''Wie geht es uns?''

Von Alexandra Gerlach |
Wie ein professionelles Gespräch des Arztes mit seinem Patienten aufgebaut wird, lernen die etwa 400 Medizinstudenten der Leipziger Universität seit zwei Jahren. Als einzige Bildungsstätte Deutschlands bietet sie allen Auszubildenden des dritten und vierten Semesters im Pflichtfach Gesprächsführung die Chance, sich ausschließlich mit diesem wichtigen Thema zu befassen.
Oft fehlt den Medizinern im Alltag in Praxen und Kliniken die Zeit für ein ausführliches Gespräch mit ihren Patienten. Dabei ist gerade das Gespräch eine Hauptmethode der Diagnostik. Wenn Mediziner wissen, wie ein Arzt-Patienten-Gespräch geführt wird, dann könnten Kosten im Gesundheitswesen eingespart werden. Im vertrauensvollen Dialog erfährt der Arzt oft viel mehr als durch aufwändige Untersuchungen.

"Guten Tag Frau Förster, kommen Sie herein,… mein Name ist Dr. Wilzer,… Sie wurden ja vom Internisten an uns überwiesen, sie haben ein Magengeschwür und nachdem da somatisch nichts gefunden wurde, wollen wir jetzt mal schauen, wie wir Ihnen helfen können,…""

Studentin Annika: "Ich habe verschiedene Praktika gemacht, bevor ich das Studium angefangen hab, in der Augenklinik und ich war selber mit fünf Jahren im Krankenhaus, das war wahrscheinlich das Initial, das mich das sehr beeindruckt hat, weil ich eine längere Zeit wegen eines Tumors im Krankenhaus war, und deshalb, kommt das, aber was ich einmal machen will, das weiß ich noch nicht."

Student Thomas: "Ich hab so das Idealbild vom Landarzt und so, auf dem Dorf irgendwo, das würde mir richtig gut gefallen!"

Thomas und Annika studieren beide im dritten Semester Medizin in Leipzig. Zuvor war Thomas sieben Jahre lang als Sanitäter auf einem Rettungswagen. Eine harte aber gute Schule für den Einstieg in das Arztleben. Schließlich herrschen auf einem Rettungswagen eigene Gesetze. Die Möglichkeit, mit einem Patienten ins Gespräch zu kommen und Vertrauen aufzubauen sind begrenzt:

Ex-Rettungssanitäter Thomas: "Für die Patienten ist das eine Extremsituation, und da muss man schon viel Einfühlungsvermögen zeigen, um auf den Patienten eingehen zu können, weil es ja für jeden eine besondere Situation ist. Und gerade im Rettungswagen ist es ja so, das erlebt man ja nicht jeden Tag, das ist ja nicht mit dem Krankenhaus zu vergleichen."

Einfühlungsvermögen – das ist ein Schlüsselbegriff in der Leipziger Mediziner-Ausbildung. Aus Sicht der Psychologen an der Fakultät der Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Therapie. Daher wird diese Art der Wahrnehmung und zugleich die Umsetzung in eine perfekte Gesprächsführung im Patientengespräch, hier seit knapp drei Jahren besonders trainiert. Auch Thomas und Annika nehmen teil am Gesprächstraining für Medizinstudenten an der Universität Leipzig. Das Programm ist eine Pflichtveranstaltung und wurde konzipiert von Katrin Rockenbauch. Sie ist Diplom-Psychologin und hat sich spezialisiert auf ärztliche Gesprächsführung sowie die Interaktion von Ärzten und Ärztinnen mit ihren Patienten.

Rockenbauch: "Ja , man muss einfach sehen, dass das Gespräch das hauptdiagnostische Mittel eines Arztes ist, und wenn er das nicht beherrscht, dann bekommt er ganz viele Informationen vom Patienten nicht und dann nutzt auch – sage ich jetzt mal ein bisschen bös - ein tolles MRT nicht oder nur halb so viel, wenn der Arzt nicht weiß, in welchen Kontext das Ganze statt findet."

Diese Beobachtung macht auch die Naturheilkundlerin Friederike von Reiche. Seit 15 Jahren praktiziert sie und hat zudem eine Ausbildung zur Psychotherapeutin absolviert. Ihre Praxis in Bad Lauchstädt ist voll mit Patienten, die von der Schulmedizin aufgegeben wurden, oder die dort kein Gehör fanden. Ratlos und oftmals auch mutlos suchen diese oft chronischen Patienten den Weg zur Naturheilkunde und damit zu Friederike von Reiche, die sich für das erste Patientengespräch rund zwei Stunden Zeit nimmt:

Von Reiche: "Also ich glaube, dass der erste Kontakt, und der beginnt eigentlich schon am Telefon, wenn der Termin gemacht wird, und auch das erste Gespräch eigentlich wegweisend ist für die spätere Behandlung. Wenn die Patienten, die zunächst schulmedizinisch behandelt wurden, sich auf den Weg machen, eine naturheilkundliche Praxis aufzusuchen, dann wissen sie erst mal gar nicht, mit wem sie es zu tun haben. Und sind natürlich auch meistens voller Misstrauen. Und es gilt daher zu allererst das Vertrauen dieser Patienten zu gewinnen und auch die Neugier und das Interesse."

Viel Zeit bleibt dem Arzt nicht, um das Vertrauen seines Gegenübers zu gewinnen. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen hat er genau sieben Sekunden Zeit, um zu signalisieren, dass der Patient sich beruhigt auf ihn verlassen kann.

Von Reiche: "In den ersten sieben Sekunden wird eigentlich das Vertrauen geweckt und das so genannte positive Arbeitsbündnis mit diesem Patienten geschlossen."

Für den Schulmediziner wie für den Naturheilkundler gelten somit die gleichen Bedingungen. In dem ersten Kontakt kommt es auf Kleinigkeiten an, die sich dann auf die gesamte Therapie auswirken werden.

Von Reiche: "Ich halte es für sehr wichtig, dass man einen direkten Augenkontakt hat, auch das wird bei vielen Schulmedizinern oft unterlassen, ich versuche sehr herzlich zu sein, ich frage erst mal ganz allgemein, ob sie gut angekommen sind, ob sie mich gut gefunden haben, frage woher sie mich kennen, oder wie sie auf mich aufmerksam geworden sind und versuche erst mal insgesamt eine sehr herzliche und persönliche Atmosphäre zu schaffen, damit sie wirklich erstmal Vertrauen haben, bevor das eigentliche Anamnese-Gespräch beginnt."

Auch für die Diplom-Psychologin Katrin Rockenbauch von der Universität Leipzig sind dieser erste persönliche Kontakt und seine Begleitumstände von höchster Wichtigkeit. Die Atmosphäre sei entscheidend für den Erfolg des Gesprächs, sagt Rockenbauch. Daher müssten der Arzt oder die Ärztin sich grundlegende Fragen vorher stellen:

Rockenbauch: "Wie gestalte ich das so genannte Setting, das ist ganz, ganz wichtig, das ändert ganz viel am Gespräch, ob ich sitze oder stehe im Gespräch, wie viel Zeit ich habe im Gespräch, ob ich meinem Gegenüber sage, wie viel Zeit ich habe, ob ich ihm vorher kurz sage, heute geht es um das, ob ich also den anderen fokussiere und transparent bin, das sind ganz, ganz kleine Kniffe, die ein Gespräch unendlich viel besser oder schlechter machen können."

Viele Studenten kämen in die Gesprächsseminare mit dem Wunsch zu lernen, wie man jemandem vermittelt, dass er ein HIV-Virus hat, oder eine Krebserkrankung hat, sagt Rockenbauch. Dann sage sie häufig, ‚passt mal auf, bisschen langsamer, wir gehen noch einmal ein Stück, wir setzen ein Stück tiefer ein, ein Stück leichter, und gucken überhaupt, wie ein Gespräch funktioniert, und das sind ganz einfache Dinge’. Die Studenten hätten zwar durchaus das nötige Handwerkszeug für die Kommunikation:

Rockenbauch: "Aber die wissen häufig nicht so richtig, wann kommuniziere ich wie, die haben Ängste, wie jeder von uns Ängste hat in kommunikativen Momenten, die schwierig sind, und da sollen sie lernen, besser damit umgehen zu können. Die fürchten sich zum Beispiel ganz dolle davor eine schwerwiegende Diagnose jemandem mitzuteilen."

Szenenwechsel: Im Seminarraum im 2. Obergeschoß über der Frauenklinik der Leipziger Universität, an der Philipp-Rosenthal-Straße, bereitet Dirk Hofmeister seine Studenten auf die heutige Übungseinheit vor:

Hofmeister: "Was ich heute mit Euch machen möchte, ich würde ganz gerne mal das Thema Wahrnehmung anschneiden, also das noch einmal thematisieren, gerade Wahrnehmung aus der Sicht eines Patienten, wie fühle ich mich im Klinikalltag, und dann hattet ihr ja vor einigen Wochen gewünscht, dass wir, was schwierige Patienten betrifft, dass wir da noch einmal uns das genauer angucken. da würde ich heute gerne noch einmal drauf zu sprechen kommen, was machen schwierige Patienten aus, wie kann man damit umgehen?"

Dirk Hofmeister ist Diplom-Psychologe und arbeitet schon seit längerem als Tutor für die medizinische Fakultät. Er ist äußerlich gesehen nur wenige Jahre älter als die Studenten – eine Wirkung, die bewusst angestrebt wird, damit es keine Hemmschwellen im Kurs gibt. Auch werden in diesem Semester nur Studenten für die Rollenspiele eingesetzt. Sonst sind es auch Schauspielstudenten oder erfahrene Schauspieler, die im Gespräch den Patienten mimen. Katrin Rockenbauch:

Rockenbauch: "Weil Schauspielpatienten im Gegensatz zu echten Patienten nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen zu dem Arzt und sich dadurch eher trauen, danach auch ein Feed-Back zu geben, eine Rückmeldung darüber, wie fand ich das Gespräch. Die sind ja nicht wirklich betroffen, sie denken sich sehr rein, aber sie sind auch in der Lage, vor der Tür raus zugehen aus dieser Rolle zu reflektieren, wie lief das Gespräch ab. Die können sagen, ‚wissen Sie, da haben sie so blöd geguckt, so pikiert, da habe ich mich nicht mehr getraut was zu sagen’."

Abgesehen davon sei es natürlich auch authentischer eine echte 60-Jährige eine 60-jährige Patientin spielen zu lassen

Rockenbauch: "Wenn meine Oma mir gegenübersitzt, reagiere ich anders, wie wenn da ein 20-Jähriger gegenüber sitzt, der womöglich 60-jährig spielt. Das sieht einfach doof aus, man muss viel lachen."

Doch an diesem Vormittag bleiben die Studenten unter sich. Im ersten Rollenspiel geht es um einen Patienten, der auf der Intensivstation liegt, der nichts sehen und sich nicht bewegen kann, der nicht weiß, seit wann er hier liegt und was ihn hierher gebracht hat. Frederik, Anfang 20, blond und schlaksig, übernimmt die Rolle dieses hilflosen Herrn Knut. Er lässt sich mit einem Kissen und einer Decke versehen auf zwei zusammengestellte Seminartische betten. Derweil studieren draußen vor der Tür jeweils zwei Pseudo-Pfleger und -Ärzte ihre Rollen. Dann geht es los: Pfleger Nummer 1 betritt das Krankenzimmer.

Er scheint ebenso routiniert wie unmotiviert zu sein, nimmt wenig Rücksicht auf den Patienten, wenn er beispielsweise den linken Arm hochnimmt, um am Handgelenk den Blutdruck zu messen. Sein Umgang mit dem Kranken lässt sich am besten mit dem Wort "robust" umschreiben.

Regungslos liegt der Patient auf seinem Tisch, die Augen sind mit einem dunklen Schal verbunden. Da öffnet sich die Tür erneut, und zwei Ärzte treten ein.

Einige der Studenten, die rund um den Tisch verteilt auf ihren Stühlen sitzen, kichern leise oder schauen entsetzt auf das was sich vor ihren Augen abspielt.

"Na, ob das noch einmal wird,…
Komm, wir können hier m Moment eh nichts mehr machen…"

So mancher in der Runde schüttelt den Kopf, schaut den beiden Ärzten fragend hinterher, als sie den Raum verlassen.
Dann öffnet sich die Tür zum dritten Mal, eine Studentin mimt die Krankenschwester:

"Na, wie geht es uns denn heute,… werde mal den Tropf wechseln und das Kissen aufschütteln …"

Noch immer hat sich der Kranke nicht bewegt, doch nun gibt Seminarleiter Hofmeister das Stoppzeichen. Fredericks Leiden haben ein Ende. Zeit für die Auswertung: Frederick alias Herr Knut berichtet:

Frederick: "Hmh, es war extrem komisch das Gefühl, weil irgendwie, selbst wenn man hören konnte, wo er jetzt gerade genau ist, gerade am Anfang bei Marc, wusste ich ja jetzt gar nicht, was macht er jetzt. Zum Beispiel als er auf einmal meinen Arm hochgehoben hat, …. es ist eben so, man weiß überhaupt nicht, was macht er denn jetzt.
Es ist ja nur ein Spiel, aber irgendwie, war es schon, … wenn man sich dann so wirklich vorstellt, dass man dann da so liegt, und dass es einem dann wirklich so ergeht, dass dann Leute vorbeikommen, die dann so um einen herumlaufen, und dann sagen, ‚ach komm, jetzt guck Dir den mal an’, das ist schon irgendwie ein komisches Gefühl."

Ein Gefühl, das die meisten seiner Kommilitonen im Seminar teilen.
Nachdenkliche Stimmung kommt auf in der Runde. Dann erzählen einige – zunächst zögerlich - dass das Rollenspiel gar nicht so weit entfernt war von der Realität, wie sie sie im Pflegepraktikum erlebt haben:

Student: "Wir waren die Woche auf einer kardiologischen Intensivstation und da war eine Patientin, die war ansprechbar, es ist nicht ganz so vergleichbar, aber da war die Gesprächsführung auch nicht da, denn der Arzt, der hat uns da ganz viel erklärt, aber der hat die Frau, der ist überhaupt nicht auf die eingegangen, die hat total verunsichert geguckt, was wird denn nun eigentlich mit mir, und er hat ihr das einfach nicht erklärt und hat sich mit uns mehr unterhalten und hat sie wirklich ganz kurz abgetan. Und was dann auch noch kam, der aus dem Praktischen Jahr kam, der ihr dann einfach einen Tubus in den Mund gesteckt hat und sie ganz hilflos geguckt hat, also was passiert denn jetzt mit mir? Also da war ich total erschüttert."

Studentin: "Aber stell Dir mal vor, drei oder vier Wochen auf der Station, Du gehst jeden Tag zur Visite dahin, Du erzählst jeden Tag das gleiche, ich glaub irgendwann hast Du es satt. Natürlich ist es für den Patienten besser, aber ich glaube irgendwann kommt der Punkt, wo Du sagst, warum mache ich das noch?"

In der Endauswertung kommt die freundliche Pflegerin am besten weg. Für Frederic war dies der angenehmste Moment auf der harten Pritsche:

Frederic: "Sie hat halt immer gesagt, jetzt mach ich das und jetzt mache ich das, sie hat mich auch angesprochen und da hat man das Gefühl, so von wegen, man ist noch nicht so ganz weg oder so."

Tutor Dirk Hofmeister ist zufrieden. Sein Rollenspiel ist aufgegangen, das Ziel, die angehenden Mediziner für die Nöte des Patienten zu interessieren, ist erreicht, doch er lässt nicht locker. Denn vor allem im Klinik-Alltag lauern viele Tücken, wenn es um das Verhältnis von Arzt und Patient geht. Schon deshalb würden die Psychologen an der Leipziger Universität gerne das Gesprächstraining langfristig ausweiten, auch auf die höheren Semester im Medizinstudium. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Derzeit bleibt es bei einer frühen Sensibilisierung der angehenden Mediziner:

Hofmeister: "Versucht Euch mal hereinzuversetzen, wie es manchmal bei Visiten zugeht. Der Patient liegt da, eine Meute Ärzte ist um ihn herum und die unterhalten sich nicht mit dem Patienten, sondern über den Patienten, das kann genauso demütigend sein. Oder wenn da mit Begriffen um sich gehauen wird, die der Patient überhaupt nicht versteht. Was heißt denn das zum Beispiel, wenn eine Flexüle gelegt wird?"

Nach gut fünf Stunden ist das Seminar für diesen Tag vorbei. Den jungen Akademikern ist die Anspannung und Konzentration des langen Vormittages anzusehen. Die Diskussion über das, was sie an diesem Tag im Rollenspiel erlebt und aufgearbeitet haben, begleitet sie in die späte Mittagspause. Zeit, um persönlich Bilanz zu ziehen und Kurskritik zu üben:

Annika: "Na, ja, jetzt ist man natürlich motiviert und sagt, ich will das so nie machen, weil es eben schrecklich ist für die Person, die da liegt, aber vor allem nehme ich wahrscheinlich mit, wenn man sich eine gewisse Routine angewöhnt aus verschiedenen Höflichkeiten, wie beispielsweise Anklopfen, dass man da schon einiges in dieser Routine, auch wenn man mal nicht so gut drauf ist, erreichen kann."

Florian: "Ja, es sind bestimmte Gesprächstechniken, jetzt beispielsweise aktives Zuhören, man geht genau auf denjenigen ein, mit dem man spricht, man hat nicht nur seine medizinische Kenntnis im Kopf, die man unbedingt loswerden will, sondern man geht ganz speziell auf die Bedürfnisse des Patienten ein."

Studentin: "Was nehme ich mit? … dass ich mehr Zeit investieren muss und auch sollte, dass es viele andere Probleme geben kann, als nur das Krankheitsbild an sich, oder was die Ursache ist, oder so, ja und vor allem auch die Techniken, wie man das macht."

Studentin: "Ja, und was mir auch ganz wichtig ist, ist dass man nicht abstumpft dabei."