Wie Europa den asiatischen Aufbruch verkennt

Vorgestellt von Ernst Rommeney |
Nicht gewinnen, sondern verlieren könnte Europa, wenn Asiens Boomregionen wie Indien und China zur Weltspitze aufschließen, meint der Journalist Jochen Buchsteiner. Die Europäer sonnten sich überheblich in ihrem alten Glanz, statt realistisch ihre künftige Rolle einzuschätzen.
Für die Wochenzeitung "Die Zeit" begleitete er deutsche Politiker von Bonn und Berlin aus auf ihren Reisen nach China. Für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet er derzeit aus Neu Delhi über Südasien. Dabei fand Jochen Buchsteiner heraus, dass sich die Europäer nicht wirklich für diesen wirtschaftlich und politisch aufstrebenden Kontinent interessieren. Sie sähen Absatzmärkte, sprächen über Exportgeschäfte und ansonsten beschäftigten sie sich nur mit sich selbst.

Buchsteiner: " Mein Eindruck ist, die Außenpolitik in Deutschland kümmert sich sehr stark um Europa, blickt natürlich über den Atlantik nach Amerika, aber dann ist der Horizont eigentlich zu Ende."

Darum würden deutsche wie europäische Politiker die Folgen des asiatischen Aufbruchs verkennen, ja schlimmer noch, sich überhaupt nicht mit ihnen auseinander setzen. Denn Jochen Buchsteiners Prognose fällt düster aus. Nicht gewinnen, sondern verlieren könnte Europa, wenn Asiens Boomregionen zur Weltspitze aufschließen – und das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geostrategisch.

Buchsteiner: " Wenn sie in Asien mit asiatischen Politikern sprechen oder auch mit amerikanischen, kommt innerhalb kürzester Zeit das Thema zur Sprache: was bedeutet es, dass zwei neue Großmächte - nämlich Indien und China - entstehen, für die Weltpolitik."

Sie strotzen vor Selbstbewusstsein, erinnern stolz an ihre Hochkultur in früheren Zeiten und wollen sich nun mit dem wirtschaftlichen Erfolg auch Macht und Einfluss wiederholen. Sie dominierten bereits das Geschehen Asiens und bald auch die diplomatische Szene der Welt, sagt Jochen Buchsteiner voraus. Und anders als die Europäer hätten die USA dies begriffen und gehandelt.

Buchsteiner: " Amerika ist sehr präsent in Asien. Deswegen habe ich auch die drei wichtigsten Mächte Asiens portraitiert: Indien, China und Amerika."

Sie unterscheiden sich natürlich. Er beschreibt uns Indien als die erfahrene Demokratie mit offenem intellektuellen Klima, den Dienstleister des Nordens, demgegenüber China als die industrielle Werkbank des Westens, diktatorisch geführt, aber marktoffen mit weit verzweigtem Handelsnetz im nahen Ausland, und schließlich die USA als das große Vorbild des Mittelstandes und der Jugend, als vielfältig engagierte Supermacht.

Buchsteiner: " Fast alle großen Themen dieser Zeit spielen irgendwo in Asien. Fangen Sie an mit dem militanten Islamismus. Nehmen Sie die Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Nehmen Sie die drei großen Krisenherde der Welt: Kaschmir, Taiwan und Nordkorea. Das sind drei Konflikte, an denen Nuklearmächte beteiligt sind. Und wenn Sie dann die nationalistische Grundstimmung in Asien dazunehmen, dann können Sie sich vorstellen, wie schnell einer dieser Konflikte sich auch wieder entzünden kann, und nicht nur die Region, sondern möglicherweise auch die Welt in Brand steckt."

National bewusst aufzutreten, militärische Stärke zu zeigen und internationale Regeln nur nach eigenem Gutdünken zu akzeptieren, das sei den künftigen Großmächten Indien und China gemeinsam, auch dass sie das introvertierte, multilateral gesonnene Europa nicht ernst nehmen würden. Und darin ähneln sie den Nord-Amerikanern. Geschickt versteht es beispielsweise der Iran zu nutzen, das sich das Kräfteverhältnis zu verschieben beginnt.

Buchsteiner: " Wenn Europäer und Amerikaner glauben, dass sie den Schlüssel in der Hand hätten, um den Iran von seinem Atomprogramm abzubringen, dann irren sie sich. Sowohl Indien wie auch China haben gewaltige Milliardeninteressen in diesem Land und spielen gerade in dieser aktuellen Diskussion eine viel größere Rolle, als uns Europäern in diesem Moment bewusst ist."

Keinesfalls sollten die Europäer die Seiten wechseln, warnt Jochen Buchsteiner. Der Außenpolitik der Europäischen Union empfiehlt er, geostrategisch eher auf die transatlantischen Partner zu setzen. Denn mit den USA und Kanada, nicht aber mit Russland, China oder Indien teilt man gemeinsame Werte. Während es sich diplomatisch an Washington orientiert, könnte Europa aber wirtschaftlich durchaus von Fernost lernen.

Buchsteiner: " Ich würde mir wünschen, dass wir Asien als Bezugsgröße in unsere Reformdiskussion bekommen."

Ihn, den Korrespondenten in Neu-Delhi, beeindruckt, wie ehrgeizig und experimentierfreudig die Asiaten sind, wie sie Krisen zu meistern verstehen.

Buchsteiner: "Ich glaube, dass wir besser fahren, wenn wir uns anschauen, wie macht es Taiwan, wie macht es Korea, wie macht es Singapur und zum Teil auch schon wie machen es Indien und China."

Schonungslos legt Jochen Buchsteiner die Schwächen Europas offen, setzt sie in den Kontrast zu einem prosperierenden, aber auch bitterarmen und teilweise gewalttätigen Asien. Und er bemängelt, dass sich die Europäer überheblich in altem Glanz sonnen, statt realistisch ihre künftige Rolle in der Welt einzuschätzen. So alarmierend ein solches Buch wirkt, es geht nicht darum, das Fürchten vor der gelben, der asiatischen Gefahr zu lehren, sondern das europäische Selbstverständnis anzupassen. Die großen Schwellenländer gewinnen allmählich - politisch und ökonomisch - jenes Gewicht, das ihnen zukommt.

Jochen Buchsteiner: Die Stunde der Asiaten – Wie Europa verdrängt wird
Rowohlt Verlag, Hamburg 2005