"Wie zeigt man jemand beim Denken?"

Ein Gespräch mit Britta Bürger · 21.02.2012
Sie hat Filme über Gudrun Ensslin, Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen gemacht. Aber das Etikett "zuständig für berühmte Frauen" findet sie schrecklich, sagt Margarethe von Trotta, die derzeit an einem Porträt der Philosophin Hannah Arendt arbeitet. Heute feiert sie ihren 70. Geburtstag.
Ulrike Timm: Rebellische und selbstzerrissene Frauen sind das große Thema der Filmemacherin Margarethe von Trotta. "Die bleierne Zeit", wohl immer noch ihr bekanntester Film, stellte die Schwestern Gudrun und Christiane Ensslin in den Mittelpunkt, es folgten dann Filme über Rosa Luxemburg, die Frauen der Rosenstraße, die Mystikerin Hildegard von Bingen, und gerade in Arbeit ist ein Film über die Publizistin und politische Theoretikerin Hannah Arendt.

Heute wird Margarethe von Trotta 70 Jahre alt und meine Kollegin Britta Bürger, die sie vor ein paar Tagen traf, fragte erst einmal, ob sie denn ihren 70. Geburtstag für diesen Film über Hannah Arendt im Schneideraum verbringt?

Margarethe von Trotta: Nein, nein, nein, das geht nicht! Außerdem bin ich in Köln und hier ist Fasching, also, das wäre gar nicht möglich! Sie wissen, was hier bei Karneval los ist, da laufen ja nur maskierte Menschen rum und schreien "Alaaf" und da ist es überhaupt nicht möglich zu arbeiten. Nein, nein, ich fliehe nach Rom.

Bürger: Das war ja mal lange Ihr Lebensmittelpunkt.

von Trotta: Ja, sieben Jahre lang immerhin.

Bürger: Lassen Sie uns über den neuen Film sprechen, über Hannah Arendt, die Publizistin, politische Theoretikerin! Inwiefern ist dieser Film, inwiefern steht er in der Tradition Ihrer anderen Filme über starke, selbstbewusste, meist ja auch sehr politische Frauen, Frauen, die Einfluss haben wollten?

von Trotta: Ja, sicherlich steht der in der Tradition, ich weiß selber nicht, wie mir das immer geschieht. Also, es ist nicht so, dass ich das immer will und auch aussuche. Diesmal bin ich also durch einen Freund und ehemaligen Redakteur vom WDR drauf gestoßen worden und der hat schon beim Abschlussfest von "Rosenstraße" gesagt: "Ich würde mir wünschen, dass du…" und so weiter. Und damals war ich überhaupt nicht sofort begeistert. Also, ich dachte, wie kann man sich an so eine Intellektuelle heranwagen, das geht ja gar nicht, wie zeigt man jemand beim Denken? Also, bei Rosa Luxemburg, das war ja auch schon so eine Person, vor der ich große Angst hatte, aber immerhin, das war eine sehr bewegte Zeit und sie war auf der Straße und sie hat Reden gehalten und ist zum Schluss umgebracht worden, was ja auch ziemlich dramatisch ist, wenn man also im Film nach Dramatik sucht.

Also, bei Hannah Arendt war ich zunächst mal sehr zögerlich. Aber je mehr ich mich mit ihr beschäftigt habe, desto mehr fand ich halt auch, dass sie eigentlich einen Film verdient. Auch wenn ich vielleicht nicht unbedingt die Idealste bin, aber da sich bisher noch niemand daran gemacht hat und noch niemand daran gewagt hat, habe ich halt das Wagnis auf mich genommen.

Bürger: Sie konzentrieren sich in dem Film wohl auf Hannah Arendts Zeit im New Yorker Exil, auf ihre Berichterstattung auch über den Prozess gegen Adolf Eichmann, für den sie ja auch sehr angegriffen wurde, für diese Artikel, die sie darüber geschrieben hat, weil sie ihn als Schreibtischtäter sah. Hannah Arendt sprach von der "Banalität des Bösen". Nun versuchen Sie ja, Frau von Trotta, in all Ihren Filmen über historische Figuren, immer herauszuschälen, was die uns heute zu sagen haben. Wie ist das im Fall von Hannah Arendt?

von Trotta: Na ja, ihre ganze Analyse über Eichmann, das kann man auch immer wieder hören und immer wieder lesen und immer wieder daran denken, wie schnell es geht, dass normale, mittelmäßige Menschen eben ihren eigenen Willen und ihr eigenes Denken aufgeben. Es geht ja hauptsächlich in dem Film um Denken. Also, sie ist die Denkerin und stellt fest, dass das, was mit Eichmann passiert war, ist, dass er seine Person aufgegeben hat, dass er also die Kapazität zu denken, die ja eigentlich jedem Menschen mitgegeben ist, dass er die aufgegeben hat und dadurch gedankenlos wurde. Und nur durch diese Gedankenlosigkeit war er eben dann fähig, solche Untaten zu begehen, die … also, weil er einen Eid geleistet hatte und den Befehlen gefolgt ist und so weiter. Und dagegen schreibt sie an. Und dagegen kann man auch immer wieder angehen und den Leuten es immer wieder, den Menschen, bewusst machen, dass sie ihren eigenen Kopf benutzen sollen.

Bürger: Ihre Filme sind ja keine Dokumentationen, es sind Spielfilme, in denen Sie uns die Figuren meist von innen heraus erzählen. Und das stelle ich mir eben bei einer Frau wie Hannah Arendt auch besonders schwierig vor. Welches Material hat Ihnen denn dabei geholfen zu verstehen, nicht nur, wie sie dachte, sondern auch, wie sie fühlte?

von Trotta: Wir haben schon angefangen zu recherchieren, Pam Katz und ich, wir haben ja das Drehbuch zusammen geschrieben, eine New Yorker Autorin, und wir haben angefangen zu recherchieren schon 2003. Wir haben auch im Laufe der Zeit viele Menschen getroffen, die sie noch kannte. Also zum Beispiel ihre Freundin Lotte Köhler, die noch bis, im letzten Jahr ist sie leider gestorben, in New York lebte, dann ihre erste Biografin, die gleichzeitig ihre Studentin war, Elisabeth Young-Bruehl, leider auch letztes Jahr gestorben. Also, der Dritte im Bunde, der uns sehr geholfen hat, Jerome Kohn, ihr letzter Assistent, der lebt Gott sei Dank noch.

Und alle drei haben uns sehr bestärkt, diesen Film zu machen. Und als sie erfahren haben, dass Barbara Sukowa die Rolle spielen sollte, was ja nicht allen gleich einleuchtete, weil – also, in Deutschland jedenfalls nicht, weil sie halt blond ist und blauäugig, die Leute können sich ja immer nicht vorstellen, dass sich jemand mit dunklen Linsen oder so verändern kann und es hauptsächlich auf das innere Befinden und auf die Intellektualität, dass man das einer Person glaubt, ankommt, und nicht unbedingt auf das Äußere –, jedenfalls haben die uns sehr bestärkt, das mit der Barbara zu machen. Und Lotte Köhler hat immer wieder gesagt, Hannah Arendt würde sich darüber sehr freuen, weil sie Rosa Luxemburg sehr verehrt hat. Und dass dieselbe Person, die also die Rosa gespielt hat, jetzt sie spielt, das fand sie also wunderschön, ja.

Bürger: Ihr Sohn Felix ist als Historiker spezialisiert auf die Zeit des Nationalsozialismus, er spielt auch häufig in Ihren Filmen irgendeine kleine Rolle am Rande. Ist er auch diesmal an diesem Projekt beteiligt?

von Trotta: Ja, ja, diesmal ist er ein Hotelrezeptionist, der der Hannah Arendt ankündigt, dass ein Professor Heidegger für sie angekommen ist, ja.

Bürger: Wir sprechen hier im Deutschlandradio Kultur mit der Filmemacherin Margarethe von Trotta, an ihrem heutigen 70. Geburtstag. Inwieweit hat denn diese Beschäftigung mit Frauen, die nach Unabhängigkeit streben, was ja wirklich zu Ihrem Lebensthema geworden ist, auch was mit Ihrer eigenen Suche nach Ihrem Platz in der Welt zu tun?

von Trotta: Na ja, ich meine, wenn ich jetzt noch mal wieder auf Hannah Arendt zurückkommen darf: Sie war ja auch eine Zeit lang staatenlos. Sie ist aus Deutschland vertrieben worden oder sie ist geflohen, musste ja, als Jüdin und natürlich auch als Antinationalsozialistin ist sie nach Paris. Ich war auch zum Beispiel in Paris, mit 18, ich war auch staatenlos durch meine Mutter. Also, dieses Gefühl von Heimatlosigkeit, was sich dann bei ihr ja dann immer mehr auch verstärkt hat, und Fremdsein und … Also, da gibt es so viele Dinge, die auch für mich zutreffen.

Bürger: Ihre Mutter war aus dem Baltikum, glaube ich, nach Deutschland …

von Trotta: Ja, die war in Moskau geboren und nach der zweiten russischen Revolution ist ja die ganze Familie ... als Adlige mussten die halt fliehen. Und daraufhin haben sie automatisch die zaristische, also russische Staatsangehörigkeit verloren, weil das Land ja dann kommunistisch wurde, und sie hatten keinen Pass mehr. Ja, und daraufhin ist ein norwegischer Diplomat auf die Idee gekommen, dass die ja doch ein Papier haben müssen, um sich auszuweisen, und hat den Fremdenpass erfunden. Und das war ein Pass für Staatenlose. Also, die hatten dann wenigstens ein Papier in der Hand. Und meine Mutter und ihre Familie dann haben also diese Fremdenpässe bekommen. Und da meine Mutter nicht verheiratet war, ich also den Namen von ihr habe, hatte ich auch in der Folge dann die Staatenlosigkeit und bin erst durch meine erste Ehe Deutsche geworden.

Bürger: Sie haben mehrfach gesagt, dass Sie im Laufe Ihres Lebens pessimistischer geworden sind, pessimistischer in der Weise, dass sie nicht mehr davon ausgehen, dass sich die Welt verbessert, wenn man sich dafür in irgendeiner Weise engagiert. Hat das auch etwas damit zu tun, dass viele der Frauen, die sie uns in Ihren Filmen gezeigt haben, im Grunde gescheitert sind?

von Trotta: Ich weiß es nicht. Ich meine, vielleicht ist das auch ein normaler Fluss des Lebens, dass man mit der Erfahrung und mit dem, was man erlebt, dass das jedem so geht, dass das also jetzt nicht nur durch die Frauengeschichten, die ich erzählt habe, so virulent geworden ist. Ich glaube einfach, mit 20 oder auch noch mit 30 will man was verändern und merkt eben, dass man nur ein kleiner und ohnmächtiger Mensch ist und in der großen Geschichte sowieso nur ein Rädchen. Aber das heißt nicht, dass ich es aufgebe. Ich gebe nichts auf, nur, ich bin halt nicht mehr so … ja, gehe nicht mehr so beglückt in irgendeinen Protest hinein, ja.

Bürger: Sie haben im Laufe Ihrer Karriere international viel mehr Anerkennung bekommen als in Deutschland, hier mussten Sie mehrfach ziemlich viel Häme von Kritikern ertragen. Und doch sind Sie die wichtigste Vertreterin der deutschen Autorenfilmer Ihrer Generation. Warum haben es die Deutschen so schwer mit Ihren Filmen?

von Trotta: Ich kann es Ihnen auch nicht erklären, also … Werner Herzog hat mir schon gesagt, nachdem ich also in Venedig den Goldenen Löwen bekommen habe, da hat er gesagt, von jetzt ab wirst du in Deutschland getunkt. Das ist vielleicht … Die Deutschen können das nicht ertragen, und wenn es noch eine Frau ist, die also geehrt wird irgendwo anders … Ich weiß es nicht, vielleicht sind es auch meine Themen, die stören, vielleicht haben sie ja recht, vielleicht bin ich ja wirklich eine Krakelerin für die in ihren Augen.

Bürger: Aber es sind ja durch und durch deutsche Themen?

von Trotta: Ja, ja, natürlich, also, ich denke schon, dass ich da manchen an den Wagen fahre, aber ich kann es Ihnen nicht erklären. Ich fühle mich auch jedes Mal wieder, bin ich eigentlich betrübt darüber, aber es wird ja eben nicht an den Themen festgemacht, sondern mehr an meiner, oft an meiner Person und auch an der Art, wie ich es im Film darstelle. Und da bin ich immer nicht sicher: Mögen sie das jetzt wirklich nicht oder ist es im Grunde die Thematik, die dahinter ist, die ihnen nicht gefällt?

Bürger: Wird das Filmemachen weiterhin Priorität haben in Ihrem Leben, oder sind Sie dabei, kürzer zu treten?

von Trotta: Na ja, also, ich meine, solange man mich lässt, mache ich gerne weiter!

Bürger: Welche Frau würden Sie nach Hannah Arendt noch gerne ausloten?

von Trotta: Oh nein, jetzt bitte nicht! Jetzt muss ich erst mal ein Originaldrehbuch verfilmen, das auch schon geschrieben ist. Das hat mich eigentlich auch bei der Hannah Arendt schon gestört, dass ich das machen sollte, wie so ein Tattoo: "Die ist zuständig für berühmte Frauen". Das ist ja schrecklich! Nein, nein, jetzt muss ich erst mal wieder was machen, was eine ganz originäre Geschichte ist.

Timm: Und heute feiert sie erst mal ihren 70. Geburtstag, Margarethe von Trotta, die Filmemacherin. Und wir gratulierten mit einem Gespräch, das Britta Bürger vor ein paar Tagen mit ihr führte.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Die Philosophin Hannah Arendt im Jahr 1954.
Die Philosophin Hannah Arendt im Jahr 1954.© AP-Archiv
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