Wie ein Tier in der Nacht
Es ist eine Droge namens "Gun-Juice", die aus dem kleinen Agu einen kaltblütigen Kindersoldaten mit Lust am Töten macht. Hellsichtig, traurig und mit schmerzhafter Genauigkeit beschreibt der US-Schriftsteller Uzodinma Iweala in seinem Roman "Du sollst Bestie sein!" ein exemplarisches Schicksal auf dem afrikanischen Kontinent.
Nach Angaben der UNO stehen rund 300.000 Minderjährige unter Waffen und werden als Soldaten in gegenwärtigen Konflikten an vorderster Front missbraucht. Sie sind oft unter Drogen an fürchterlichen Gewalttaten beteiligt. Viel häufiger verletzt als Erwachsene, in Afrika, Asien und Lateinamerika stets aufs Neue rekrutiert, scheint das Phänomen zu den schmutzigen Kriegen unserer Tage zu gehören.
Dennoch geraten Erfahrungsberichte oder Filmprojekte immer wieder als überzogen, unglaubwürdig und fehlerhaft in die Kritik. Einem Roman lassen sich derlei Vorwürfe schlecht machen. Er ist kein anfechtbarer Tatsachenbericht. Außerdem umgeht Uzodinma Iweala in "Du sollst Bestie sein!" die Gefahr, kämpfende Fraktionen oder bestimmte regionale Eigentümlichkeiten und politische Frontlinien näher zu beschreiben.
Er bleibt ganz auf seinen jungen Helden Agu konzentriert, auf dessen Innenleben, sein anfängliches Unverständnis, seine allmähliche Gewöhnung an das Regiment des Schreckens, seine gelegentlichen Rückerinnerungen an eine glückliche Zeit zu Hause. Die wird bei einem Überfall auf sein Dorf brutal beendet. Sein Vater drängt ihn zwar zum Weglaufen, aber die Soldaten finden ihn dennoch. Er macht mit, weil ihm nichts anderes übrig bleibt.
Wie Iweala die erste Initiation zum Töten beschreibt, die Angst vor dem Unrecht, den körperlichen Widerwillen, die Drohungen des Kommandanten, die Herabsetzung des Opfers und schließlich die blindwütige Auflösung in der Tat - das führt den Leser in die Hölle.
Vor dem Krieg, da war die Welt für Agu in Ordnung, mit Schule und Kirchgang jeden Sonntag. Damals schien das Soldatenleben verlockend, während er jetzt erkennt, dass er ganz unten steht, drangsaliert und missbraucht wird, dass Aussteigen unmöglich ist. Einen Jungen, der das vorhatte, haben sie bestialisch umgebracht.
Die Droge für die Verwandlung in Tiere nennen sie "Gun-Juice". Sie beschert Agu Halluzinationen, Spaß am Killen, eine naive Zielstrebigkeit, Menschen, nicht Dinge, auseinanderzunehmen - und eine mörderische Wut, wenn ihm das Vorher einfällt und er seine Opfer zu Schuldigen erklärt für das Ende seiner Kindheit in der Familie.
Dann wieder Momente der Leere, des Wartens, der Versenkung in absurde Wunschvorstellungen: Soll er lieber Ingenieur oder Doktor oder beides zusammen werden? Wie ein "Tier in der Nacht" fühlt sich Agu. Ein anderes Mal weiß er, dass er "nie wieder froh sein wird". Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung des Jungen sind hellsichtig und traurig und von schmerzhafter Genauigkeit, weil sie den kindlichen Kosmos nie verlassen.
Das nämlich ist dem 1982 geborenen Autor Uzodinma Iweala hervorragend gelungen: eine Sprache zu erfinden, eine verstotterte, ungelenke, beschädigte, ungeschminkte und darum umso intensiver wirkende Kunstsprache. Sie schafft es, den Leser in Agus Gedanken zu ziehen: "In meinem Kopf dreht sich alles, und ich hab Gefühl, wie wenn ich in der Welt innen drin bin und gucken kann, wie alles von innen aussieht, nicht von außen."
Keine Außenbeobachtung, keine Reportage könnte je so genau ermessen, wie ungeheuerlich das Leben eines Kindersoldaten ist. Zurecht hat Iweala für sein Debüt sämtliche wichtigen Preise in den USA und hymnisches Lob großer Schriftsteller gewonnen. Der zwischen Washington DC und Nigeria pendelnde 26-jährige Harvard-Absolvent hat nun ein Medizinstudium begonnen.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Uzodinma Iweala: Du sollst Bestie sein
Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay
Ammann Verlag Zürich, 2008
160 Seiten. 18,90 Euro
Dennoch geraten Erfahrungsberichte oder Filmprojekte immer wieder als überzogen, unglaubwürdig und fehlerhaft in die Kritik. Einem Roman lassen sich derlei Vorwürfe schlecht machen. Er ist kein anfechtbarer Tatsachenbericht. Außerdem umgeht Uzodinma Iweala in "Du sollst Bestie sein!" die Gefahr, kämpfende Fraktionen oder bestimmte regionale Eigentümlichkeiten und politische Frontlinien näher zu beschreiben.
Er bleibt ganz auf seinen jungen Helden Agu konzentriert, auf dessen Innenleben, sein anfängliches Unverständnis, seine allmähliche Gewöhnung an das Regiment des Schreckens, seine gelegentlichen Rückerinnerungen an eine glückliche Zeit zu Hause. Die wird bei einem Überfall auf sein Dorf brutal beendet. Sein Vater drängt ihn zwar zum Weglaufen, aber die Soldaten finden ihn dennoch. Er macht mit, weil ihm nichts anderes übrig bleibt.
Wie Iweala die erste Initiation zum Töten beschreibt, die Angst vor dem Unrecht, den körperlichen Widerwillen, die Drohungen des Kommandanten, die Herabsetzung des Opfers und schließlich die blindwütige Auflösung in der Tat - das führt den Leser in die Hölle.
Vor dem Krieg, da war die Welt für Agu in Ordnung, mit Schule und Kirchgang jeden Sonntag. Damals schien das Soldatenleben verlockend, während er jetzt erkennt, dass er ganz unten steht, drangsaliert und missbraucht wird, dass Aussteigen unmöglich ist. Einen Jungen, der das vorhatte, haben sie bestialisch umgebracht.
Die Droge für die Verwandlung in Tiere nennen sie "Gun-Juice". Sie beschert Agu Halluzinationen, Spaß am Killen, eine naive Zielstrebigkeit, Menschen, nicht Dinge, auseinanderzunehmen - und eine mörderische Wut, wenn ihm das Vorher einfällt und er seine Opfer zu Schuldigen erklärt für das Ende seiner Kindheit in der Familie.
Dann wieder Momente der Leere, des Wartens, der Versenkung in absurde Wunschvorstellungen: Soll er lieber Ingenieur oder Doktor oder beides zusammen werden? Wie ein "Tier in der Nacht" fühlt sich Agu. Ein anderes Mal weiß er, dass er "nie wieder froh sein wird". Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung des Jungen sind hellsichtig und traurig und von schmerzhafter Genauigkeit, weil sie den kindlichen Kosmos nie verlassen.
Das nämlich ist dem 1982 geborenen Autor Uzodinma Iweala hervorragend gelungen: eine Sprache zu erfinden, eine verstotterte, ungelenke, beschädigte, ungeschminkte und darum umso intensiver wirkende Kunstsprache. Sie schafft es, den Leser in Agus Gedanken zu ziehen: "In meinem Kopf dreht sich alles, und ich hab Gefühl, wie wenn ich in der Welt innen drin bin und gucken kann, wie alles von innen aussieht, nicht von außen."
Keine Außenbeobachtung, keine Reportage könnte je so genau ermessen, wie ungeheuerlich das Leben eines Kindersoldaten ist. Zurecht hat Iweala für sein Debüt sämtliche wichtigen Preise in den USA und hymnisches Lob großer Schriftsteller gewonnen. Der zwischen Washington DC und Nigeria pendelnde 26-jährige Harvard-Absolvent hat nun ein Medizinstudium begonnen.
Rezensiert von Barbara Wahlster
Uzodinma Iweala: Du sollst Bestie sein
Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay
Ammann Verlag Zürich, 2008
160 Seiten. 18,90 Euro