Wie Professor Lidenbrock das Stadion rockt

Von Siegfried Forster |
Mit dem Jahr 2005 geht auch das Jules-Verne-Jubiläumsjahr zu Ende. Hunderte Veranstaltungen standen auf dem Programm zum 100. Todesjahr des populärsten Schriftstellers Frankreichs. Die wohl gigantischste war die Umsetzung des Romans "Reise zum Mittelpunkt der Erde" als große Bühnenshow im Pariser Frankreich-Stadion.
Ein Fußballstadion als Vulkan, Tribünen und Rasen bevölkert von Riesenpilzen. Feuerspeiende Drachenköpfe strecken ihre 15 Meter langen Hälse den Zuschauern entgegen. Willkommen in der utopischen Wunderwelt von Jules Verne, inszeniert von Stéphane Vérité. Der Regisseur schickte die Besucher auf eine ganz besondere "Reise zum Mittelpunkt der Erde":

"Das ist eine physische, organische Reise, eine Reise voller Empfindungen und Gefühle. Die Besucher tauchen in riesige Bühnenbilder ein. Wir verwandeln das Stadion in einen Riesenkrater. Überall sind Bilder zu sehen: rund um die Zuschauer, aber auch auf den Zuschauern selbst."

Sphärische Musik des Komponisten Thierry Zaboïtzeff, monumentale 360-Grad-Bilder, ein Flammenwerfer-Ballett tanzt einen pyrotechnischen Schwanensee im Vulkan: märchenhafte, sinnbetörende Abenteuer-Landschaften à la Jules Verne. Gigantische Lichtmaschinen sorgen für Bilderteppiche von Tausend Meter Länge - Weltrekord. Regisseur Vérité ist stolz auf die vielleicht nicht unbedingt werkgetreueste, aber mit Sicherheit spektakulärste Umsetzung des Romans. Jules Verne - so modern wie nie.

"...Im Roman stoßen sie auf kleine Menschen, die in unendlich großen Gegenden vollkommen hilflos sind, inmitten immenser Landschaften, total verloren zwischen gigantischen Ungeheuern oder in einem Vulkan. Diese Empfindungen von Klein und Groß finden sie in unserer Aufführung wieder."

Um das Innere der Erde zu erforschen, steigen Professor Lidenbrock und sein Neffe und Assistent Axel in den erloschenen Vulkan. Eine entschlüsselte Geheimschrift weist ihnen den Weg durch lavadurchtränktes Gestein, labyrinthartige Höhlen, vorbei an Monster-Pilzen. Jules Vernes Werk als Schauspiel der Superlative zu inszenieren, bedeutete für Stéphane Vérité, ihn wieder aktuell werden zu lassen:

"Wenn Jules Verne über die heutigen Mittel verfügt hätte, dann hätte er sicherlich Aufführungen wie diese gemacht oder Filme gedreht. Meines Erachtens ist Jules Vernes auf seine Art so etwas wie ein Erfinder des Films. Er inszeniert seine Geschichten wie einen Kinofilm. Er produziert mit Worten wirkliche Bilder. Einige der ersten Kinofilme, die gedreht worden sind, haben sich vom Universum eines Jules Verne inspirieren lassen."

Doch bei der Aufführung erzielten die technischen Höchstleistungen etwas zu selten die erhoffte Mischung aus Poesie und Jules-Verne-Epos. Etwa wenn Axel mutterseelenallein als Seiltänzer durch die rot glühende Lava schreitet - oder auf dem unterirdischen Meer mit einem Boot aus Lichterketten auf leuchtenden Wellen segelt.

Die meiste Zeit wird leider alles statisch erzählt, begleitet von handgemalten, riesig vergrößerten Tribünenbildern. Die Musiker ziehen auf einer mobilen Bühne am Publikum vorbei. Die Musik spiegelt dabei vor allem Empfindungen, erfindet sich ihre eigene Kunstsprache, ist aber wenig geschwätzig, so Komponist Thierry Zaboïtzeff:

"Am Anfang hatten wir vor, Gesänge auf Französisch in das Stück zu integrieren. Aber diese Idee haben wir sehr schnell wieder fallen gelassen. Wir wollten lieber die magische Seite der Musik behalten, die nichts als Gefühle ausdrückt - ohne jegliche Worte. Die Erklärungen im Stück haben wir Erzählern anvertraut. Der Musik wollten wir die geheimnisvolle atmosphärische Seite bewahren. Und ja nicht jemanden auf Französisch singen lassen, um etwa zu sagen, dass Axel jetzt in den Krater hinuntersteigt oder so etwas."

Jules Verne hatte bekanntlich auch Theaterstücke geschrieben, Phantasmagorien, bei denen er mit Licht- und Bühnenbildeffekten experimentierte. Die Show im Pariser Frankreich-Stadion setzte vielleicht etwas zu einseitig auf Technik, Bilderwelt und Utopie, um Jules Verne treu zu bleiben, betont Komponist Thierry Zaboïtzeff. Verne habe der Realität einen utopischen Spielraum verschafft, ähnlich wie die Musik:

"Ich lebe in der Utopie. Ich habe meine Musik auch so geschrieben. Es war nicht notwendig, dass Jules Verne da war. Ich bin ein Utopist, um es einfach auszudrücken … durch die Tatsache zu träumen. Mir zu wünschen, aus bestimmten Standards auszubrechen. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, aber es hat viel Spaß gemacht..."