Wie schädlich ist Dicksein wirklich?

02.03.2013
Jeder zweite Erwachsene in Deutschland wiegt zu viel, jeder fünfte leidet unter starkem und krankhaftem Übergewicht. Die Zahl der adipösen Kinder hat sich in den vergangenen Jahren nahezu verdreifacht. Gleichzeitig haben sich die Ausgaben für Diäten und Diätprodukte vervierfacht. Und gerade jetzt im Frühjahr plagen sich unzählige Menschen wieder, um ihr vermeintliches Traumgewicht zu erreichen.
Woran liegt es, dass die einen scheinbar ungestraft alles essen können, andere bleiben dick, allen Diäten zum Trotz?
Wie schädlich ist Dicksein wirklich?

"Dicksein macht nicht krank, sondern schützt sogar vor Krankheit", sagt Prof. Dr. Achim Peters, Hirnforscher und Diabetologe an der Universität Lübeck. Mit seinem Buch "Mythos Übergewicht. Warum Dicke länger leben" will er mit den landläufigen Vorurteilen und der Diskriminierung gegenüber Übergewichtigen aufräumen und die These widerlegen, dass Dünne zwangsläufig gesünder sind.

Seine Überzeugung: "Der wahre Grund für das Dickwerden ist Stress."

Beweise dafür liefert das Forschungsprojekt "Selfish Brain", das der Mediziner seit mehr als zehn Jahren leitet. Das "selbstsüchtige Gehirn" beanspruche einen Großteil der Energiezufuhr für sich und steuere damit unser Essverhalten und wie wir mit Stress umgehen, also ob wir "Stresszunehmer" oder "Stressabnehmer" sind.

"Wenn man nun mal untersucht: Dicke Menschen unter Stress und dünne Menschen unter Stress, dann haben sie verschiedene gesundheitliche Folgen: Einmal die Dicken: Sie haben zugestandenermaßen mehr Arthrose, sie haben eine eingeschränkte Beweglichkeit. Das sind ganz klare Nachteile. Aber wenn man sich die Dünnen anschaut, dann haben die andere, viel schwerwiegendere Nachteile: Sie bekommen nämlich Arteriosklerose, sie bekommen Herzinfarkt, sie bekommen häufiger Schlaganfälle. Die Dünnen wohlgemerkt. Das hat man bisher den Dicken zugeschreiben. Die dünnen Menschen sterben früher, die Dicken leben länger. Das Dickwerden ist der Preis, den sie für die Stressabwehr zahlen."

"Was meinen Sie, wie das ist, wenn man 30, 40 Diäten hinter sich hat?", fragt Sylvia Baeck, Leiterin des Beratungszentrums bei Ess-Störungen "Dick & Dünn" in Berlin.

Nach fast drei Jahrzehnten Erfahrung kennt sie den Teufelskreis, in den Übergewichtige nur zu leicht geraten:

"Sie leben im Stress: Wenn sie auf die Straße gehen, werden sie anguckt. Es gibt genug, die trauen sich nicht mehr mit der U-Bahn zu fahren. Sie sind an allen Ecken und Enden unter Druck und reagieren mit Gegendruck, indem sie sich dick machen. Das ist ein Teufelskreis."

Gedanken machen ihr besonders die Jugendlichen, die schon früh dem allseits propagierten Schlankheitsideal nacheifern und mit extremen Essstörungen reagieren: "Wir haben viele junge Mädchen, die gar nicht zu dick sind, aber die sich zu dick fühlen. Sie sehen, wie Dicke verächtlich behandelt werden und hungern sich geradezu herunter."

Wie schädlich ist Dicksein wirklich?

Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9:05 bis 11 Uhr mit Sylvia Baeck und Achim Peters. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Über das Beratungszentrum bei Ess-Störungen Dick und Dünn
Über Sylvia Baeck
Über Prof. Dr. Achim Peters und das Projekt Selfish Brain

Literaturhinweis:
Achim Peters: "Mythos Übergewicht. Warum dicke Menschen länger leben", C. Bertelsmann Verlag, München 2013
Achim Peters: "Das egoistische Gehirn. Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft", Ullstein Verlag, Berlin 2011