Wie Putin die Zivilgesellschaft drangsalieren lässt

Von Elfie Siegl · 07.12.2012
Seit Wladimir Putin erneut zum Präsidenten Russlands gewählt wurde, versucht der Staat, die Zivilgesellschaft in einen langen Winterschlaf zu versetzen. Doch erreicht wird damit das Gegenteil, meint die Publizistin Elfie Siegl: Die junge russische Subkultur lehnt den Putinismus immer radikaler ab.
In Moskau gibt es heute nur wenige öffentliche Orte, an denen sich Menschen wohlfühlen, die man zur sogenannten kreativen Klasse oder Mittelschicht zählt. Das eine oder andere Café gehört dazu, auch die Buchhandlung Falanster in bester Innenstadtlage. Nur ein winziges Schild an einer schmalen Stahltür im düsteren Torbogen eines gesichtslosen Hinterhofes signalisiert, dass hier im ersten Stock der Laden liegt, wo Bücher verkauft werden, die andere Buchläden meist nicht haben. Darunter auch Werke westlicher Philosophen, Politologen und Historiker, und immer wieder Bücher, deren Verfasser führende Köpfe der russischen Zivilgesellschaft sind. So findet man hier etwa das vor Kurzem erschienene "Alphabet des Protestes". Es ist eine Fotodokumentation von witzigen und scharfzüngigen Parolen jener Kundgebungen, auf denen zehntausende Menschen in Moskau im vergangenen Winter und Frühjahr ein Russland ohne Putin forderten.

Bisher liegen Bücher wie diese bei Falanster frei aus, doch so mancher fragt sich, wie lange das noch so sein wird. Denn seit Wladimir Putin im Mai erneut zum Präsidenten Russlands wurde, versucht der Staat, die Zivilgesellschaft nach deren Frühlingserwachen in einen langen Winterschlaf zu versetzen.

Die Machthaber scheinen Angst zu haben vor der kreativen Klasse, der junge Unternehmer ebenso angehören wie Studenten und in die Jahre gekommene Menschenrechtskämpfer. Die Angst des Staates vor all jenen, die Demokratie und Bürgerrechte einfordern, die Angst vor dem Druck der Straße, die Angst davor, die Kontrolle über das gesellschaftliche Leben zu verlieren, droht allmählich zu einer Art Paranoia zu werden.

Festnahmen und Hausdurchsuchungen bei Oppositionellen gehören wohl auch deshalb in Russland inzwischen zum Alltag. Unverhältnismäßige, hohe Haftstrafen wie im Falle der Frauen Punk-Band Pussy Riot, die in einer Moskauer Kirche Putins Ablösung forderten, sollen junge Künstler und Intellektuelle einschüchtern - erreichen jedoch das Gegenteil: Die junge russische Subkultur lehnt den Putinismus immer radikaler ab.

Die rechtliche Legitimation dieser Übergriffe des Staates auf die Zivilgesellschaft sollen Gesetze schaffen, die im Eiltempo durch die Instanzen gepeitscht werden. Sie rufen bei älteren Menschen in Russland böse Erinnerungen hervor an dunkle Zeiten der Sowjetgeschichte. Unter Stalin galten Menschen, die Kontakte zu Ausländern hatten, als Volksfeinde und wurden verfolgt. Heute müssen sich bestimmte Organisationen, die vom Ausland unterstützt werden, als "ausländische Agenten" registrieren lassen. Das gefährdet nicht nur deren laufende Projekte, sondern auch die internationale zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit.

Darüber hinaus kann - auf gesetzlicher Basis wohlgemerkt - Kritik an der Politik des Staates und seiner Instanzen künftig als Verleumdung geahndet werden. Und wer sich zu offen über russische Probleme äußert, dem droht eine Anklage wegen Landesverrats. Schon heute sei, sagt ein bekannter Moskauer Schriftsteller, in Russland jedes Gespräch über ernsthafte Probleme seines Landes tabu. Denn als aufrührerisch werde nicht der Inhalt eines Gedankens angesehen, sondern bereits der Gedanke an sich. Man darf also etwa über Korruption sprechen, aber nicht über deren Gründe und Mechanismen. Die Zensur ist gegen kritische Intellektuelle gerichtet, die vom Staat als Gefahr angesehen werden.

Als Folgen dieser Gesetze greifen Angst und Misstrauen unter der gesamten Bevölkerung wieder um sich. So denkt etwa einer meiner Moskauer Bekannten, ein alter Herr, darüber ernsthaft nach, ob er wie bisher mit mir auch in Zukunft offen über Politik diskutieren wird. Er wolle nicht, sagt er, als Volksfeind belangt werden. Man wisse ja nie, wer mithöre oder denunziere. Dieser Mann hatte sich in den 1960er-Jahren als junger Korrespondent einer großen Sowjetzeitung geweigert, die Unwahrheit zu schreiben und deswegen damals seinen Job verloren. Heute fürchtet er um seine Freiheit.

Elfie Siegl, geboren in Bremen, ist erfahrene Kennerin der Sowjetunion und Russlands. Nach dem Germanistik- und Slavistik-Studium in Berlin, Leningrad und Zürich arbeitete sie beim Rias Berlin. Ihr Themenschwerpunkt Sowjetunion führte Elfie Siegl als Reporterin zu den Olympischen Sommerspielen 1980 in Moskau. Es folgten viele Jahre als Korrespondentin in Moskau, für Print und Radio. Inzwischen arbeitet Elfie Siegl als freiberufliche Journalistin sowohl in Moskau als auch in Berlin.
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