Wie Technik die Welt erhörbar macht

Von Stephanie Kowalewski · 30.05.2011
Mit einer winzigen elektronischen Neuroprothese, die in die Hörschnecke eingesetzt wird, können taube Menschen wieder hören lernen. Das Implantat gehört zu den bahnbrechenden medizinischen Entwicklungen der letzten 30 Jahre.
Taub durch Unfall oder Krankheit – ein Schicksalsschlag. Elektronische Neuroprothesen im Ohr sind da eine Hoffnung für viele.

"CI steht für Cochlea-Implantat und stellt eine elektrische Innenohrprothese dar, bei der die Funktion des Innenohres ersetzt wird, und ist damit die einzige beim Menschen anwendbare Sinnesprothese die nicht nur im Experiment funktioniert, sondern die wirklich weltweit zum klinischen Einsatz kommt."

Thomas Stark ist Oberarzt an der HNO-Klinik des Klinikums rechts der Isar. Hier betreut er Patienten, deren Haarzellen in der Cochlea, also der Gehörschnecke, nicht mehr in der Lage sind, mechanischen Schallwellen in elektrische Reize umzuwandeln. Das, was das Ohr selber nicht mehr leisten kann, übernimmt jetzt das Cochlea-Implantat. Teile der Hörprothese trägt der Patient außen am Körper, andere werden ins Ohr und den Schädel eingebaut.

"Im äußeren Teil sitzt also ein Mikrofon, was den Schall aufnehmen muss. Das wird weitergegeben in einen kleinen Prozessor, den eigentlichen Sprachprozessor, wo diese Information eben umgewandelt werden muss in elektrische Impulse."

Anfangs war der Sprachprozessor ein Minicomputer, der wie ein Walkman am Gürtel getragen werden musste. Doch damit waren die Forscher nicht zufrieden, sagt Andreas Engel, Ingenieur am Bochumer Elisabeth-Krankenhaus.

"Es ist nicht so, dass innerhalb der letzten Jahre die Leistungsfähigkeit der Sprachprozessoren sich rapide gesteigert hat. Es ist wirklich eher so, dass in Richtung Miniaturisierung entwickelt wurde, sodass man jetzt tatsächlich in der Lage ist, einen Sprachprozessor komplett hinter dem Ohr zu tragen und nicht mehr am Gürtel zum Beispiel."

Heute wird der kleine Prozessor unauffällig hinter dem Ohr getragen. Hinzu kommt ein Sender, der in einem Magnet außen am Kopf sitzt. Diesem Sendemagneten gegenüber liegt im Inneren des Kopfes das eigentliche Implantat. In einer rund zweistündigen Operation fräst der Arzt zunächst in der Nähe des Ohres ein kleines Loch in den Schädel und platziert den magnetischen Empfänger im Knochen. Außerdem schiebt er winzige Elektrodenbündel in die Cochlea, sagt Andreas Engel.

"Die Elektrode können Sie sich vielleicht am ehesten vorstellen wie eine gekochte Spaghetti, auch von der Steifigkeit her und vom Durchmesser her. Das Ganze ist schon sehr, sehr fein."

Diese winzigen Fadenelektroden stimulieren dann direkt den Hörnerv, der die elektrischen Reize ans Gehirn weiterleitet. Überraschenderweise weiß niemand so genau, was die Patienten dann hören. Wie für sie zum Beispiel der Satz "Ich bin nicht nass geworden" wirklich klingt.

Es wird allerdings vermutet, dass es sich nicht sehr natürlich anhört. Eher blechern oder elektronisch. Die Signale zu verstehen und richtig zu interpretieren, muss der bis dahin Schwerhörige oder Ertaubte erst lernen, sagt der HNO-Arzt Thomas Stark:

"Bei Patienten, die schon einmal gehört haben, ist es relativ einfach. Und das Gehirn ist durchaus in der Lage, Impulse auszuwerten und zuzuordnen. Dass eben man wieder erkennt, dass ein Vogel gezwitschert hat, dass ein Polizeiauto vorbeigefahren ist, dass ein A ein A ist und ein E ein E."

Erwachsene Taube, die jedoch nie gehört haben, profitieren nicht von dem Ohrimplantat. Ihr Gehirn kann die elektronischen Reize nicht verarbeiten. Deshalb gehen die Mediziner heute dazu über, das Implantat möglichst früh einzusetzen. Das jüngste Kind, das Thomas Stark operiert hat, war sieben Monate alt.

"Wenn man die Kinder implantiert, sehr kleine Kinder, man sagt so bis zum dritten bis vierten Lebensjahr, dann sind die sehr wohl in der Lage, Sprache zu erkennen, Sprache zu verstehen und selbst Sprache zu entwickeln."

Dazu muss der Ingenieur Andreas Engel das Implantat aber zunächst auf jeden Patienten individuell einstellen. Das geht ganz bequem über den Sprachprozessor.

"Der Sprachprozessor hat eine Programmierbuchse. Da kommt ein Kabel hinein. Und angeschlossen wird der Sprachprozessor an ein Notebook und der Sprachprozessor sendet dann natürlich per Funk durch die Haut zum Implantat."

Gemeinsam mit dem Patienten tastet sich der Ingenieur langsam an die Strommenge heran, bei der der Patient Töne hört.

In mehreren Sitzungen ermittelt Andreas Engels so für jede Elektrode die optimale Strommenge. Die meisten Menschen mit einem Cochlea-Implantat sind dann wieder in der Lage, Alltagsgeräusche wahrzunehmen, sich zu unterhalten und zu telefonieren. Einige sollen sogar wieder Musik genießen können. Auch wenn sie nicht alle Töne wahrnehmen können. Auch wenn sich das derzeitige Ohrimplantat bewährt hat, wird es doch ständig durch Verkleinerungen verbessert. Und schon heute steht fest, dass die Forscher mit der Entwicklung des Cochlea-Implantates wahre Pionierarbeit im Bereich der Neuroimplantate geleistet haben.
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