Wie erklär' ich es meinen Kindern?

Von Maria Riederer · 05.06.2010
Warum eigentlich sollen wir uns kein Bild von Gott machen? Angesichts bunt illustrierter Kinderbibeln liegt diese Frage sehr nah.
Kinder: "Ich stell’s mir so vor, dass er in einem Büro sitzt mit ganz viele Aktien und einem großen Schreibtisch, dann hat er ganz viele kleine Fernrohre, wo er auf die Erde schaut … aber mit den Fernrohren muss er ja ganz schön viele Augen haben."

"Ich glaub, dass er einfach der ganze Himmel ist."

"Aber wenn Gott jetzt der ganze Himmel ist, dann müsste er sich ja zerschneiden, wenn er jetzt hier ist und im Nachbarhaus ... also, ist Gott eigentlich ein Mann oder eine Frau?"

Kind: "Das kapier ich nicht: Warum man sich kein Bild von Gott machen sollte."

"Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!"
Aus dem Buch Exodus

Der eifersüchtige Gott der monotheistischen Religionen duldet keine Bilder, die versuchen könnten, ihn zu ersetzen. Heute wachsen Kinder aber mit einer Bilderfülle auf – allein die Kinderbibeln quellen über von bunten Illustrationen – dass sie sich mit Recht fragen: Warum eigentlich nicht?

Du sollst dir kein Bild machen. In der Lutherübersetzung steht sogar: "kein Bildnis noch irgendein Gleichnis". Dabei ist die Vorstellungskraft des Menschen eine gute und wichtige Eigenschaft – auch im Glauben. Sie überwindet die riesige Distanz zum Unvorstellbaren und ermöglicht Beziehung. Jesus selbst sprach in Bildern und Gleichnissen, wenn er den Menschen etwas begreifbar machen wollte.

Gott hat viele Namen. Die Bibel nennt ihn Vater, Hirte, König. Er erscheint als sanfter Wind, als Feuer im Dornbusch, als Kind in der Krippe, als Opfer am Kreuz. Selbst der Islam mit seinem strikten Bilderverbot benennt Allah mit 99 Namen, die leuchtende Bilder heraufbeschwören.

Kinder: "Der Erbarmer, der Barmherzige, der Friede, der Schöper, der Allwissende, der alles Hörende, der alles Sehende, der Umarmende, der Liebende, der Beschützer, das Licht."

Das Gebot aus dem Alten Testament könnte heute vielleicht so klingen: Du sollst dir nicht EIN Bild von Gott machen. Nicht ein ausschließliches Bild, das Gott in eine feste Vorstellung hineinzwängt. Du sollst dir VIELE Bilder machen, nicht nur mit den Augen, sondern mit allen Sinnen, mit Körper und Seele.

Michael Ende hat diesen Gedanken in ein Gedicht gefasst:

"Der wirkliche Apfel

Ein Mann der Feder, berühmt und bekannt
als strenger Realist,
beschloss einen einfachen Gegenstand
zu beschreiben, so wie er ist:
Einen Apfel zum Beispiel, zwei Groschen wert,
mit allem, was dazu gehört.

Er beschrieb die Form, die Farbe, den Duft,
den Geschmack, das Gehäuse, den Stiel,
den Zweig, den Baum, die Landschaft, die Luft,
das Gesetz, nach dem er vom Baume fiel ...

Doch das war nicht der wirkliche Apfel, nicht wahr?
Denn zu diesem gehörte das Wetter, das Jahr,
die Sonne, der Mond und die Sterne ...

Ein paar tausend Seiten beschrieb er zwar,
doch das Ende lag weit in der Ferne;
denn schließlich gehörte er selber dazu,
der all dies beschrieb, und der Markt und das Geld
und Adam und Eva und ich und du
und Gott und die ganze Welt ...

Und endlich erkannte der Federmann,
dass man nie einen Apfel beschreiben kann.
Von da an ließ er es bleiben,
die Wirklichkeit zu beschreiben.
Er begnügte sich indessen
damit, den Apfel zu essen."

Die Wortfülle hat nicht dazu geführt, dass der Dichter den Apfel wirklich schmecken könnte. Alles, was er geschrieben hat, gehörte dazu und war richtig. Und doch muss er erst hineinbeißen, muss am eigenen Leib erfahren, was in dem Wort Apfel wirklich drin steckt. Wie viel schwieriger ist es also, Gott darzustellen, ohne ihn einzuengen auf zwei- oder dreidimensionale Bilder von Bart, Sandalen und Heiligenschein.

Die kindliche Beziehung zu Gott lebt von Gottesbildern, die in ein kindliches Denken hineinpassen. Der gütige Vater, der Beschützer, der "liebe Gott", der heilende Jesus. Die Größe und Allmacht Gottes drücken Kinder oft mit einem Bild von vielen Ohren aus oder von einem riesigen Auge im Weltall. Solche Bilder haben ihre Berechtigung. Aber sie sind wie kleine Schuhe, die nicht mitwachsen.

Spätestens in der Pubertät tauchen Zweifel auf, ob es diesen unsichtbaren Gott, dessen Stimme unsere Ohren nicht hören, überhaupt gibt. Kleine, durchaus kindliche Geschichten reichen manchmal aus, um Kindern eine Idee davon zu vermitteln, dass Gott zwar unsichtbar, aber wahrnehmbar ist. Und solche Geschichten können mitwachsen – ein ganzes Leben lang.

Erzähler: "Marta hat eine Puppe. Das Mädchen spielt jeden Tag mit ihr und in der Nacht schläft sie mit ihrer Puppe im Arm ein. Eines Tages wird ihre kleine Schwester schwer krank und liegt nur noch blass und lustlos in ihrem Bett. Marta überlegt, wie sie ihr eine Freude machen könnte. Sie will ihrer Schwester etwas schenken.

Aber das einzig wirklich schöne, was sie zu verschenken hat, ist ihre geliebte Puppe. Zwei Tage überlegt Marta hin und her. Am dritten Tag geht sie zu ihrer Schwester und legt ihr die Puppe in den Arm. 'Hier, ich schenk' sie dir.' Das kranke Kind strahlt zum ersten Mal übers ganze Gesicht. Abends geht Marta zu ihrer Mutter und fragt sie: 'Mama, es ist mir so schwer gefallen, meine Puppe zu verschenken. Und trotzdem bin ich jetzt so froh. Das ist doch komisch.'

'Das, was sich in dir so freut', antwortet die Mutter, 'das ist Gott.'"