Wie krank ist die Bank? Hintergründe und Auswirkungen der US-Finanzkrise

Die Ausläufer der Bankenkrise in den USA haben längst Europa und auch Deutschland erreicht. Seit das US-Investmenthaus Lehman Brothers vor knapp drei Wochen in die Pleite rutschte, hat die Finanzkrise einen Sog von kaum vorstellbarer Kraft entwickelt.
Scheinbar unerschütterliche US-Großbanken wie Merrill Lynch oder Goldman Sachs, die das Gesicht der Wallstreet prägten, wurden binnen weniger Tage aufgekauft oder umstrukturiert, die größte amerikanische Sparkasse verramscht. Der amerikanische Hypothekenmarkt - Ausgangspunkt der Krise - ist weitgehend verstaatlicht.

Ökonomen sprechen bereits von der größten Bedrohung seit der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren, niemand wagt derzeit ernsthaft abschätzen, welche Konsequenzen auf die USA und die Weltmärkte zukommen werden. Und die Sparer bangen weltweit um ihre Altersvorsorge und Ersparnisse.

Der Schweizer Journalist Leo Müller analysiert die Finanzmärkte bereits seit Jahren, unter anderem für die Magazine "Capital", "Cash" und den "Stern". Auch seine Bücher beschäftigen sich mit der Welt des Geldes, so zum Beispiel der Finanzkrimi "Tatort Zürich" oder "Ackermanns Welt". Auch er kann über das Ausmaß der derzeitigen Krise nur den Kopf schütteln: "Die Banken haben untereinander einen blühenden Handel mit virtuellen Produkten betrieben, diese Spekulationsblase blähte sich immer mehr auf. Und jetzt haben wir den Domino-Effekt, dass die Krise von einer Bank auf die andere überschwappt. Die Banken geraten ins Rutschen, weil sie sich gegenseitig abgesichert haben. Das ist wie ein Schwungrad, das über viele Jahre mit sehr viel Masse betrieben wurde. Und mit diesem Volumen kommt dieses Rad jetzt zum Stehen. Es gibt eine abrupte Reaktion im Wirtschaftsmotor der immer heißer läuft."

Seine trockene Analyse: "Natürlich wurde gezockt! Das war wie ein großes Casino."

Wer zahlt die Zeche der Milliardenverluste?

"Da sind die Aktionäre, deren Anlagen sind fast vernichtet durch den Bankencrash, in den USA sind schon fast eine Billion Dollar an Buchwerten vernichtet worden, dann sind da die Pensionskassen, die Versorgungswerke und natürlich der Staat und damit die Steuerzahler."

Was bedeutet das für den ganz normalen Sparer?

"Das bedeutet, dass er – soweit er ein Haus oder eine Eigentumswohnung hat - diese möglichst schuldenfrei haben sollte. Das bedeutet aber auch: Soweit er nichts davon versteht: Finger weg von Derivaten! Ich muss genau wissen, dass ich mich da auskenne. Ich sage guten Freunden immer: Nehmt euch ein Prospekt und versucht zu verstehen und dann eurem Bankberater Fragen zu stellen. Und ihr werdet sehen, die verstehen es selber nicht …"

Diese Krise war vorhersehbar, sagt der Ökonom und Politikwissenschaftler Michael Krätke von der Universität. "Da wurden Leuten in den USA Kredite nachgeworfen, in der Hoffnung, dass die Preise für die Immobilien steigen würden, denn selbst wenn die Leute die Häuser hätten verkaufen müssen, hätte die Bank sie teurer verkaufen können. Es war also ein Spekulationsgeschäft auf beiden Seiten. Und solange die Immobilienpreise steigen, funktioniert das ja auch. Aber wenn das stoppt, dann bricht das Kartenhaus zusammen. Die Banken wussten ja gar nicht genau, was sie da gekauft haben. Die haben sich darauf gestürzt, ohne zu wissen, dass darunter eine Menge fauler Kredite waren. "

Welche Auswirkungen sieht er für die deutschen Sparer?

"In Deutschland werden die Sparanlagen ziemlich gut gesichert, so dass sie nicht befürchten müssen, dass ihr Geld weg ist. Reine Privatbanken könnten zusammenbrechen, Sparkassen sind öffentlich-rechtlich, dahinter steht auch eine Staatsgarantie. Der wirkliche Effekt betrifft aber die USA, Spanien und Großbritannien: 85 Prozent der Spanier leben in Eigenheimen, 73 Prozent der Briten und fast alle sind durch Hypotheken finanziert."

Seine Überzeugung: "Wir erleben einen völligen Umbruch dieser Art des US-Kapitalismus, bei dem sich alles um die zentrale Rolle der Finanzmärkte drehte. Er hat den historischen Zenit überschritten."

Literaturhinweis: Leo Müller: Tatort Zürich. Einblicke in die Schattenwelt der internationalen Finanzkriminalität, Ullstein Tb 2007

Das vollständige Gespräch mit Leo Müller und Michael Krätke können Sie mindestens bis zum 4. April 2009 in unserem Audio-On-Demand-Player hören. ( MP3-Audio Teil 1 ) ( MP3-Audio Teil 2 )