Wie eine wunderschöne Frau, die ihre Kinder ersäuft
Er lebte nach seiner Flucht in Frankreich, Deutschland und Österreich. Doch in seinen Gedichten bleibt er den Klängen und Melodien des Kongo verbunden. Die politische Situation in seinem Heimatland sei in den vergangenen Jahren immer nur schlimmer geworden, sagt der Dichter Fiston Mwanza Mujila.
Joachim Scholl: Der Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila ist 1981 geboren im Kongo, mit knapp 30 Jahren bereits ein international anerkannter Künstler. Für seine Literatur, Lyrik, Prosa und Theaterstücke hat Fiston Mwanza Mujila zahlreiche Preise erhalten, in Belgien, Frankreich und Österreich, wo er inzwischen lebt. 2007 ist der Schriftsteller aus seiner Heimat geflüchtet, dem Kongo, dem drittgrößten Staat Afrikas und nach bald 40 Jahren Diktatur und Bürgerkrieg eins der ärmsten Länder der Welt. Die politische Situation in seiner Heimat hat Fiston Mwanza Mujila immer wieder in seinen Gedichten und Stücken verarbeitet. Willkommen im "Radiofeuilleton", Monsieur Mujila!
Fiston Mwanza Mujila: Merci! Danke!
Scholl: Wir wollen ein Gedicht von Ihnen hören – "Solitude quarante et un", "Einsamkeit 41" haben Sie es getauft. Lesen Sie uns vor?
Mujila: Ja.
"Ich bin nicht der Erste, der den Kontinent verlässt. Mein Exil wird nicht das Exil einer Rasse sein. Und selbst wenn ich heute Morgen in Minsk abkratze oder am frühen Nachmittag in Wladiwostok, werde ich kein Recht weder auf eine Totenstatt noch auf Staatstrauer haben. Nur meine Mutter wird sterben vor Weinen und einige Freunde werden Kummer im Bauch tragen. Der Fluss Kongo wird seine nächtlichen Spritztouren im Distrikt Duelo und in Bassair fortsetzen. Die Kupferwerke werden sich nach Kananga wenden. Die Erwachsenen und die Kindersoldaten mit ihrem Verlangen nach Sex, trunken von Blut und anderen Fellatios, geben sich ihren Schafen zwischen Buta und Isiro hin. Und die Güterzüge werden von Mulumba in Richtung Gandajika abfahren, werden Ilebo, Kasambulu, Luambo, Lodja und Kamituga passieren."
Scholl: "Einsamkeit 41", ein Gedicht mit Gesang des kongolesischen Dichters Fiston Mwanza Mujila, hier zu Gast im Deutschlandradio. Die Güterzüge werden von Mulumba in Richtung Gandajika abfahren, werden Ilebo, Kasambulu, Luambo passieren. Das sind Ortsnamen aus dem riesigen Kongo, Monsieur Mujila, Orte, die wir gar nicht kennen. Was bedeuten diese Namen für Sie, mit welchen Empfindungen sprechen Sie diese Namen aus?
Mujila: Ja, diese Orte bedeuten mir unglaublich viel. Weil ich selbst bin in Lubumbashi geboren, aber meine Eltern sind in einem anderen Ort geboren. Und wenn ich mich in dieses Dorf meiner Eltern begebe, dann bin ich gezwungen, mit sehr alten Zügen zu reisen. Und diese alten Züge machen einen unglaublichen Krach, aber ich finde, dass alleine diese Musik, diese Melodie dieser Züge schon fast wieder ein eigenes literarisches Werk abgibt. Und auch diese Namen der Städte bedeuten mir sehr viel, haben für mich eine große poetische und literarische Bedeutung. Und deswegen sind diese Orte für mich eben so wichtig, weil sie auch diesen Klang haben.
Und ich bin da so ein bisschen wie ein Skulpteur, der aus irgendetwas irgendetwas schafft, und so geht es mir auch. Ich versuche, irgendein Material mir anzueignen und dann wiederzuverwerten und darin eben auch eine Art literarisches Werk zu finden, das ich dann so bearbeite, wie ich es brauche. Und die Poesie, die wie gesagt in diesen Namen liegt, die bedeutet mir unglaublich viel.
Scholl: Wir verbinden mit dem Kongo vornehmlich Krieg, blutige Konflikte, Hunger, Vertreibung. 30 Jahre hat Joseph Mobutu das Land regiert, 1997 wurde sein Regime gestürzt vom Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila, der 2001 ermordet wurde. Seit 2006 ist der Kongo zumindest der Verfassung nach demokratisch. Sie haben die politische Situation des Landes immer wieder reflektiert in Ihren Stücken, in Ihren Gedichten, in Ihrer Prosa, Monsieur Mujila, wie würden Sie denn die derzeitige Situation in Ihrer Heimat beschreiben?
Mujila: Nun, es ist immer sehr schwer für mich, über den Zustand in meinem Heimatland zu reden, und ich benutze immer das Bild einer wunderschönen Frau, die tagsüber Kinder gebärt, Kinder auf die Welt bringt, und sie abends im Fluss Kongo dann wieder ersäuft.
Und für mich ist es ein Land, was einen unglaublichen Reichtum eigentlich hat, aber eben auch von einer großen Armut heimgesucht wird. Und Tausende junger Menschen fliehen aus diesem Land, fliehen nach Europa, wo sie eigentlich nichts tun. Sie sind Obdachlose in Bilbao, sie sind Leichenbeseitiger in Wien und sie sind Arbeitslose in Paris.
Und eigentlich ist diese Situation im Kongo nur immer schlimmer geworden, also auch nachdem dann Kabila ermordet worden ist und sein Sohn die Regierungsgeschäfte übernommen hat, funktioniert eigentlich nichts. Jeden Tag werden im Osten des Landes Menschen vergewaltigt, die Bildung existiert praktisch nicht, die Funktionäre sind schlecht bezahlt, es gibt keine Meinungsfreiheit, und obwohl mein Land ein so unglaubliches Potenzial hat, ist es komplett verarmt.
Diese politische Situation ist eben immer schlimmer geworden in den letzten Jahren, aber es ist mein Land und ich liebe mein Land. Und das müssen Sie sich so vorstellen, als wenn Ihr Vater ein Säufer ist, der, wenn er nach Hause kommt, die Mutter schlägt, aber sie werden sich trotzdem nicht von Ihrem Vater komplett lossagen, er bleibt eben trotzdem Ihr Vater. Und ich liebe mein Land trotz all seiner Krankheiten wie der Tuberkulose und anderen Krankheiten, die dieses Land heimsuchen, aber es bleibt mein Land.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem kongolesischen Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila. Herr Mujila, warum haben Sie 2007 Ihr Land verlassen?
Mujila: Ich hatte das Gefühl, in meinem Land zu ersticken. Und als Literat ist es unglaublich schwer, im Kongo zu überleben, weil es gibt beispielsweise auch gar nicht genug Verlage, die Gedichte und literarische Werke veröffentlichen. Und dann hatte ich auch nicht diese Offenheit, die ich brauche, die ein Schriftsteller braucht. Und dann kommt noch hinzu, mein Land ist komplett zerstört, und was man in diesem Land braucht, sind Mechaniker, sind Ärzte, sind Techniker. Das sind Leute in praktischen Berufen, die diesem Land helfen können. Und man hat mir dann oft Egoismus vorgeworfen, weil ich ja "nur", in Anführungszeichen, Schriftsteller bin.
Ich hab mich dann auch manchmal geschämt regelrecht und habe dann für mich beschlossen, ich muss mein Land verlassen, weil in meinem Land einfach nur die praktischen Berufe zählen. Aber ich habe durchaus vor, dann irgendwann auch wieder zurückzukehren und vielleicht auf einer Universität zu lehren oder im Verlagswesen zu arbeiten.
Scholl: Sie haben Ihre Literatur einmal selbst als Geografie des Hungers bezeichnet, eines Hungers nach Frieden, Freiheit und Brot. Sind Sie erst durch Ihr Land, durch die politischen Schrecken vielleicht auch zum Dichter geworden?
Mujila: Na ja, eigentlich glaube ich das nicht. Mein ursprünglicher Traum war es, Saxofonist zu werden, aber da, wo ich aufgewachsen bin, gab es kein Saxofon, es gab kein Jazzcafé und es gab auch keine Musikschule. Und dann fingen andere Träume an, für mich wichtig zu werden. Ich wollte eigentlich erst zur Armee, aber es gab auch keine funktionierende Militärschule mehr in meinem Land. Und dann fand ich mich erst einmal ohne Traum wieder und hatte nur noch Worte, mit denen ich arbeiten konnte. Und dann sind die Worte zu meiner Materie geworden, mit der ich mich ausdrücken konnte. Und für mich war es so, dass diese Worte wie Noten sind, wie musikalische Noten.
Und dann kommt natürlich noch etwas anderes hinzu: Ich sehe natürlich die Armut in meinem Land, ich sehe auch das Leid in meinem Land und auch eine Form von Hoffnungslosigkeit, aber dieses Leid ist auch universell. Dieses Leid und diesen Hunger und dieses Elend, das gibt es auch in Rio, das gibt es auch in Somalia, das gibt es auch in anderen …, das gibt es sogar in China, also auch in ganz anderen Orten dieser Welt. Und ich finde, es ist meine Aufgabe als Schriftsteller, dieses Elend auch zu thematisieren und das auch literarisch zu thematisieren, weil es ein zeitgenössisches Problem in unserer Welt darstellt.
Scholl: Jetzt haben Sie vorhin von den vielen Flüchtlingen aus dem Kongo gesprochen – Sie wurden selbst einer, Monsieur Mujila. Nach Ihrer Flucht haben Sie in Belgien und Frankreich gelebt, dann in Österreich. Was waren denn Ihre Erfahrungen als Flüchtling, als Exilant, als Fremder?
Mujila: Nun, ich empfinde es in erster Linie auch als sehr, sehr schmerzvoll. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Am vergangenen Samstag hat mein Bruder geheiratet, und ich bin halt nur angerufen worden, und dann haben sie mir gesagt, jetzt sind wir in der Kirche, jetzt sind wir im Festsaal, und ich konnte daran nicht wirklich dran teilnehmen. Und das war so ein bisschen wie tot zu sein. Streckenweise ist es sogar schlimmer als tot zu sein, weil einer Toter, wenn er dann nicht mehr lebt, wird er irgendwie vergessen, und ich habe manchmal das Gefühl, ich bin weder tot noch wirklich lebendig.
Und um Ihnen ein weiteres Beispiel zu geben: In Afrika ist es einfach eine Tradition, dass man Abschied von den Toten nimmt, indem man ihren Leichnam, indem man ihren toten Körper noch einmal sieht. Und ich habe sehr viele Menschen verloren, die mir sehr nahe standen, aber ich konnte nicht richtig Abschied von ihnen nehmen, weil ich sie nicht mehr gesehen habe. Und das ist es, was es einem so schwer macht, dieses Exil zu leben, das sich dann auch noch von Land zu Land verändert.
Und dann fehlt man eben der Familie, man ist einfach nicht da, man nimmt nicht daran teil, wie sich sein Land weiterentwickelt. Und es ist sehr viel Einsamkeit und man hat nicht immer Menschen, mit denen man über diese Einsamkeit sprechen kann. Und dann hat sich wie gesagt mein Exil auch immer anders gestaltet, egal wo ich war. In Frankreich beispielsweise hatte ich nun keine größeren Sprachprobleme, diese Sprachprobleme habe ich jetzt beispielsweise in Österreich oder in Deutschland. Und trotz all dieser schmerzvollen Erfahrungen habe ich schon das Gefühl, auch gewachsen zu sein, habe ich schon das Gefühl, auch eine größere Verantwortung eingenommen zu haben.
Scholl: Fiston Mwanza Mujila, der Schriftsteller aus dem Kongo, wir danken Ihnen für Ihren Besuch und wünschen Ihnen alles Gute!
Mujila: Danke schön, merci!
Scholl: Und dieses Gespräch mit Fiston Mwanza Mujila hat Jörg Taszman für uns übersetzt.
Fiston Mwanza Mujila: Merci! Danke!
Scholl: Wir wollen ein Gedicht von Ihnen hören – "Solitude quarante et un", "Einsamkeit 41" haben Sie es getauft. Lesen Sie uns vor?
Mujila: Ja.
"Ich bin nicht der Erste, der den Kontinent verlässt. Mein Exil wird nicht das Exil einer Rasse sein. Und selbst wenn ich heute Morgen in Minsk abkratze oder am frühen Nachmittag in Wladiwostok, werde ich kein Recht weder auf eine Totenstatt noch auf Staatstrauer haben. Nur meine Mutter wird sterben vor Weinen und einige Freunde werden Kummer im Bauch tragen. Der Fluss Kongo wird seine nächtlichen Spritztouren im Distrikt Duelo und in Bassair fortsetzen. Die Kupferwerke werden sich nach Kananga wenden. Die Erwachsenen und die Kindersoldaten mit ihrem Verlangen nach Sex, trunken von Blut und anderen Fellatios, geben sich ihren Schafen zwischen Buta und Isiro hin. Und die Güterzüge werden von Mulumba in Richtung Gandajika abfahren, werden Ilebo, Kasambulu, Luambo, Lodja und Kamituga passieren."
Scholl: "Einsamkeit 41", ein Gedicht mit Gesang des kongolesischen Dichters Fiston Mwanza Mujila, hier zu Gast im Deutschlandradio. Die Güterzüge werden von Mulumba in Richtung Gandajika abfahren, werden Ilebo, Kasambulu, Luambo passieren. Das sind Ortsnamen aus dem riesigen Kongo, Monsieur Mujila, Orte, die wir gar nicht kennen. Was bedeuten diese Namen für Sie, mit welchen Empfindungen sprechen Sie diese Namen aus?
Mujila: Ja, diese Orte bedeuten mir unglaublich viel. Weil ich selbst bin in Lubumbashi geboren, aber meine Eltern sind in einem anderen Ort geboren. Und wenn ich mich in dieses Dorf meiner Eltern begebe, dann bin ich gezwungen, mit sehr alten Zügen zu reisen. Und diese alten Züge machen einen unglaublichen Krach, aber ich finde, dass alleine diese Musik, diese Melodie dieser Züge schon fast wieder ein eigenes literarisches Werk abgibt. Und auch diese Namen der Städte bedeuten mir sehr viel, haben für mich eine große poetische und literarische Bedeutung. Und deswegen sind diese Orte für mich eben so wichtig, weil sie auch diesen Klang haben.
Und ich bin da so ein bisschen wie ein Skulpteur, der aus irgendetwas irgendetwas schafft, und so geht es mir auch. Ich versuche, irgendein Material mir anzueignen und dann wiederzuverwerten und darin eben auch eine Art literarisches Werk zu finden, das ich dann so bearbeite, wie ich es brauche. Und die Poesie, die wie gesagt in diesen Namen liegt, die bedeutet mir unglaublich viel.
Scholl: Wir verbinden mit dem Kongo vornehmlich Krieg, blutige Konflikte, Hunger, Vertreibung. 30 Jahre hat Joseph Mobutu das Land regiert, 1997 wurde sein Regime gestürzt vom Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila, der 2001 ermordet wurde. Seit 2006 ist der Kongo zumindest der Verfassung nach demokratisch. Sie haben die politische Situation des Landes immer wieder reflektiert in Ihren Stücken, in Ihren Gedichten, in Ihrer Prosa, Monsieur Mujila, wie würden Sie denn die derzeitige Situation in Ihrer Heimat beschreiben?
Mujila: Nun, es ist immer sehr schwer für mich, über den Zustand in meinem Heimatland zu reden, und ich benutze immer das Bild einer wunderschönen Frau, die tagsüber Kinder gebärt, Kinder auf die Welt bringt, und sie abends im Fluss Kongo dann wieder ersäuft.
Und für mich ist es ein Land, was einen unglaublichen Reichtum eigentlich hat, aber eben auch von einer großen Armut heimgesucht wird. Und Tausende junger Menschen fliehen aus diesem Land, fliehen nach Europa, wo sie eigentlich nichts tun. Sie sind Obdachlose in Bilbao, sie sind Leichenbeseitiger in Wien und sie sind Arbeitslose in Paris.
Und eigentlich ist diese Situation im Kongo nur immer schlimmer geworden, also auch nachdem dann Kabila ermordet worden ist und sein Sohn die Regierungsgeschäfte übernommen hat, funktioniert eigentlich nichts. Jeden Tag werden im Osten des Landes Menschen vergewaltigt, die Bildung existiert praktisch nicht, die Funktionäre sind schlecht bezahlt, es gibt keine Meinungsfreiheit, und obwohl mein Land ein so unglaubliches Potenzial hat, ist es komplett verarmt.
Diese politische Situation ist eben immer schlimmer geworden in den letzten Jahren, aber es ist mein Land und ich liebe mein Land. Und das müssen Sie sich so vorstellen, als wenn Ihr Vater ein Säufer ist, der, wenn er nach Hause kommt, die Mutter schlägt, aber sie werden sich trotzdem nicht von Ihrem Vater komplett lossagen, er bleibt eben trotzdem Ihr Vater. Und ich liebe mein Land trotz all seiner Krankheiten wie der Tuberkulose und anderen Krankheiten, die dieses Land heimsuchen, aber es bleibt mein Land.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem kongolesischen Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila. Herr Mujila, warum haben Sie 2007 Ihr Land verlassen?
Mujila: Ich hatte das Gefühl, in meinem Land zu ersticken. Und als Literat ist es unglaublich schwer, im Kongo zu überleben, weil es gibt beispielsweise auch gar nicht genug Verlage, die Gedichte und literarische Werke veröffentlichen. Und dann hatte ich auch nicht diese Offenheit, die ich brauche, die ein Schriftsteller braucht. Und dann kommt noch hinzu, mein Land ist komplett zerstört, und was man in diesem Land braucht, sind Mechaniker, sind Ärzte, sind Techniker. Das sind Leute in praktischen Berufen, die diesem Land helfen können. Und man hat mir dann oft Egoismus vorgeworfen, weil ich ja "nur", in Anführungszeichen, Schriftsteller bin.
Ich hab mich dann auch manchmal geschämt regelrecht und habe dann für mich beschlossen, ich muss mein Land verlassen, weil in meinem Land einfach nur die praktischen Berufe zählen. Aber ich habe durchaus vor, dann irgendwann auch wieder zurückzukehren und vielleicht auf einer Universität zu lehren oder im Verlagswesen zu arbeiten.
Scholl: Sie haben Ihre Literatur einmal selbst als Geografie des Hungers bezeichnet, eines Hungers nach Frieden, Freiheit und Brot. Sind Sie erst durch Ihr Land, durch die politischen Schrecken vielleicht auch zum Dichter geworden?
Mujila: Na ja, eigentlich glaube ich das nicht. Mein ursprünglicher Traum war es, Saxofonist zu werden, aber da, wo ich aufgewachsen bin, gab es kein Saxofon, es gab kein Jazzcafé und es gab auch keine Musikschule. Und dann fingen andere Träume an, für mich wichtig zu werden. Ich wollte eigentlich erst zur Armee, aber es gab auch keine funktionierende Militärschule mehr in meinem Land. Und dann fand ich mich erst einmal ohne Traum wieder und hatte nur noch Worte, mit denen ich arbeiten konnte. Und dann sind die Worte zu meiner Materie geworden, mit der ich mich ausdrücken konnte. Und für mich war es so, dass diese Worte wie Noten sind, wie musikalische Noten.
Und dann kommt natürlich noch etwas anderes hinzu: Ich sehe natürlich die Armut in meinem Land, ich sehe auch das Leid in meinem Land und auch eine Form von Hoffnungslosigkeit, aber dieses Leid ist auch universell. Dieses Leid und diesen Hunger und dieses Elend, das gibt es auch in Rio, das gibt es auch in Somalia, das gibt es auch in anderen …, das gibt es sogar in China, also auch in ganz anderen Orten dieser Welt. Und ich finde, es ist meine Aufgabe als Schriftsteller, dieses Elend auch zu thematisieren und das auch literarisch zu thematisieren, weil es ein zeitgenössisches Problem in unserer Welt darstellt.
Scholl: Jetzt haben Sie vorhin von den vielen Flüchtlingen aus dem Kongo gesprochen – Sie wurden selbst einer, Monsieur Mujila. Nach Ihrer Flucht haben Sie in Belgien und Frankreich gelebt, dann in Österreich. Was waren denn Ihre Erfahrungen als Flüchtling, als Exilant, als Fremder?
Mujila: Nun, ich empfinde es in erster Linie auch als sehr, sehr schmerzvoll. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Am vergangenen Samstag hat mein Bruder geheiratet, und ich bin halt nur angerufen worden, und dann haben sie mir gesagt, jetzt sind wir in der Kirche, jetzt sind wir im Festsaal, und ich konnte daran nicht wirklich dran teilnehmen. Und das war so ein bisschen wie tot zu sein. Streckenweise ist es sogar schlimmer als tot zu sein, weil einer Toter, wenn er dann nicht mehr lebt, wird er irgendwie vergessen, und ich habe manchmal das Gefühl, ich bin weder tot noch wirklich lebendig.
Und um Ihnen ein weiteres Beispiel zu geben: In Afrika ist es einfach eine Tradition, dass man Abschied von den Toten nimmt, indem man ihren Leichnam, indem man ihren toten Körper noch einmal sieht. Und ich habe sehr viele Menschen verloren, die mir sehr nahe standen, aber ich konnte nicht richtig Abschied von ihnen nehmen, weil ich sie nicht mehr gesehen habe. Und das ist es, was es einem so schwer macht, dieses Exil zu leben, das sich dann auch noch von Land zu Land verändert.
Und dann fehlt man eben der Familie, man ist einfach nicht da, man nimmt nicht daran teil, wie sich sein Land weiterentwickelt. Und es ist sehr viel Einsamkeit und man hat nicht immer Menschen, mit denen man über diese Einsamkeit sprechen kann. Und dann hat sich wie gesagt mein Exil auch immer anders gestaltet, egal wo ich war. In Frankreich beispielsweise hatte ich nun keine größeren Sprachprobleme, diese Sprachprobleme habe ich jetzt beispielsweise in Österreich oder in Deutschland. Und trotz all dieser schmerzvollen Erfahrungen habe ich schon das Gefühl, auch gewachsen zu sein, habe ich schon das Gefühl, auch eine größere Verantwortung eingenommen zu haben.
Scholl: Fiston Mwanza Mujila, der Schriftsteller aus dem Kongo, wir danken Ihnen für Ihren Besuch und wünschen Ihnen alles Gute!
Mujila: Danke schön, merci!
Scholl: Und dieses Gespräch mit Fiston Mwanza Mujila hat Jörg Taszman für uns übersetzt.