Wie wir uns die Welt zurecht denken

11.10.2009
Hallinan demaskiert menschliche Unzulänglichkeiten. In 13 eingängig geschriebenen Kapiteln, die sich unterschiedlichen Eigenarten unseres Denkens und Verhaltens widmen, will er uns helfen zu verstehen, wie wir ticken.
Wir sehen, ohne zu erkennen, vergessen vieles in Sekunden und sind meist sicher, besser als der Durchschnitt zu sein. Kein Wunder, dass uns ständig Fehler passieren, die wir uns obendrein nicht gerne eingestehen. Lieber suchen wir die Schuld woanders. Der amerikanische Journalist und Autor Joseph Hallinan hat aus vielen Studien entlarvende Wahrheiten über menschliche Schwächen zusammengetragen und offenbart dabei lesenswerte Gründe für unser Scheitern.

Wer hat nicht schon verzweifelt Brille oder Schlüssel gesucht, wenn sie einmal nicht da liegen, wo sie sonst immer sind? Häufig finden sie sich dann an eigentlich offensichtlichen Stellen. Aber wir sehen oft nur das, was wir zu sehen erwarten, und nicht das, was tatsächlich da ist. Es bedarf großer Übung, ein Bild oder Foto als das zu sehen, was es ist: ein zweidimensionales Objekt voller farbiger Flächen, Muster und Linien. Stattdessen interpretieren wir es automatisch dreidimensional. Solche Mechanismen sind tief in unserem Gehirn verankert.

Der Mensch ist von Natur aus fehleranfällig. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist begrenzt, unsere Augen sehen nur in einem kleinen Bereich scharf und wir sind leicht zu manipulieren. Oder wie ist es anders zu erklären, dass Striptänzerinnen während ihrer fruchtbaren Tage deutlich mehr verdienen als während ihrer Menstruation, dass Gerüche und Musik im Laden unser Einkaufsverhalten beeinflussen, teure Weine uns besser schmecken und Farben über die Wirksamkeit eines Medikamentes mitentscheiden?

Wir denken uns die Welt zurecht, wie sie unserer Meinung nach sein sollte, nicht unbedingt wie sie ist. Rom liegt im Westen, Venedig im Osten von Italien? Falsch. Wir beschönigen unsere Erinnerungen zu unseren Gunsten. Männer behaupten, im Schnitt mit mehr Frauen geschlafen zu haben, Frauen senken diesen Wert tendenziell. Wir treffen Entscheidungen, ohne uns dessen bewusst zu sein, leiden an Selbstüberschätzung und handeln oft lieber, statt nachzudenken.

Es ist ernüchternd, wie viele menschliche Unzulänglichkeiten Joseph Hallinan demaskiert. In 13 eingängig geschriebenen und mit etlichen Anekdoten und Beispielen angereicherten Kapiteln, die sich unterschiedlichen Eigenarten unseres Denkens und Verhaltens widmen, will er uns helfen zu verstehen, wie wir ticken. Vielleicht, so seine Hoffnung, lernt der ein oder andere Leser dadurch in Zukunft einige Stolperfallen zu meiden.

Denn was sich im Alltag als lässliche kleine Sünde entpuppt, hat in manchen Berufen gefährliche Konsequenzen. Unaufmerksame Piloten und übermüdete Ärzte gefährden Menschenleben. Aber Hallinan hat nicht nur etliche Zeugnisse für unser Scheitern zusammengetragen (30 Seiten Quellennachweise sprechen für sich). Er gibt auch ein paar alltagstaugliche Tipps zur Fehlervermeidung: Ruhig öfter mal negativ denken (Was könnte schiefgehen?), ausreichend schlafen – oder einfach glücklich sein. Zur Not mit Hilfe von Schokolade!

Auch wenn es schwer fällt, das eigene Selbstbildnis unvoreingenommen zu betrachten: ein bisschen mehr Ehrlichkeit gegenüber den eigenen Schwächen trüge bedeutend dazu bei, viele Fehler zu vermeiden. Diesen Hinweis, so die Lehre des Buches, haben wir immer wieder mal nötig.

Besprochen von Gerrit Stratmann

Joseph T. Hallinan: Lechts oder rinks. Warum wir Fehler machen
Ariston Verlag (Random House), München 2009
283 Seiten, 18,95 Euro