Wie haltbar ist der (Erfolgs-)Faktor Merkel?

Von Corinna Emundts · 02.02.2006
Das Jammern über Politik hat schlagartig aufgehört. Nun sind die Deutschen plötzlich zufrieden mit der Politik - obwohl, mit Verlaub gesagt, sich durch die neue Koalition inhaltlich noch gar nicht allzu viel geändert hat. Die vielen kleinen Schritte, die Angela Merkel angekündigt hat, stehen im Großen und Ganzen in der Denk-Tradition der Schröder-Regierung.
Die großen Reformen in Gesundheit, Rente und Steuer – potenzielle Angstmacher - sie sind noch nicht angepackt. Von der Wohlfühl-Koalition ist inzwischen die Rede, die erst mal im Lande die Stimmung zum Positiven wenden will. Bisher sind die neuen und alten SPD-Minister äußerst zufrieden mit der Kanzlerin aus dem gegnerischen politischen Lager. Manche Abstimmung fällt leichter als mit dem grünen Koalitionspartner. Angela Merkel wiederum hat sich in vielen Punkten von ihrem ursprünglichen Reform-Profil verabschiedet und eine moderierende Rolle eingenommen.

Das Erstaunliche dabei ist, dass es besser funktioniert, als sich die neue Kanzlerin das je hätte ausrechnen können. Diese doch eher unauffällige Frau, aufgrund ihrer wissenschaftlichen Herkunft nun Physikerin der Macht genannt, bringt Umfrage-Zahlen zustande, über die man staunt – und - wetten! - sie selbst im Stillen auch ein bisschen.

Der Erfolgsfaktor Merkel. Ist es der Zauber des Neuanfangs, gar reine Psychologie? Nicht einmal mehr von der Vogelgrippe fühlen sich die ängstlichen Deutschen bedroht. Und die Wirtschaftsaussichten werden – trotz der neuesten Zahlen vom Arbeitsmarkt - in Umfragen jetzt so günstig bewertet wie schon seit fünf Jahren nicht mehr.

Gut, man weiß nach dem Demoskopie-Desaster der letzten Bundestagswahl, was man von Umfragen zu halten hat. Vielleicht ist es nur eine Laune, eine kurze Euphorie, Erleichterung darüber, wieder ein paar Jahre vermeintlich geordnete Verhältnisse in der Politik zu haben. Die Gegenfrage scheint mehr als berechtigt, wie haltbar der Erfolgsfaktor Merkel ist.
Er ist es dann, wenn er auf vielen Säulen steht, vielerlei Ursachen hat – und nicht nur die eine rein äußerlich wirkende Stilfrage, dass Frau Merkel einen sachlicheren Politikstil prägt als ihr Vorgänger.

Wie eine zu niedrig gehandelte Aktie wurde sie lange unterschätzt. Und im Wahlkampf geriet ihr Geschlecht sowohl in der eigenen Partei als auch bei den Wählerinnen und Wählern eher zum Nachteil. Selbst die Frauenunion der CDU glaubt, dass dies Stimmen gekostet hat. Damit offensiv zu werben, wie es dann Alice Schwarzer stellvertretend für Merkel tat – nach dem Motto: Deutschland ist reif für eine Frau – soweit waren die Christdemokraten nicht. Niemand äußerte offen Zweifel, ob eine Frau wirklich taugt für dieses Amt, aber unterschätzt wurde Merkel doch immer – durchaus frauentypisch.

Daher sind die so besonders guten Noten für die Kanzlerin auch ein Zeugnis dafür, wie skeptisch die Nation gegenüber ihrer ersten weiblichen Führungskraft war. Aber auch dafür, wie geschickt Merkel das unentschlossene Wahlergebnis und die Gefühlslandschaft der Deutschen erkannt und auch zu nutzen wusste. Schlagartig hat sie verstanden, dass in diesem Land ein Reformkurs nur dann bei der Mehrheit der Menschen Erfolg hat, wenn er nicht allzu weh tut und – eben in "kleinen Schritten" daherkommt. Sie hat ihr Politikkonzept daran angepasst und in Koalitionsverhandlungen still und geduldig bis zu einem Kompromiss hingewirkt.

Der Soziologe Heinz Bude sieht eine Stimmigkeit zwischen Merkels unaufgeregtem, unglamourösen Auftreten und Handeln und dem Charakter der Generation nach den Achtundsechzigern, denen nun viele Kabinettsmitglieder angehören: "Es ist so, als hätte die Bundesrepublik auf die mit der Figur Angela Merkel verbundene Desillusionierung buchstäblich gewartet." Die Generation der nach 1950 geborenen will eine pragmatische Politik, die Dinge beim Namen nennt und Augenmaß behält. Die flexibel auf neue Erkenntnisse reagiert.

Angela Merkel ist ein lernendes System auf zwei Beinen. Insofern passt sie auch auf dieses Profil. Sie hat sich verändert durch das Amt, sie versucht zu optimieren – auch sich selbst. Ein besonders auffälliges Beispiel ist ihre neue Linie gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika. Klammheimlich, ohne es groß zu thematisieren, hat sie für sich ihre Schlüsse aus ihrem Bush-stützenden Washington-Besuch im Jahr 2003 gezogen und geht auf mehr Distanz, ohne allzu unverbindlich zu wirken. Betont Menschenrechte in Ost und West, gegenüber Bush und Putin. Sie versucht eine faire Partnerschaft, von der Mehrheit der Deutschen anstatt des Schröderschen Gut-Böse-Schemas gewünscht. Und das Ausland reagiert mit Respekt auf ihren Kurs. Erkennbar dabei, dass Stilfragen auch Machtfragen sind. Und insofern sehr relevant.


Corinna Emundts, geb. 1970, schreibt für die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" Online-Kolumnen aus Berlin. Die Politikjournalistin (Theodor-Wolff-Preisträgerin 1995), hat auch für die "Süddeutsche Zeitung", die "Frankfurter Rundschau", "Die Woche" und andere Blätter gearbeitet.