Wie uns die Alten sungen

Von Thomas Kroll · 19.12.2009
In seinem Buch "Unsere Weihnachtslieder und ihre Geschichte" zeigt der Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs viele Facetten des Festes auf. In den Texten will er die Botschaft und Bedeutung von Weihnachten aufzeigen.
Fuchs: "Ich wollte gewissermaßen einen Gang durch diese Geschichte machen und diese unterschiedlichen Aspekte, die in Weihnachten drinstecken, herausarbeiten."

Guido Fuchs. Er leitet das Institut für Liturgie- und Alltagskultur in Hildesheim. Blickt man in das chronologisch geordnete Inhaltsverzeichnis seines Buches "Unsere Weihnachtslieder und ihre Geschichte", trifft man auf alte Bekannte wie "Joseph, lieber Joseph mein" und "Ich steh an Deiner Krippen hier". In den hinteren Kapiteln geht es auch um amerikanische Weihnachtslieder wie "Rudolph, the red-nosed reindeer" und um Popsongs wie "Do they know it's Christmas".

Eine Überraschung bietet das erste Kapitel. Darin geht es um die ältesten Gesänge. Und die sind fernab jeder Krippenromantik und stehen so in keinem Gesangbuch.

Fuchs: "Das Weihnachtsfest ist ja im vierten Jahrhundert entstanden, also wird auch das älteste Lied aus dieser Zeit stammen. Man kann aber noch weiter zurückgehen, wenn man sagt: Die biblischen Beschreibungen der Geburt Jesu haben sich auch niedergeschlagen in Liedern, Gesängen, und das älteste wäre der Philipperhymnus, etwa um die Mitte des ersten Jahrhunderts entstanden."

" Er war wie Gott,
hielt aber nicht daran fest,
Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich,
wurde wie ein Sklave
und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen,
er erniedrigte sich
und war gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht ..." [
Phil 2, 6-9a] "

Fuchs: "Ein Lied, das eigentlich mehr den Abstieg Christi besingt, der wie Gott war, aber Mensch wird, und dann wieder zu Gott erhöht wird."

Viele Christen kennen den Philipperhymnus nur als Passionstext. Denn unüberhörbar ist vom Tod am Kreuz die Rede, nicht vom Stall und von den Hirten. Und doch, so Fuchs, handelt der Text von der Menschwerdung Jesu Christi. Und darum geht es Weihnachten. Fuchs schreibt:

"Christus behielt seine Gottheit nicht für sich ... – wäre das so gewesen, hätte sich für uns Menschen nichts geändert. Indem er aber unser Leben teilte, gab er uns auch die Möglichkeit, Anteil an seinem göttlichen Leben zu erhalten. Denn das ist letztlich die Botschaft dieser Darstellung des Abstieges: Am Ende steht die Erhöhung. Gott erhöht die Niedrigen, macht die Schwachen mächtig."

Die "Option für die Armen" ist keine Erfindung lateinamerikanischer Theologen. "Option für die Armen" – das ist Weihnachten, jeden Tag. Denn Paulus stellt dem alten Hymnus, der vermutlich auch ihm überliefert wurde, noch einen Satz voraus:

"Seid untereinander so gesinnt, wie es das Leben in Christus fordert." [Phil 2,5] "

Fuchs: " "Das heißt also, diese weihnachtliche Botschaft wird zur Aufforderung, es diesem Christus gleich zu tun. Es ist noch keine Anschauung in dem Sinne wie wir Krippenromantik kennen, sondern es wird für uns eine Art Handlungsauftrag."

Jedes Lied, so Fuchs, deutet die Botschaft von Weihnachten in seine Zeit hinein. Dabei kommen unterschiedliche Aspekte zum Vorschein. Im vierten Jahrhundert etwa stehen bei den Weihnachtsliedern dogmatische Aussagen im Vordergrund wie zum Beispiel: Jesus Christus, sprich: das Kind in der Krippe, ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Später konzentriert man sich eher auf die Beziehung der Glaubenden zum Neugeborenen. Eine weitere Entwicklung markiert der Umschwung vom "Wir" zum "Ich".

Fuchs: " Ja, es ist die Frage der eigenen Beziehung zu diesem Kind im Stall. Das Ich, das plötzlich wichtig wird – auch in den Liedern: Wie stehe ich zu ihm? Was tut dieses Kind für mich? "

"Ich steh an deiner Krippen hier,
o Jesu, du mein Leben.
Ich komme, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben."

Vier Strophen später heißt es in Paul Gerhardts Lied:

"Ich sehe dich mit Freuden an
und kann mich nicht satt sehen;
und weil ich nun nichts weiter kann,
bleib ich anbetend stehen."

Fuchs: "Also 'ne ganz mystische Art und Weise eigentlich, die sehr stark das einzelne Ich betrifft. Weihnachten geht mich ganz persönlich an. Es ist meine ureigene Beziehung zu diesem Kind."

Im 18. Jahrhundert wird laut Fuchs die häusliche Feier zum Gegenstand der Lieder. Man besingt den Tannenbaum und den festlich geschmückten Raum. Und heute?

Fuchs: "Ich glaube, wir sind sehr rückwärts gewandt, wir sind sehr nostalgisch, wir sind ... veräußerlicht ... in der Feier des Weihnachtsfestes. Wir sind heute eher auf der Schiene "In der Weihnachtsbäckerei", ja alles so'n bisschen nett und lieb. Aber das ... Theologische, auch die religiöse Fragestellung aus Weihnachten heraus, glaube ich, ist heute nicht so präsent – oder man muss sie wirklich aufdecken."

Genau das gelingt Fuchs in seinem Buch – Lied um Lied, Kapitel für Kapitel.
Weihnachten hat viele Facetten. Die zeigt der Liturgiewissenschaftler auf im Spiegel von mehr als 50 Liedern.

Sein Buch "Unsere Weihnachtslieder und ihre Geschichte" ist kein Fachbuch speziell für Theologinnen und Musikwissenschaftler. Dennoch ist es sehr gehaltvoll, dazu gut lesbar und unterhaltsam. Ein Buch nicht nur für Insider.

Fuchs: "Das könnte jeden interessieren, für den Weihnachten wichtig ist."


Guido Fuchs,
Unsere Weihnachtslieder und ihre Geschichte

Verlag Herder, Freiburg 2009
217 Seiten, 12,95 Euro.