Wie weit nachgeben?

Von Hans Christoph Buch |
Jenseits des politischen und religiösen Spektrums von Rechten und Linken, Juden, Christen und Moslems gibt es im Grunde nur zwei große Parteien: die Gemäßigten und die Extremisten, die neuerdings Fundamentalisten heißen. Früher sagte man Fanatiker dazu, während die Gemäßigten sich als bürgerliche Mitte bezeichneten. Der gegenwärtige Kampf der Kulturen wird an dieser Front ausgefochten.
Und erst wenn es gelingt, die Extremisten zu Gemäßigten zu machen, hat die Demokratie eine Chance. Denn solange Kriegsherren oder Demagogen das Gesetz des Handels diktieren, gibt es keinen Spielraum für Konsens oder Kompromiss, Meinungsfreiheit und zivilgesellschaftliche Toleranz. Das gilt für Nazideutschland und die stalinistische Sowjetunion ebenso wie für das kommunistische China oder den Gottesstaat der iranischen Mullahs und der afghanischen Taliban.

Aufschlussreicher als die tief greifenden Unterschiede zwischen den genannten Gesellschaftsformationen ist die historische Tatsache, dass Demokratien die Ausnahme, Diktaturen aber die Regel in der menschlichen Geschichte gewesen sind, die immer schon ein Kampfplatz miteinander konkurrierender Heilslehren und Wahrheitsansprüche war, unabhängig davon, ob diese in politischer oder in religiöser Kostümierung auftraten.

So weit so gut – aber wie kann es gelingen, Extremisten zur Vernunft zu bringen, aus deren Sicht jeder Kompromiss dem Verrat gleichkommt, weil ihre Heilsgewissheit auf göttlicher Offenbarung und/oder absoluter Wahrheit beruht, die per definitionem nicht verhandelbar ist? Wer Drachen bekämpft, wird selbst zum Drachen, schrieb Nietzsche, und George Orwell bemerkte, dass der Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg nur möglich war, indem sie an ähnlich dumpfe Emotionen appellierten wie die Achsenmächte Deutschland und Japan: Kampfbereitschaft statt Pazifismus, Hass anstelle von Toleranz, Heimatliebe und Patriotismus statt Freiheit und Demokratie. Selbst Stalin sprach damals nicht mehr vom antifaschistischen Kampf, sondern vom Großen Vaterländischen Krieg, in den er sogar die orthodoxe Kirche mit einbezog.

Die Parallelen zur Gegenwart liegen auf der Hand. Aber ist die überzogene Rhetorik daran schuld, dass der Nahe Osten nicht befriedet und der Irak zu einem Tummelplatz für Selbstmordattentäter geworden ist, die nicht bloß Besatzungssoldaten, sondern eigene Landsleute mit in den Tod reißen? Die Antwort heißt nein, denn zum Hochschaukeln der Emotionen gehören immer zwei, wie der Streit um islamfeindliche Karikaturen zeigt: Auf der einen Seite die politisch gelenkte Empörung manipulierter Massen, die Wasser auf die Mühlen des Terrorismus ist, auf der anderen Seite das trotzige "Jetzt erst recht" westlicher Medien, die Öl ins Feuer gießen, anstatt die Wogen zu glätten.

So besehen, reagieren die Politiker besonnener als die Presse, deren Impuls, noch eins draufzusetzen, psychologisch zwar verständlich war, aber kontraproduktiv: Der innere Frieden einer Gesellschaft ist ein hohes Gut, ebenso wie Respekt vor Andersdenkenden und religiöse Toleranz. Dagegen ist die gezielte Beleidigung einer irrational reagierenden Gemeinschaft kein Prüfstein der Pressefreiheit und ruft ebenjene Zensur auf den Plan, die nicht stattfinden soll.

Dies ist kein Plädoyer für Appeasement, das vor Gewaltandrohung einknickt und in vorauseilendem Gehorsam kuscht. Aber die Meinungsfreiheit lässt sich nicht verteidigen, indem man ihren Gegnern in die Falle geht und Gleiches mit Gleichem vergilt, sondern indem man einen kühlen Kopf behält und sorgsam abwägt zwischen Festigkeit in der Sache und überflüssiger Provokation.

Politische Mäßigung hat mit Feigheit nichts zu tun: Im Haus des Henkers spricht man nicht vom Strick, und Geiselnehmer reizt man nicht durch unbedachte Reden zum Mord, denn das Blut, das ihretwegen vergossen wird, sind die Karikaturen nicht wert.

Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der Gruppe 47. Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre verschaffte er sich Gehör als Herausgeber theoretischer Schriften, von Dokumentationen und Anthologien. Auch mit seinen Essays versuchte er, politisches und ästhetisches Engagement miteinander zu versöhnen. Erst 1984 erschien sein lang erwartetes Romandebüt: "Die Hochzeit von Port au Prince". Aus seinen Veröffentlichungen: "In Kafkas Schloß", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh". 2004 erschien "Tanzende Schatten".