Wie Hunde Diabetiker retten können

Von Stephanie Kowalewski · 02.02.2013
Manche Diabetiker merken es nicht, wenn ihr Blutzucker bedrohlich absackt. Speziell ausgebildete Hunde können diese Menschen frühzeitig warnen. Sie erschnüffeln die Unterzuckerung, schlagen an - und retten so womöglich Leben.
Robby ist eine 1,5 Jahre alte Golden Retriever-Hündin. Gerade ist sie vom Toben auf der Wiese etwas außer Puste. Schließlich darf auch ein Diabetes-Warnhund mal ausgelassen sein, sagt Klaus Resch. Er ist durch die Krankheit seiner zwölfjährigen Tochter zu dem Hund gekommen:

"Weil ich nachts nicht schlafen konnte. Meine Tochter hat seit zweieinhalb Jahren Diabetes 1. Ich musste halt meine Tochter fast stündlich überwachen, ob sie eine Unterzuckerung hat. Es kann sein, dass sie dann schlimmstenfalls in ein Koma fällt, was man ja dann nicht merkt. Ich kann es nicht unterscheiden, ob sie schläft oder in einem Koma ist. Und ein Koma ist lebensbedrohlich. Und irgendwann schaffen sie das nicht mehr, körperlich und psychisch."

Aber auch tagsüber merken es viele Diabetiker schlicht nicht, wenn ihr Blutzucker bedrohlich absackt. Deshalb reagieren sie auch nicht auf Warnsignale wie etwa kalten Schweiß, zittrige Hände oder Heißhunger, sagt Karsten Müssig. Er ist Diabetologe an der Düsseldorfer Uniklinik für Stoffwechselkrankheiten und Leiter des klinischen Studienzentrums am Deutschen Diabetes-Zentrum Düsseldorf.

"Wir wissen, dass bei einer lange bestehenden Diabeteserkrankung diese Fähigkeit, die Unterzuckerung wahrzunehmen, herabgesetzt ist. Ohne dass man die genauen Regelmechanismen, die dahinter sind, genau verstanden hat. Aber das bedeutet natürlich eine Gefahr für den Menschen mit Diabetes, dass er im schlimmsten Falle dann direkt ins Koma fällt, ohne dass er vorher die Vorzeichen wahrgenommen hat."

Deshalb hat Klaus Resch zur Unterstützung Robby ins Haus geholt. Doch zunächst machte der Hund noch mehr Arbeit, denn Familie Resch bildet den Welpen unter Anleitung selbst zum Diabetes-Warnhund für die kranke Tochter aus.

"Wir haben von meiner Tochter, als sie eine Hypo hatte, das heißt eine Unterzuckerung, ein Kleidungsstück genommen, das den charakteristischen Geruch angenommen hat, haben Robby das unter die Nase gehalten und wenn sie das gerochen hat, hat sie Futter bekommen. Sodass sie gemerkt hat, wenn ich das rieche, ist das interessant. Dann musste sie, wenn sie das gerochen hat, ans Knie stubsen und hat dann erst die Belohnung gekriegt."

Wenn Robby heute diesen Geruch wahrnimmt, läuft immer die gleiche Reaktionskette ab: Sie stubst die diabeteskranke Tochter an, holt eine Notfall-Tasche samt Traubenzucker und Blutzuckermessgerät, und wenn die Diabetikerin nicht reagiert, schlägt die Hündin Alarm, indem sie mit der Schnauze eine Sirene auslöst.

Diabetes-Warnhunde werden also ganz ähnlich wie Drogenspürhunde ausgebildet, erklärt Jolante Wittek-Pakulo. Die Diabetologin leitet das Ausbildungsprogramm bei DiabDogs, einem Verein, der den Vierbeinern beibringt, den besonderen Geruch eines unterzuckerten Menschen zu erkennen.

"Das gleiche Prinzip, nur mit dem Unterschied, dass man dem Drogenhund eine Substanz vor die Nase hält, wo man weiß, das ist das. Wir haben es hier zu tun mit einer Substanz, die wir gar nicht kennen oder mit einem Geruch, den wir überhaupt nicht identifizieren können. Wenn sie die Geruchsprobe von einem Diabetiker nehmen, da riechen sie nichts."

Noch tappen Wissenschaftler nämlich im Dunkeln, was Hunde wie Robby da eigentlich riechen, sagt Karsten Müssig.

"Was ist es letztendlich? Sind es die Stresshormone, sind es andere Substanzen, die freigesetzt werden über die Atemluft, über den Schweiß, was den Hund veranlasst so anzuschlagen?"

Doch noch fehlen aussagekräftige Studien zu Diabetes-Warnhunden. Erste Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Hunde sehr früh eine mitunter lebensgefährliche Unterzuckerung wahrnehmen. Auch Robby hat offensichtlich ein gutes Näschen für den Blutzucker seines jungen Frauchens, sagt Klaus Resch:

"Robby zeigt schon häufig an, bevor überhaupt der Mensch merkt, dass eine Unterzuckerung droht."

Genau deshalb könnten die Hunde Diabetikern möglicherweise gute und mitunter lebensrettende Dienste leisten, meint der Diabetologe Karsten Müssig.

"Ich finde, es ist ein lohnenswerter Ansatz, insbesondere deshalb, weil wir keine anderen Maßnahmen augenblicklich zur Verfügung haben."

Doch noch sind wichtige Fragen zu klären. Etwa, wie zuverlässig schlagen die Hunde an? Erkennen sie tatsächlich jede Unterzuckerung? Auch gesicherte Qualitätsstandards für die Hundeausbildung fehlen noch. All das soll nun wissenschaftlich evaluiert werden, sagt Jolante Wittek-Pakulo von DiabDogs.

"Deswegen machen wir das auch mit technischer Unterstützung, mit der sogenannten kontinuierlichen Glukosemessung. Das bedeutet, dass der Sensor in die Haut eingesetzt wird und über sechs Tage alle fünf Minuten den Glukosewert ermittelt, sodass wir 288 Werte pro Tag haben."

So ergibt sich ein sehr engmaschiges Bild des Blutzuckerverlaufs, der sich dann mit dem Anschlagen des Hundes abgleichen lässt. Da aber zur Zeit weder die DiabDogs noch die kontinuierliche Glukosemessung von den Krankenkassen finanziert werden, müssen Interessierte beides aus der eigenen Tasche zahlen. Jolante Wittek-Pakulo räumt ein, dass da rund 4000 Euro zusammen kommen können.

"Das wird etappenweise beglichen und beide Parteien haben jederzeit die Chance zu sagen, es macht keinen Sinn."

Zum Beispiel weil der Hund nicht zuverlässig genug anschlägt oder den Diabetikern die Ausbildung zu aufwändig oder zu teuer ist. Auch Klaus Resch findet die Kosten ziemlich hoch, und doch tut ihm kein Cent Leid, sagt er, den er in Robby und die Ausblidung zum Diabetes-Warnhund invesiert hat. In den gut anderthalb Jahren, die der Hund nun bei ihnen lebt, habe er rund zwanzig mal in gefährlichen Situationen frühzeitig gewarnt und so womöglich Schlimmeres verhindert. Und seine zwölfjährige Tochter ist durch ihren vierbeinigen Begleiter regelrecht aufgeblüht.

"Für sie ist das ein super Lebensgewinn. Sie war deprimiert und durch den Hund ist sie aufgeblüht. Ist ein Antidepressivum ohne Nebenwirkungen."

Und auch für ihn hat sich die Situation rund um die Diabeteskrankheit seiner Tochter erheblich verbessert, betont Klaus Resch.

"Ja. Es ist einfacher geworden, ich habe halt noch jemanden, der zusätzlich aufpasst. Ich kann nun wirklich mal nachts schlafen, weil ich weiß, der Hund ist im Hintergrund und würde Alarm schlagen."

Sagts, streichelt Robby über das seidige Fell und wirft einen Ball, dem der Diabetes-Warnhund ausgelassen hinterherjagt.
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