Wie polnische Jugendliche mit ihren jüdischen Wurzeln umgehen

Die Rückkehr der polnischen Juden

Der Innenbereich des Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau, aufgenommen am 08.04.2013.
Der Innenbereich des Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau. © picture alliance / dpa / Eva Krafczyk
Von Arkadiusz Luba · 30.12.2014
In Polen lebt seit einigen Jahren das jüdische Leben auf. Viele junge Polen entdecken ihre jüdische Wurzeln. Das in diesem Jahr eröffnete "Museum der Geschichte der polnischen Juden" in Warschau will helfen, die jüdische Identität der Polen wieder zu entdecken.
"Die Juden gehören zur polnischen Geschichte. Wer die vergangene Völkervielfalt dieses Landes vergisst, macht es behindert. Auch die jüdische Geschichte ohne Polen ist unvollkommen. Die Juden hatten hier über tausend Jahre lang besondere Rechte", meint Dariusz Stola, Direktor des Museums der Geschichte der polnischen Juden.

Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs lebten in Polen knapp dreieinhalb Millionen Juden. Sie waren die größte Bevölkerungsgruppe jüdischen Glaubens in Europa. Nur ein Zehntel von ihnen überlebte die Schreckensherrschaft der Nazis. Und die meisten dieser Zurückgebliebenen verließen Polen in der Zeit danach, denn auch in der Kommunistischen Partei wuchs der Antisemitismus. Die über tausendjährige enge Nachbarschaft der Polen und Juden wurde so zerstört, meint Professorin Dina Porat, Haupthistorikerin der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem aus Jerusalem. Das Jüdische Museum in Warschau könne zu einer Brücke über diese Kluft werden, so hofft sie:
"Es wird eine zeitlose Brücke zwischen Völkern und Kulturen sein; eine Brücke in ein weiteres Millennium hinein; eine Brücke, die die Vergangenheit und die Gegenwart verbindet."
Das kann auch die dritte Generation nach dem Holocaust tun, die ihre jüdischen Wurzeln wiederentdeckt hat. Die – wie sie genannt werden – „unerwarteten Nachkommen" der zurückgebliebenen polnischen Juden fühlen sich erst in ihrem wieder gefundenen Judentum vollständig – wie Mikołaj Trzaska, der die eigene Herkunft erst als Vater zweier Kinder akzeptiert hat:
"Wir nehmen etwas an, das wir früher nicht hatten. Es ist unbeschreiblich schön – als wenn du nach einem Apfel greifst, weil du Vitamine brauchst: Erst nachdem du ihn gegessen hast, fühlst du dich komplett."
Die jungen Menschen wollen das Judentum hierzulande erhalten, selbst wenn ihre Eltern oder Großeltern oft aus Angst ihre Herkunft geheim gehalten und erst viel später offenbart haben.
Das Judentum in Polen? - Es war nie ganz verschwunden
Seit knapp 25 Jahren nun wird die jüdische Kultur in Polen wieder gefeiert, zum Beispiel beim ältesten Festival der Jüdischen Kultur in Krakau. Hier treffen sich Juden und nicht-Juden, Künstler und Intellektuelle. Sie entdecken und popularisieren die „verschwundene" jüdische Kultur. Es bedeute jedoch keine Wiedergeburt aus dem Nichts, unterstreicht Raphael Rogiński, Gitarrist des "Trio Shofar", das die chassidische Musik mit Gegenwartsjazz vermischt. Rogiński ist überzeugt, dass das Judentum in Polen eigentlich nie ganz verschwunden war:
"Die jüdische Kultur blieb hier auch während des Holocausts; nach dem Krieg war sie sehr interessant, es wurde viel Lyrik geschrieben. Es gab jüdisch stämmige Komponisten, die jüdische Themen in moderne Musik übertragen haben. Aus diesem bunten Mix der Einflüsse ist auch mein Trio entstanden."
Rogiński will durch seine Musik das jüdische Leben in Polen bereichern. Dadurch manifestiert er auch seine Zugehörigkeit.
Mati Kirschenbaum hat seine Heimatstadt Breslau verlassen und studiert in Potsdam am Institut für Jüdische Theologie. Er will – irgendwann in der Zukunft – ein liberaler Rabbiner werden und in Polen einer jüdischen Gemeinde vorstehen. Bislang gebe es keinen liberalen Rabbiner, der in Polen geboren wurde, meint Kirschenbaum:
"Aufgrund der enormen Vernichtung sind die Probleme der polnischen Juden sehr spezifisch. Nicht jeder Rabbiner versteht sie. Ich verstehe sie dagegen, weil sie meinen jüdischen Weg begleitet haben. Ich würde dann meine künftige Gemeinde fördern, aber auch zeigen, wie sie bewusst und tüchtig bleibt, wenn ich mal zwei Wochen im Urlaub bin."
6.000 Juden leben nach Schätzungen derzeit in Polen. Katka Reszke hat die dritte Generation nach dem Holocaust zum Thema ihrer Doktorarbeit gemacht. Ihre Studie über Erzählungen zur jüdischen Identität ist im Krakauer Verlag Austeria erschienen. Sie beschäftigt sich mit der jüdischen Herkunft, Authentizität und Zukunft. Was bedeutet es, im heutigen Polen junger Jude zu sein? Katka Reszke:
"Weil es Polen ist, wo die jüdische Kultur so vollständig herausgerissen wurde, ist hier die Entdeckung selbst einer kleinsten jüdischen Wurzel was ganz Besonderes, anders als woanders in der Welt. Wir diskutieren jeden Tag zwanghaft über das Judentum und was es bedeutet, Jude zu sein. Und dies ist unglaublich mit Inhalten gefüllt."
Wie sich solche Diskussionen entwickeln, weiß derzeit niemand in Polen. Aber eine neue, selbstbewusste Generation polnischer Juden wächst. Das ist sicher.
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