Wie wirken die Sanktionen?

Von Reinhard Baumgarten |
Die internationale Gemeinschaft verdächtigt den Iran, unter dem Deckmantel einer zivilen Forschung an Atomwaffen zu arbeiten. Teheran bestreitet das. Mehrere Gesprächsrunden mit Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zum iranischen Atomprogramm haben bisher keine wesentlichen Fortschritte gebracht.
Nächster Termin: Mitte Februar in Teheran. Es wird eng für den Iran, denn die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen im Atomstreit sind dort immer mehr zu spüren. Erst im vergangenen Monat traten neue EU-Sanktionen gegen das Land in Kraft. Die iranische Wirtschaft gerät immer weiter in einen Abwärtsstrudel.

Am Anfang herrschte im offiziellen Teheran die Annahme, die westlichen Staaten meinten es nicht wirklich ernst mit den angekündigten Sanktionen und dem Öl-Embargo. Sollten die Maßnahmen wirklich in Kraft treten, fechte das die Islamische Republik wenig an. Der Iran, davon war Präsident Mahmoud Ahmedinejad überzeugt, müsse sich wegen des EU-Ölembargos und der Wirtschaftssanktionen keine Sorgen machen.

Ahmedinejad: "Wir haben genug Währungsreserven, um damit zwei, drei Jahre lang das Land bestens verwalten zu können. Wir müssen nicht ein einziges Fass Öl verkaufen. Die Wünsche unserer Feinde werden nicht in Erfüllung gehen."

Es ist nicht ganz klar, worin die Wünsche dieser Feinde wirklich bestehen. Offiziell geht es Washington und seinen Verbündeten um die mutmaßliche Gefährlichkeit des iranischen Atomprogramms und ein Einlenken Teherans. Alles friedlich, alles zivil, beteuert Irans starker Mann, Ayatollah Ali Khamenei, immer wieder. Der Westen wisse das ganz genau.

Khamenei: "Wir wollen keine Atomwaffe. Wir haben sie weder bis jetzt produziert noch werden wir das tun. Das wissen sie sehr wohl. Das ist aber nur eine Ausrede. Einmal wird das als Vorwand benutzt und ein anderes Mal nehmen sie die Menschenrechte als Vorwand."

Entgegen den früheren Erwartungen von Präsident Ahmedinejad zeigen die Sanktionen Wirkung. Zum Beispiel bei den Preisen, sagt Mohammed Reza, der eine Apotheke im Westen Teherans betreibt.

Reza: "Bei bestimmten Produkten wie Babynahrung wissen wir, dass sie kürzlich zwischen 80 und 100.000 Rial gekostet haben. Heute werden sie für bis zu 400.000 Rial auf dem Markt gehandelt."

Preise für Grundnahrungsmittel und Gebrauchsgüter haben sich vervielfacht. Die Inflationsrate liegt offiziell bei 26 Prozent. Inoffiziell wohl deutlich höher. Die Arbeitslosigkeit steigt. Zum Beispiel in der Autoindustrie. Sie gehört zu den innovativsten Branchen der iranischen Wirtschaft. Der Produktionsrückgang soll iranischen Medien zufolge bei über 60 Prozent liegen.

Peugeot Frankreich beispielsweise hat aufgrund der Sanktionen die Zusammenarbeit mit seinen iranischen Lizenznehmern sowie die Lieferung von Autoteilen eingestellt. Der Wirtschaftsstudent Nader will den Druck auf die Bevölkerung nicht negativ beurteilen, denn er sei langfristig sogar vorteilhaft.

Nader: "Die Menschen stehen unter Druck und sind vielleicht unzufrieden. Aber aus meiner Sicht als Wirtschaftsstudent, langfristig gesehen, ist das ein Segen für unser Land.”"

Denn, so Nader, die iranische Wirtschaft werde zur Innovation gezwungen. Sie müsse sich selbst helfen. Sie hat das in den vergangenen Jahrzehnten auch erstaunlich gut geschafft. Die Islamische Republik schlägt sich seit ihrer Gründung mit Wirtschaftssanktionen herum. Doch nie waren diese so gründlich wie heute. Das hat inzwischen auch Präsident Ahmedinejad erkannt, der die Sanktionen als einen Krieg gegen sein Land auf vielen Ebenen bezeichnet.

Die iranische Währung hat seit Inkrafttreten des EU-Ölembargos sowie der Sanktionen gegen die iranische Finanzwirtschaft rund die Hälfte an Wert verloren. Die Ölexporte sind auf etwas mehr als eine Million Fass am Tag um mehr als fünfzig Prozent gesunken. Einnahmen aus dem Ölverkauf sind mit weitem Abstand der wichtigste Devisenbringer Irans. Der Präsident des Landes sollte das wissen, dennoch sagte er noch unlängst:

""Jeder weiß, dass der Außenhandel in der iranischen Wirtschaft keine große Rolle spielt. Aber hier wird er zur psychologischen Kriegsführung eingesetzt, und das beeinflusst ganz erheblich die Märkte."

Es beeinflusst vor allem ganz erheblich das Leben der 75 Millionen Iraner. Der iranischen Führung bleibt das nicht verborgen. Wir haben kein grundsätzliches Problem, sagte kürzlich Staatschef Ali Khamenei. Dann räumte er ein: Es gebe schon einige Probleme, sogar landesweite Probleme.

Er nannte Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit als Hauptsorgen der Bevölkerung. Die Unzufriedenheit wächst. Im Parlament hatten im Oktober 77 Abgeordnete den Präsidenten per Petition schriftlich dazu aufgefordert, vor der Nationalversammlung Fehler und Versäumnisse der Wirtschaftspolitik zu erklären. An die Adresse von Wirtschaftsminister Hosseini sagte der Abgeordnete Elias Naderan:

"Herr Hosseini, sie dürfen nicht immer die Sanktionen als Ursache nennen. Sie können nicht immer den Feind dafür verantwortlich machen. Missmanagement hat den Devisenmarkt in diese desolate Situation geführt. Die Regierung ist für diese Lage verantwortlich. Wir dürfen nicht reden und wir leiden darunter."

Missmanagement der Regierung - so lautete der Vorwurf der Abgeordneten. Der Präsident und seine Mannschaft, so die offene Kritik, seien für einen erheblichen Teil der Wirtschaftsprobleme sowie für den rasanten Verfall der iranischen Währung verantwortlich. Das Ansinnen der Parlamentarier, meinte dazu Staatschef Ali Khamenei, entspreche der Aufgabe der Legislative. Das sei gut so, aber:

"Ab hier darf das nicht mehr fortgesetzt werden. Hier an diesem Punkt soll es beendet werden. Das Land braucht Ruhe."

Zum Wohle der Nation hat der wirklich starke Mann Irans, Ajatollah Ali Khamenei, die renitenten Mandatsträger davon überzeugt, auf die öffentliche Befragung des Präsidenten zu verzichten. Doch die Vorwürfe stehen weiter im Raum und werden zumindest hinter vorgehaltener Hand heftig diskutiert, meint Davud Bavand von der Uni Teheran.

Bavand: "Misswirtschaft ist der Hauptgrund. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich sehe darin noch vor den Sanktionen den Hauptgrund."

Es tun sich Lücken in der Versorgung auf, stellt der Apotheker Mohammed Reza nüchtern fest, mit denen so niemand gerechnet hätte.

Reza: "Für drei, vier Monate hatte ich die Aufgabe, die Lagerbestände zu kontrollieren, damit im Fall von Sanktionen Engpässe bei Medikamenten vermieden werden. Aber das Problem scheint woanders zu liegen.

Ich glaube, die Behörde hat es nicht geschafft, eine zuverlässige Einschätzung über den Marktbedarf zu erstellen. Daher sind die Sanktionen vielleicht nur zu 30 oder 40 Prozent an dem jetzigen Zustand schuld."

Die Lage sei noch nicht dramatisch, meint Apotheker Mohammed Reza, doch sie verschärfe sich. Chronisch Kranke wie Dialyse- oder Krebspatienten seien besonders hart betroffen. Die Leute, die für diesen Job gewählt oder ernannt worden seien, verfügten nicht über die entsprechenden Kenntnisse, um mit der Krise umzugehen, stellt der Wirtschaftsexperte Davud Bavand kritisch fest.

Bavand: "Hinzu kommt, dass es innerhalb des Systems eine erhebliche Korruption gibt. Unfähigkeit und Korruption gehen hier Hand in Hand. Das hat dazu geführt, dass das Management der gegenwärtigen Situation in die falsche Richtung geht."

Korruption in der Islamischen Republik? Die Staatsführung weißt diese Vorwürfe entschieden zurück. Mit den Sanktionen, erklärt Staatschef Ali Khamenei seinem Volk, beabsichtige der Feind nichts anderes, als die iranische Wirtschaft zu schwächen und den rasanten Fortschritt des Landes zu stoppen. Die Sanktionen hätten aber ihre erhoffte Wirkung verfehlt. Seyyed Hossein Naghavi-Hosseini, der Sprecher des Ausschusses für Nationale Sicherheit und Außenpolitik erklärte gegenüber dem ARD-Hörfunk in einem Interview:

"Ich möchte den westlichen Ländern versichern, dass je härter die Sanktionen werden oder je mehr Druck sie auf den Iran ausüben, umso entschlossener werden die Iraner für ihre Sache kämpfen."

Kurshalten, durchhalten, fest an die eigene Sache glauben. Damit versucht die Führung des Landes, die Fährnisse zu meistern. Die wirtschaftliche Lage ist schwierig. Das räumt auch Staatspräsident Ahmedinejad inzwischen ein:

"Es ist ihnen gelungen, einen Teil unserer Ölverkäufe zu reduzieren. Wir können das hoffentlich ausgleichen. Das ist ein Krieg, durch den der Feind glaubt, die iranische Nation bezwingen zu können."

Über das mögliche Ausmaß der Sanktionen sei die Regierung nicht wirklich im Bilde gewesen, klagt der Wirtschaftswissenschaftler Mohammad Khoshtchehre von der Universität Teheran.

Khoshtchehre: "Sie hat sie sehr engstirnig beurteilt und ist ihnen mit Leichtsinn, naiv und realitätsfern begegnet. Die Art und Weise, mit ihnen fertig zu werden, hat sich auf falsche Vorstellungen gestützt.

Ansonsten wären die Devisenreserven des Landes – zumindest in den vergangenen zwei Jahren - nicht derart geschrumpft. Anfangs wurden sogar manche Sanktionen gutgeheißen."

Not macht erfinderisch. Darauf scheinen einige Politiker im Iran gesetzt zu haben. Tatsächlich ist die Islamische Republik heute in Wissenschaft, Technologie und Industrie in vielen Bereichen selbstständiger als etwa die arabischen Staaten. Die Innovationsfähigkeit iranischer Wissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer mag zum Teil ein Ergebnis anhaltender Sanktionen und daraus resultierender Improvisationskünste sein.

Doch die gegenwärtigen Sanktionen übersteigen alles bisher Dagewesene und erfordern exzellente Managerfähigkeiten. Diese aber fehlen, meint der Apotheker Mohammad Reza.

Reza: "Weil man nicht in der Lage war, eine genaue Statistik über den Bedarf von Medikamenten im Iran zu erstellen, gibt es leider einen Engpass bei mehreren Produkten. Ein Beispiel dafür ist das Milchpulver für Kinder.

Es fehlen auch Medikamente für Schwerkranke wie Krebspatienten. Hier sind die Engpässe besonders spürbar und der Grund dafür sind aus unserer Sicht weniger die Sanktionen als vielmehr die Unzulänglichkeit der Zuständigen."
Kurshalten, durchhalten. Der Iran habe als Mitglied des Nichtverbreitungspaktes für Atomwaffen ein Recht auf die friedliche Nutzung der Kernenergie. Immer wieder beharrt das offizielle Teheran auf dieser Feststellung.

Und immer wieder wird betont, wie wenig die Sanktionen an der Haltung Teherans werden ausrichten können. Zum Beispiel durch Rahim Mehmanparast, den Sprecher des Außenministeriums.

Mehmanparast: "Die einseitigen Sanktionen durch die USA und Europa sind illegal und sinnlos. Ich denke die Politiker im Westen verlieren dadurch ihr Gesicht vor den anderen Völkern. Es ist sehr deutlich, dass ihr eigentliches Problem mit der Islamischen Republik Iran darin besteht, dass es ein starkes und großes Land ist, das auf seiner Unabhängigkeit beharrt.

Sie bilden sich ein, mit Druck auf das Volk könnten sie unsere Nation zum Aufgeben dieser Unabhängigkeit zwingen. Sie kennen unser Volk und seine Eigenschaften nicht. Würden sie diese kennen, dann hätten sie ihre Fehler nicht wiederholt. Diese sinnlosen Schritte werden unser Volk auf seinem Weg nur standhafter machen."

Seit einem halben Jahr sind die neuen Sanktionen und das EU-Ölembargo jetzt in Kraft. Ihre volle Wirkung haben sie noch nicht entfaltet. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Beinah wöchentlich, betont der Wirtschaftsexperte Davud Bavand, werden neue Sanktionen verkündet oder ins Werk gesetzt.

Bavand: "Im Lichte der gegenwärtigen Situation im Iran haben die Wirtschaftssanktionen der iranischen Wirtschaft schon erheblich geschadet. Die negative Wirkung auf den Alltag ist deutlich zu sehen. Wenn das so weiter geht, kann es zu einer internen Explosion führen."

Darauf scheinen vor allem die USA unter Führung von Barack Obama zu hoffen. Der 44. Präsident der Vereinigten Staaten möchte sein Land nicht wie seine Vorgänger George Bush Senior und Junior in einen neuen Nahost-Krieg führen.

Der militärischen Lösung zieht Obama politischen und vor allem wirtschaftlichen Druck vor. Doch Washington hat eine gewaltige Militärmacht um den Iran herum zusammengezogen und ist, wie Außenministerin Hillary Clinton betont, zu allem entschlossen, sollte der Iran in Sachen Atomstreit nicht einlenken:

"Die Zeit für Diplomatie ist nicht endlos. Alle Möglichkeiten bleiben auf dem Tisch, um den Iran von der Erlangung nuklearer Waffen abzuhalten. Solange der Iran nicht vollständig seinen internationalen Verpflichtungen nachkommt und den friedlichen Charakter seines Atomprogramms unter Beweis stellt, wird er mit starkem Druck und Isolation konfrontiert bleiben."


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