"Wie ist's dahaaam so schii"

Von Christiane Hillebrand · 20.02.2009
Ein paar Frauen aus Langgöns-Niederkleen bei Gießen saßen nach einer Weihnachtsfeier zusammen und sangen alte Volkslieder zum Teil in Mundart. Der junge Musikpädagoge Patrick Stinka hörte ihnen zu und kam auf die Idee, einen Chor zu gründen, um das fast vergessene Liedgut zu pflegen. So entstand "Der große Spinnstubenchor vom Cleebachtal".
Patrick Stinka: "'Ich bin der Bub vom Cleebachtal' - könnt ihr es auswendig??"

Sängerin: "Es war halt früher so, wenn man mit den Verwandten zusammenkam, es war ja kein Fernsehen und kein Radio da, und dann wurde sich n‘ bisschen was erzählt und da wurde gesungen. Und dann waren dann noch die Großeltern mit dabei und eben die Verwandten und das war dann ganz schön und unterhaltsam."

Sängerin: "Wir waren vier Geschwister und wenn wir so zusammengesessen haben, haben wir die Lieder gesungen, die Spinnstubenlieder. Daher kenne ich die auch, und da singe ich auch gern mit, ich singe auch gern."

Patrick Stinka: "Vor dem Krieg war das noch sehr, sehr üblich dass es in jedem Dorf ne Spinnstube gestanden hat und im Winter in den langen kalten Nächten, Abenden eben sich getroffen wurde, Handwerkszeug mitgebracht wurde, und sehr viel geschwätzt und nebenbei auch Dorfpolitik betrieben wurde und eben auch gesungen, und das sind diese Spinnstubenlieder."

Patrick Stinka ist Musikpädagoge und -wissenschaftler. Er leitet noch viele andere Chöre in Mittelhessen, darunter auch einige Frauen-Kirchenchöre. Die Sängerinnen dieser Chöre waren es auch, die ihn auf die alten Spinnstubenlieder aufmerksam gemacht hatten. Er selbst ist gerade mal 30 Jahre alt und kannte die alten Lieder gar nicht mehr. Jetzt darf er sie gemeinsam mit dem "Großen Spinnstubenchor vom Cleebachtal" neu entdecken. Patrick Stinka fühlt sich ein bisschen wie ein Schatzgräber oder Perlensucher. Es macht ihm sichtlich Spaß, den "Spinnstubenchor" zu leiten.

Patrick Stinka: "Es macht saumäßig viel Spaß, vor allem wenn man sieht, wie begeistert die Leute dabei sind und wie dankbar auch ganz viele Leute im Publikum sind, diese Lieder noch mal gut gepflegt zu hören, also es gibt oft Tränen im Publikum. Und das ist schon schön zu sehen, dass man den Leuten wirklich so ne Freude machen kann mit den alten Liedern, also es macht wirklich Spaß."

Sängerin: "Das Lied 'Wie ist’s dahaaam so schii', hoffentlich könnt ihrs alle verstehen, ihr Leut: Wie es ist daheim so schön."

Ob Mundart oder Hochdeutsch, nur wenige der alten Lieder findet man noch in Büchern. Oft müssen die Melodien und Texte gemeinsam erarbeitet werden, aber das funktioniert ganz gut, sagt Margot Engel, denn die meisten der Sängerinnen und Sänger kennen die Lieder noch von früher.

Margot Engel: "Wenn wir so zusammen ist - was die eine nicht weiß, das weiß die andere, und dann kommen wir schon dahin, wo wir hinwollen. Von früher, das hat man ja eher im Kopp als das, was jetzt passiert." (Lachen)

Die Texte werden dann für alle abgetippt und verteilt. Die Melodien aber haben die Sängerinnen und Sänger im Kopf.

Patrick Stinka: "Wir arbeiten völlig ohne Noten, das ist ganz wichtig, dabei zu sagen, wir haben, nur die Texte und alles andere kommt, ich sag jetzt mal so schön, aus dem Herzen." (Lachen)

Sängerin: "Das macht schon Experimente mir uns,..."

Rund 60 Frauen und Männer singen mit, zwischen 40 und 80 Jahren alt. Die Jüngeren lernen von den Älteren. Erst wird einstimmig gesungen und nach und nach traut sich der eine oder die andere auch mal die Terz hineinzumischen. Die Mehrstimmigkeit entwickelt sich oft von ganz allein. Es kommt auch mal vor, dass ein Heimatlied in jedem Dorf ein wenig anders gesungen wird, und siehe da, gemeinsam klingt das Ganze richtig gut. Das hätte vorher niemand gedacht.

Stinka: "Da waren die Frauen auch entsetzt und erschrocken, dass sie sich jahrelang auf der Kirmes bekriegt haben, was die richtige Version ist und zusammen klingts dann wunderbar, wenn man sich mal traut, es zu machen."

Sängerin: "Wir haben uns zusammengefunden gefunden, es passt!"

Patrick Stinka leitet die Singstunde mit großer Leidenschaft. Unermüdlich springt er zwischen Klavier und Chor hin und her und sprüht vor Begeisterung. Das kommt bei den Sängern an. Sie kommen gerne - jeden ersten Freitag im Monat.

Sängerinnen: "Es ist halt ein bisschen Spaß an der Freud, Spaß am Singen einfach, ohne große Anstrengung. Mir machts Singen überhaupt Spaß, gell und bei so einem Dirigenten, sowieso. (Lachen) Ein Dirigent, der so mitgeht, da läuft das nachher. Beim Hessentag in Butzbach, da war der Durchbruch, muss man sagen. Da haben wir erst gemerkt, dass das gefragt ist und nicht vergessen ist."

Das war im Sommer 2007. Damals sind die Frauen in der Hüttenberger Tracht auftreten, Patrick Stinka im Frack, mit Zylinder. Seitdem hat der Chor viele andere Auftritte gehabt, auf Weihnachtsmärkten, Dorffesten, Jubiläumsfeiern und Geburtstagen und immer wieder haben die Sängerinnen und Sänger das Publikum begeistert. Mehr als 30 Lieder hat der Chor bereits im Repertoire und es werden jeden Monat mehr.

Stinka: " Für mich sind die Lieder schon fast was Exotisches, ich find es einfach ganz spannend, was hier noch so lebt aus alten Zeiten. Ich kannte noch nicht mal ‚Ich pflück zwei rote Rosen‘, ich muss es zu meiner Schande gestehen, das geht wirklich von Mund zu Mund, wie in alten Zeiten.""

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.