man nicht Gutes tun. Unterschrieben haben 50 Schauspieler, Sänger, Schriftsteller und Sportler. Darunter der Historiker Roy Medwedjew, der Filmregisseur Stanislaw Goworuchin, der Theaterleiter Alexander Kaljagin, die Ballerina Anastasija Wolotschkowa und der Modeschöpfer Valentin Judaschkin. Der Politologe Leonid Radsichowskij hält den Brief für eine aus dem Kreml gesteuerte Aktion in Stalinscher Tradition:
" Die in Russland vergleichsweise kleine Zahl von aktiven Anhängern Chodorkowskijs hat fast schon ein Informationsmonopol gewonnen und dem Kreml war es wichtig zu zeigen, dass es auch andere gibt, nicht nur Beamte, sondern im ganzen Land bekannte, demokratisch gesinnte, intelligente Leute, die gegen Chodorkowskij sind. Natürlich hat das niemand freiwillig getan, man rief sie an, man forderte sie auf und sie haben unterschrieben. Die ganz gewöhnliche Praxis noch aus der Sowjetunion."
Die Künstler selbst hatten auf jeden Fall keine große Lust, der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie diesen Brief unterschrieben hatten. Der eine war kurzfristig ins Ausland verreist, andere waren außerhalb Moskaus auf Dienstreise und per Handy leider nicht erreichbar, wieder andere waren, wenn man sie doch erreichte, wahnsinnig in Eile.
Die Olympiasiegerin von Athen in der Rhytmischen Sportgymnastik, Anna Kabaeva, die den Anti-Chodorkowskij-Brief ebenfalls unterschrieben hatte, erklärte gegenüber dem Deutschlandradio kurz und bündig: Dazu gebe ich keinen Kommentar ab. Kein Kommentar kann manchmal aber auch schon viel Kommentar sein. Verschiedene Motive habe es für die Künstler gegeben zu unterschreiben, meint Leonid Radzichowskij:
" Der eine hat selbst Probleme mit den Steuern, der andere will einen Orden bekommen, noch einer will ein gesellschaftliches Amt beim Präsidenten erhalten, wieder einer ist einfach unheimlich froh und stolz, dass man ihn aus dem Kreml anruft und wieder einer ist zwar nicht froh, weiß aber nicht, wie er den Beamten des Kreml absagen soll."
Diejenigen Künstler, die doch Auskunft gaben, erzählten, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Rentner, Boris Panov, hätte ihnen das Schreiben vorbeigebracht und sie zur Unterschrift aufgefordert. Der Direktor des Zentrums für politische Information Alexej Muchin sieht in Panov in diesem Fall auch nur eine ausführende Marionette der Mächtigen. Viele der Unterzeichner seien Mitglieder der Putin-Partei "Einiges Russland". Letzendlich ging es den Leuten im Kreml, so der Politologe Leonid Radsichowskij einfach darum, mit Hilfe einflussreicher Künstler die Anti-Oligarchen-Stimmung in Russland zu kanalisieren, bevor diese sich gegen sie selbst richten könne:
" 80 Prozent der Bevölkerung sind absolut gegen Chodorkowskij und der Kreml stützt sich auf diese Leute. Doch gleichzeitig fürchtet er sie, denn sie sind eigentlich nicht gegen Chodorkowskij persönlich, sie sind gegen die Reichen, gegen die Privatisierung, gegen den Kapitalismus und das heißt letztendlich sind sie auch gegen Putin, nur dass sie es selbst noch nicht wissen. Und wenn man diese Stimmung nicht kontrolliert, bedeutet das, dass die Ergebnisse der Privatisierung rückgängig gemacht werden, den Oligarchen das Eigentum weggenommen wird, alles Dinge, die nicht nur für Putin tödlich gefährlich sind, sondern die heute kein einziger Politiker in Russland unterstützen würde. "
250.000 Rubel oder 7000 Euro war den Organisatoren die Anzeige wert, soviel kostete die halbe Seite in der "Izvestija". Am Tag nach deren Erscheinen distanzierte sich das Redaktionskollegium der Zeitung von dem Pamphlet unter der Überschrift "Auf welcher Seite steht ihr, Künstler?" Die Redakteure erinnern an die kollektiven Schmähschreiben, mit denen Intellektuelle sich zu Sowjetzeiten von ihren in Ungnade gefallenen Kollegen wie Pasternak, Wassili Grossman, Sinjawski und Daniel lossagten und deren staatlichen Häschern ihre Unterwürfigkeit versicherten.
Die Künstler würden mit solchen Auftritten – so die "Izvestija"-Redakteure – ihr Genre selbst diskreditieren. Die Intellektuellenzeitung "Nesavisimaja Gazeta" druckte einen Tag später Auszüge einiger von Künstlern und Wissenschaftlern unterschriebener Briefe aus den Jahren 1937/38 ab, die damals ebenfalls in der "Ivzestija" und der Parteizeitung "Pravda" erschienen. Die traurige Stalinsche Tradition, Künstler im Sinne der Macht zu instrumentalisieren - sie findet im Reich von Vladimir Putin nun offenbar ihre Fortsetzung. Vielleicht war es ja das, was der russische Präsident im April bei seiner Rede an die Nation mit der "Weiterentwicklung der Demokratie" gemeint hatte.
" Die in Russland vergleichsweise kleine Zahl von aktiven Anhängern Chodorkowskijs hat fast schon ein Informationsmonopol gewonnen und dem Kreml war es wichtig zu zeigen, dass es auch andere gibt, nicht nur Beamte, sondern im ganzen Land bekannte, demokratisch gesinnte, intelligente Leute, die gegen Chodorkowskij sind. Natürlich hat das niemand freiwillig getan, man rief sie an, man forderte sie auf und sie haben unterschrieben. Die ganz gewöhnliche Praxis noch aus der Sowjetunion."
Die Künstler selbst hatten auf jeden Fall keine große Lust, der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie diesen Brief unterschrieben hatten. Der eine war kurzfristig ins Ausland verreist, andere waren außerhalb Moskaus auf Dienstreise und per Handy leider nicht erreichbar, wieder andere waren, wenn man sie doch erreichte, wahnsinnig in Eile.
Die Olympiasiegerin von Athen in der Rhytmischen Sportgymnastik, Anna Kabaeva, die den Anti-Chodorkowskij-Brief ebenfalls unterschrieben hatte, erklärte gegenüber dem Deutschlandradio kurz und bündig: Dazu gebe ich keinen Kommentar ab. Kein Kommentar kann manchmal aber auch schon viel Kommentar sein. Verschiedene Motive habe es für die Künstler gegeben zu unterschreiben, meint Leonid Radzichowskij:
" Der eine hat selbst Probleme mit den Steuern, der andere will einen Orden bekommen, noch einer will ein gesellschaftliches Amt beim Präsidenten erhalten, wieder einer ist einfach unheimlich froh und stolz, dass man ihn aus dem Kreml anruft und wieder einer ist zwar nicht froh, weiß aber nicht, wie er den Beamten des Kreml absagen soll."
Diejenigen Künstler, die doch Auskunft gaben, erzählten, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Rentner, Boris Panov, hätte ihnen das Schreiben vorbeigebracht und sie zur Unterschrift aufgefordert. Der Direktor des Zentrums für politische Information Alexej Muchin sieht in Panov in diesem Fall auch nur eine ausführende Marionette der Mächtigen. Viele der Unterzeichner seien Mitglieder der Putin-Partei "Einiges Russland". Letzendlich ging es den Leuten im Kreml, so der Politologe Leonid Radsichowskij einfach darum, mit Hilfe einflussreicher Künstler die Anti-Oligarchen-Stimmung in Russland zu kanalisieren, bevor diese sich gegen sie selbst richten könne:
" 80 Prozent der Bevölkerung sind absolut gegen Chodorkowskij und der Kreml stützt sich auf diese Leute. Doch gleichzeitig fürchtet er sie, denn sie sind eigentlich nicht gegen Chodorkowskij persönlich, sie sind gegen die Reichen, gegen die Privatisierung, gegen den Kapitalismus und das heißt letztendlich sind sie auch gegen Putin, nur dass sie es selbst noch nicht wissen. Und wenn man diese Stimmung nicht kontrolliert, bedeutet das, dass die Ergebnisse der Privatisierung rückgängig gemacht werden, den Oligarchen das Eigentum weggenommen wird, alles Dinge, die nicht nur für Putin tödlich gefährlich sind, sondern die heute kein einziger Politiker in Russland unterstützen würde. "
250.000 Rubel oder 7000 Euro war den Organisatoren die Anzeige wert, soviel kostete die halbe Seite in der "Izvestija". Am Tag nach deren Erscheinen distanzierte sich das Redaktionskollegium der Zeitung von dem Pamphlet unter der Überschrift "Auf welcher Seite steht ihr, Künstler?" Die Redakteure erinnern an die kollektiven Schmähschreiben, mit denen Intellektuelle sich zu Sowjetzeiten von ihren in Ungnade gefallenen Kollegen wie Pasternak, Wassili Grossman, Sinjawski und Daniel lossagten und deren staatlichen Häschern ihre Unterwürfigkeit versicherten.
Die Künstler würden mit solchen Auftritten – so die "Izvestija"-Redakteure – ihr Genre selbst diskreditieren. Die Intellektuellenzeitung "Nesavisimaja Gazeta" druckte einen Tag später Auszüge einiger von Künstlern und Wissenschaftlern unterschriebener Briefe aus den Jahren 1937/38 ab, die damals ebenfalls in der "Ivzestija" und der Parteizeitung "Pravda" erschienen. Die traurige Stalinsche Tradition, Künstler im Sinne der Macht zu instrumentalisieren - sie findet im Reich von Vladimir Putin nun offenbar ihre Fortsetzung. Vielleicht war es ja das, was der russische Präsident im April bei seiner Rede an die Nation mit der "Weiterentwicklung der Demokratie" gemeint hatte.