Wie Romy Schneider Goethe den Kopf verdrehte

Von Knut Cordsen · 27.02.2008
Martin Walser hat schon in einigen Romanen die "Liebe mit starkem Altersgefälle" thematisiert. Nun verpackt er das Thema erstmals in einen historischen Roman, in dem kein geringerer als Dichterfürst Goethe sich im hohen Alter von 72 Jahren in die 19-jährige Ulrike von Levetzow verguckt. Goethes Werben blieb erfolglos. Als Vorbild für seine Ulrike nahm Walser die junge Romy Schneider.
Martin Walser klebt als Schriftsteller so manches Etikett an: Seit seinen Romanen "Der Augenblick der Liebe" und "Angstblüte" gilt er vielen als festgelegt auf das Thema "Liebe mit starkem Altersgefälle". Als den "Proust vom Bodensee" bezeichnete ihn einst der Kritiker Joachim Kaiser, mit Büchern wie der Novelle "Ein fliehendes Pferd" oder "Ehen in Philippsburg" ist er längst Schullektüre, sein Werk Ein springender Brunnen war ein Bestseller. Heute legt Walser seinen neuen, schon heftig diskutierten Roman vor: "Ein liebender Mann". Einen Roman über Goethe. Knut Cordsen hat Martin Walser getroffen.

Walser: "Das Alter ist was ganz Tolles. Weil du Sachen schreiben kannst, die du früher nicht hättest schreiben können ... und ich meine, sonst wäre ja auch das Schreiben nutzlos und sinnlos und gar nicht zu machen, wenn du nicht in jedem Alter was Anderes schriebest. Das ist halt so."

Eine gewisse Altersgelassenheit mag schon dazu gehören, ausgerechnet über Goethe, den deutschen Geistesrepräsentanten, einen Roman zu schreiben. Der bald 81-jährige Martin Walser, der sich schon in luziden Essays wie "Hilfe vom Selbsthelfer" und einem Theaterstück mit Goethes Anziehungskraft befasst hat, scheute die Herausforderung nicht und verfasste ein höchst intimes Buch.

Walser: "Goethe, vor dem Spiegel, nackt. Da muss man einfach ganz von innen heraus wissen, dass er sich gern so gesehen hätte, wie ich ihn sich sehen lasse. Da lege ich meine Hand für ins Feuer, was glauben Sie! Ich weiß doch, dass er seinen Körper geliebt hat. Genau die Szene, in der er sich nackt vor dem Spiegel sieht, - Entschuldigung, da sieht er besser aus als ich vor dem Spiegel."

Martin Walser erzählt in "Ein liebender Mann" von jener für den bereits etwas alterswelken Goethe so prägenden Begegnung mit der letzten großen Liebe seines Lebens, der jungen Ulrike von Levetzow, die er "als Lebenszufuhr erlebte", durch die er noch einmal aufblühte. Dokumentiert ist sie in Goethes "Marienbader Elegie".

"Das, sage ich jetzt mal plakativ, Gipfelgedicht der deutschen Sprache, wenn es um Liebe geht. Also das muss Liebe gewesen sein, sonst kann man diese Elegie nicht schreiben. Und das war für mich natürlich ein gefundenes Fressen, wenn man sieht: Ah, ist das schön, wie der lieben kann und was sich daraus ergibt an Glück und Unglück und Unglücksglück."

Ja, es ist noch einmal der Johannestrieb, der dritte Frühling, der Walser beschäftigt, aber es ist hier eben nicht, um eine schöne Wendung aus Thomas Manns Tagebüchern zu zitieren, das "senile und recht hemmungslose Gejökel" eines greisen Mannes mit einem weitaus jüngeren Mädchen, dem wir zusehen, keine Kurschattentändelei, sondern es ist, zutiefst glaubhaft dargestellt, Erotik.

Walser: "Erotik mit Altersunterschied. Er 73/74, sie 19."

54 Jahre lagen zwischen Ulrike v. Levetzow und Johann Wolfgang von Goethe.

"Wenn der Goethe sie so geliebt hat, wie er sie geliebt hat - siehe Marienbader Elegie - dann kann Ulrike nicht dieses kümmerliche Gerüchtgespenst sein, was uns da überliefert ist. Ich habe also eine Ulrike gemacht, die seiner Liebe wert gewesen wäre."

Für diese Ulrike, so erzählt es Walser, gab es ein sehr bekanntes Vorbild:

"Am wenigsten von allen Rollen bin ich der liebe Gott, ich brauche also irdisches Material. Da genügt oft eine Vorstellung. Und ich habe bei der Ulrike, wenn ich sie in ihren Gesten beschreiben wollte, habe ich ein Vorbild gehabt, eine Frau, die ich nie persönlich kennen gelernt habe, mit der ich keine Sekunde einen Dialog hatte, und das war Romy Schneider, die ganz junge Romy Schneider."

Martin Walser porträtiert sich in seinem neuen Roman auf subtile Weise auch ständig selbst. Wenn Goethe sich wortreich ereifert über jede moralische "Oberaufsicht" und Tugendwächterei, denkt man Walsers Paulskirchenrede und die Reaktionen, die sie zeitigte. Wenn Goethe in Jena "Protestmärsche" gegen sich gewärtigen muss, fühlt man sich an die gegen Walser gerichteten vor manchen seiner Lesungen erinnert.

Und dass Walser, der zuletzt vor allem von weiblichen Rezensentinnen immer wieder als altersgeil dargestellt wurde, nun Goethe sich als "Lustgreis" titulieren lässt, zeigt: Es steckt noch immer viel anspielungsreicher Witz in diesem Walser. Und Drastik. Die Schlussszene jedenfalls, erzählt er in seinem Haus am Bodensee, habe ihm bereits empörte Briefe erster Leserinnen eingetragen.

"Das Teil musste natürlich wieder vorkommen. Und dann kommen die Leserinnen und sagen: Herr Walser, das machen wir nicht mehr mit. Da denke ich mir: Wo leben die? Was sind denn das für Familien? Ich verstehe das gar nicht. Und die Kulturkulisse bis zum heutigen Tag beschäftigt sich dann am liebsten mit dem Goethe-Text, wo er dieses Teil 'Iste' nennt, lateinisch, das darf es sein."