Wie im Vietnamkrieg

Von Udo Pollmer · 19.10.2013
Das Herbstlaub fällt – ganz von alleine. In der Landwirtschaft ist das manchmal anders. Dort werden Obstbäume bisweilen chemisch entlaubt. Die Hintergründe dieser verbreiteten Praxis, über die aber nicht allzu offen gesprochen wird, erklärt der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer.
Wenn sich die Blätter bunt verfärben, dann ist Herbst. Wer jetzt seinen Blick über die Felder schweifen lässt, auf den mag die herbstliche Idylle dennoch etwas befremdlich wirken. Denn das Kraut auf den Kartoffeläckern ist merkwürdig braun und vertrocknet, es wirkt, wie wenn Feuer über das Feld gekommen wäre. Wäre es auf natürliche Weise verwelkt, dann würde zumindest da und dort etwas Unkraut noch grün oder gelb hervorlugen.

Doch nicht Feuer hat die Bestände verdorren lassen, sondern spezielle Vertrocknungsmittel. Bei Kartoffeln werden zunächst die Blätter des Krautes mit einem Herbizid abgetötet, – was nebenbei auch störenden Unkräutern den Garaus macht. Sobald das Blattdach chemisch geöffnet ist, lassen sich nun die robusteren Stängel mit einem Sikkationsmittel besprühen, damit auch sie vertrocknen. Dies erleichtert die Ernte und fördert zugleich die Schalenfestigkeit. Wenn sich die Schale nicht mehr auf Druck von der Kartoffel löst, werden beim Transport weniger Knollen beschädigt und damit verfaulen auch weniger während der Lagerung.

"Pommes ohne braune Stellen"
Von der chemischen Krautabtötung profitieren sogar die Pommes: Sie haben weniger Zuckerspitzen: Von Zuckerspitzen spricht man, wenn die Enden der Pommes beim Frittieren dunkelbraun werden. Der Geschmack der Kartoffel wird durch die Behandlung nicht beeinträchtigt. Bei Verwendung geeigneter Krautabtötungsmittel sind die Rückstände so gering, dass die Kartoffeln sogar für Babynahrung verwendet werden dürfen.

Bei Raps, Getreide und Hülsenfrüchten wie Soja, Linsen und Bohnen, die häufig mit Vertrocknungsmitteln besprüht werden, steigt die Druschleistung der Erntemaschinen. Die Mittel sorgen dafür, dass auch die unreifen Schoten schnell trocknen. Bei Baumwolle wäre eine mechanische Ernte ohne eine solche Vorbehandlung kaum möglich. Hier geht es um die Entfernung aller grünen Blätter. Sie könnten sonst in den Pflückmaschinen die weißen Baumwollfäden mit ihrem Blattgrün verfärben.

"Zweite Ernte durch Entlaubung"
In den Tropen sind Entlaubungsmittel vor allem im Obstbau gefragt. Hier geht es nicht um Ernteerleichterung sondern um Ertragssteigerung. Werden beispielsweise Apfelbäume nach der Ernte entlaubt, fangen sie abermals an zu treiben und man erhält im gleichen Jahr eine zweite Apfelernte. Es gibt viele Arten von Obst, bei denen das Verfahren lohnt – sogar bei Brombeeren und Mandeln. Die Gründe für die Entlaubung sind vielfältig: Wenn in Neuseeland die Kiwiplantagen nach der Ernte entblättert werden, dann um Viruserkrankungen zu bekämpfen. Beim Maulbeerbaum wiederum dient die Entlaubung dazu, Seide billiger herstellen zu können. Die Blätter braucht man, um die Seidenraupen zu füttern.

Die versprühten Mittel gehören offiziell drei Gruppen an: Einmal die klassischen Herbizide wie Glyphosat. Sie zerstören grüne Pflanzenteile – wie bei der Baumwolle. Dann gibt es die Sikkationsmittel. Sie lassen Pflanzen vertrocknen – so wie beim Kartoffelkraut. Als Dritte im Bunde kommen die Defoliantien. Die sor-gen dafür, dass die Pflanze ihr Laub abwirft, dieses aber nicht vertrocknet – wie bei der Maulbeere. Welt-weit wird ein bunter Strauß von Substanzen verwendet – darunter auch Dubioses wie die Kakodylsäure – eine Arsenverbindung.

""Entlaubung" ist Tabuwort"
Die Übergänge zwischen den Wirkstoffen sind fließend. Offenbar geht es der Branche vor allem darum, einen bestimmten Begriff zu umschiffen: Es sind nämlich allesamt "Entlaubungsmittel". Doch dieses Wort ist seit dem Vietnamkrieg verbrannt. Damals wurde der Tropenwald mit dem berüchtigten Agent Orange zerstört, um dem Vietcong die Deckung zu nehmen.

Wenn die Landwirtschaft nicht gleichgesetzt werden will mit der Entlaubung in Vietnam, sollte sie ihre Praxis gegenüber der Öffentlichkeit auch offen vertreten. Und nicht warten, bis Greenpeace und Co. das Thema aufgreifen. Mahlzeit!


Literatur
Meßmer HJ: Gesunde Kartoffeln durch rechtzeitige Krautabtötung. Landpost 2009; H.31: 12-16
Griesbach J: Growing Temperate Fruit Trees in Kenya. World Agroforestry Centre (ICRAF), Kenya 2007
Grijalva-Contreras RL: Chemical defoliation of almond in warm climates of Northwestern Mexico. 92nd Annual Meeting of the American Society for Horticultural Science, Montréal, Québec, Canada
30 July–3 August 1995
Addicott FT: Abscission. University of California Press, Berkeley 1982
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