Wie Nahrungsmittelknappheit immer mehr Menschen bedroht

Von Jantje Hannover · 10.01.2009
Lafi heißt soviel wie: Gesundheit, Wohlbefinden. Mit diesem Gruß beginnt im burkinischen Tangaye die Dorfversammlung. Etwa 50 Menschen haben im Schatten des großen Palaverbaums auf den im Halbkreis aufgestellten Holzbänken Platz genommen. Es geht um die Zukunft des Dorfes, darum, was zu tun ist, damit man hier besser leben kann. Denn das Dorf wurde von der Deutschen Welthungerhilfe zum Millenniumsdorf auserkoren. Gemeinsam mit den Dorfbewohnern sollen hier einige der acht Millenniumsziele umgesetzt werden. Ganz oben auf der Wunschliste der Dorfbewohner steht eine neue Schule:
More: "Die Millenniumsziele haben 189 Staaten der Vereinten Nationen im Jahr 2000 beschlossen, bis zum Jahr 2015 sollten sie verwirklicht sein. In einer weltweiten Kraftanstrengung gilt es Armut und Hunger zu halbieren und alle Kinder dieser Erde in die Schule zu schicken. Außerdem soll die Kindersterblichkeit gesenkt und die Gesundheit von Müttern verbessert, Frauenrechte gestärkt und AIDS und Malaria zurückgedrängt werden."

Die Welthungerhilfe will diese internationalen Ziele beispielhaft in insgesamt 15 Dörfern auf drei Kontinenten umsetzen, erklärt der Generalsekretär Hans-Joachim Preuß:

"Unsere Millenniumsdörfer sind kleine Schaufenster, in die Sie reingucken können und sagen: es ist möglich, die Ziele zu erreichen mit Mitteln, die wir im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit auch aufbringen können."

Insbesondere der wirtschaftliche Boom in China und Indien haben die Millenniumsziele in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends vorangebracht. Die Zahl der in extremer Armut Lebenden sank unter die Marke von einer Milliarde. Diese positive Bilanz ist durch die Nahrungsmittelkrise gründlich verhagelt worden, die Zahl der Betroffenen wieder sprunghaft angestiegen. Trotzdem stellte die internationale Gemeinschaft kaum zusätzliche Gelder zur Verfügung. Erst als das internationale Bankensystem bedroht war, saß der Geldbeutel der reichen Länder plötzlich sehr locker. Denn wenn dieser Motor der kapitalistischen Weltwirtschaft versagt, geht es den Industrieländern selbst an den Kragen.

Der Evangelische Entwicklungsdienst weist in einer Erklärung zur Finanzkrise. darauf hin, dass man mit den für den Rettungsschirm bereitgestellten Geldern die Millenniumsziele hätte verwirklichen können. Konrad von Bonin ist der Chef des Evangelischen Entwicklungsdienstes:

"Wenn auf Dauer sehr viele Mittel zur Rettung der Banken verwendet werden, sind nicht mehr viele Mittel für andere Zwecke da. Es gibt ja die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungsaufgaben zur Verfügung zu stellen. Die Bundesrepublik Deutschland ist zur Zeit bei 3,3 Prozent und viele andere Länder noch weit darunter. Zur Erreichung der Millenniumsziele, so ist es ausgerechnet worden von der UNO, sind diese 0,7 Prozent notwenig. Wenn man mal das Weltbruttosozialprodukt zusammenrechnet, und dann die Differenz nimmt zwischen 0,3 und 0,7 Prozent, da kommt man an eine Summe in der Nähe von 1,5 – 2000 Milliarden Dollar."

Nach den Kalkulationen des Evangelischen Entwicklungsdienstes entspricht diese Zahl ungefähr der Summe, die die USA, die EU sowie Japan und Russland zusammen für ihre jeweiligen Rettungsschirme zur Verfügung gestellt haben. Eine unvorstellbar hohe Zahl mit zwölf Nullen, von denen sich tausende Brunnen, umweltfreundliche Kraftwerke, Schulen, Krankenhäuser und Straßen bauen und gleichzeitig millionenfach Ausbildungen zu Ärzten und Lehrern bezahlen ließen.

Aber kann man Menschen wirklich mit Geld von Armut und Hunger befreien?

Konrad von Bonin: "Die Armut in der Welt hat viele Gründe (-) ein Teil der Gründe haben damit zu tun, dass es nicht genug Mittel gibt, Armut zu überwinden. Zum Beispiel gibt es nicht genug Mittel Aidskranke mit Medikament zu versorgen, zum Beispiel gibt es nicht genug Mittel Grundschulen aufzubauen und Lehrer zu bezahlen, zum Beispiel (-) Nahrungsmittel dort zur Verfügung zu stellen, wo Dürresituationen sind und keine Nahrungsmittel mehr da sind."

Aber mit Geld allein lässt sich die Welt nicht retten. Wer Aidsmedikamente verteilen will, braucht ausgebildete Gesundheitshelfer, die erklären, wie man diese einnimmt und das dann auch überwachen. Viele Kranke können nicht lesen und schreiben und leben in kleinen Dörfern, kilometerweit von der nächsten Gesundheitsstation entfernt.

Kleinbauern auf dem Land und die Slumbewohner in den Städten sind die Zielgruppen, die von mehr Entwicklungshilfe profitieren sollten. Aber nur wenn Gelder in intelligente und transparente Planungen fließen, können sie wirklich blühende Landschaften hervorbringen.

Zurück nach Burkina Faso. Am neuen Dorfbrunnen drängen sich junge Frauen und Mädchen mit gelben und roten Kanistern. Mit einem Handschwengel pumpen sie hygienisch einwandfreies Wasser aus großer Tiefe empor. Früher mussten sie weite Wege zurücklegen, um Wasser zu finden. Häufig war es verschmutzt, viele Kinder im Dorf wurden davon krank. Jetzt stehen für die 3000 Bewohner des Millenniumsdorfes sechs neue Brunnen bereit, außerdem zwei neue Schulen. Die neu gewonnene Freizeit nutzen viele Mädchen um vormittags die Schule zu besuchen.

Hilfe zur Selbsthilfe heißt die Devise im Millenniumsdorf. Die Menschen bekommen Materialen und Werkzeuge geschenkt. Aber die meisten Arbeiten, auch beim Schulbau, führen sie unter fachkundiger Anleitung selber aus.

Auf den abgeernteten Hirse- und Sorghumfelder was sind das für Felder? in Tangaye stapeln Männer in ausgebeulten Jeans und Frauen mit bunten Röcken Steine zu einem hohen Wall. Sie stehen in einer langgestreckten Grube im Sandboden, einem Erosionsgraben, durch den in der Regenzeit große Wassermengen abfließen und dabei die fruchtbare Humusschicht in tiefer gelegene Regionen spülen, erklärt der Projektleiter Klaus Lohmann.

"Hier fällt in einer halben Stunde soviel Wasser, wie in Deutschland in einem ganzen Monat, also ungeheure Wassermassen in wenig zeit (-) soviel Wasser kann nicht einsickern. Aus diesem Grund werden diese Rückhaltedämme gemacht."

Die Dorfbewohner haben auch die trockenen Böden ihrer Äcker mit kleinen Steinwällen umrandet. Die Steine haben sie eigenhändig in einem nahegelegenen Steinbruch geschlagen. Nur der LkW für den Transport ins Dorf wurde von Spendengeldern finanziert. Jetzt halten die Wälle das Regenwasser fest und die Bauern ernten wieder mehr.

Mit besserem Saatgut und selbst gemachtem Kompost bauen sie jetzt auch Gemüse wie Zwiebeln und Tomaten an. Mitarbeiter der burkinischen Partnerorganisation der Welthungerhilfe schulen die Bauern in besseren Anbaumethoden, Umweltschutz, Aidsaufklärung und Ernährungsberatung. Aus einem Kochkurs für Kinderernährung.

Rakieta Sawadogo wedelt energisch mit einem Stück Trockenfisch. Etwa 20 junge Mütter haben sich um versammelt. Jede hält ein Baby oder Kleinkind im Arm. Rakieta spricht zu ihnen in der lokalen Sprache Moré. im Hintergrund lodert ein Holzfeuer unter einem großen Topf mit Brei:

Es ist wichtig, dass eure Kinder auch Proteine bekommen, erklärt sie, darum müsst ihr etwas getrockneten Fisch stampfen und in den Hirsebrei mischen. Und zum Schluss müsst ihr noch eine Prise Kombo dazu geben. Kombo ist ein afrikanisches Gewürz, das viele Vitamine enthält.

650.000 Euro kostet das gesamte Konzept Millenniumsdorf in Burkina Faso für eine Periode von fünf Jahren. Für nur eine einzige der zur Bankenrettung angesetzten Milliarden könnten in Afrika etwa 3200 solcher Dörfer für fast zehn Millionen Menschen entstehen.

Konrad von Bonin, der Chef des Evangelischen Entwicklungsdienstes, sieht die Menschheit an einem Wendepunkt:

"In einer solchen Krisensituaaion, die wir jetzt in dreierlei Hinsicht haben, in der Klimasituation, in der Ernährungskrise und der Finanzkrise ist es Anlass darüber nachzudenken, in welchen System leben wir in der Welt, auf welcher Seite stehen wir Menschen, auf welcher Seite stehen die Regierungen, auf welcher Seite steht die Wirtschaft. Stehen sie auf der Seite der Reichen oder der Armen? Und hier ist es eine der Grundlage des christlichen Glaubens, die Option für die Armen. Und wir fordern zunächst mal eine Haltungsänderung in unseren Ländern, ein neuer Aufstand der Anständigen."