Wie ein Stein im Schuh

Von Mandy Schielke · 20.04.2010
Bitte nicht die Klischees bedienen, ist das Motto des "Diyalog-Festival", das zum 14. Mal in Berlin-Kreuzberg stattfindet. Die Macher wollen zeigen, wie modern türkische Kunst und Kultur inzwischen geworden sind. Das Festival dauert bis Ende April.
Memet Ali Alabora ist Schauspieler und in der Türkei ist er ein Star. Er eröffnete das Theaterfestival in Berlin-Kreuzberg mit seiner One-Man-Show "Muhabir": deutsch der Reporter.

Im feinen Anzug, schnittig, lässig tanzt er sich mit dem Publikum vor der Vorstellung in Stimmung. Dann geht es los: Immer wieder klickt sich Memet Ali Alabora auf seinem Laptop durch Fotos, Musik, Filmchen und erzählt seine Lebensgeschichte als Fernsehreporter, der er mit 17 wurde. Ob Berichte über das Blutvergießen in Israel oder die Eröffnung der Badesaison an der Cote d'Azur – Alabora illustriert und erzählt von seiner Arbeit als Journalist für alle Fälle. Klug reflektiert er auch die Geschichte seines eigenen Landes – alles auf Türkisch. Die Deutschen mussten der Übertitelung folgen.

Er sagt: Ich bin 32 Jahre alt und genau in diesen letzten 32 Jahren erlebte mein Land eines seiner dunkelsten Kapitel: 1980 putschte das Militär, Linke wurden umgebracht, Tausende Kritiker verschwanden spurlos. Es war kein Wohlfühlabend für Kreuzberger Migranten und deutsche Multikulti-Freunde, den Alabora da aus Istanbul mitgebracht hatte. Türkische Klischees will das Festival nicht bedienen. Und genau deshalb wollte Memet Ali Alabora auch nach Berlin kommen.

Memet Ali Alabora: "Die meisten Deutschen haben doch Stereotype in ihrem Kopf. Viele von ihnen sind einem Türken noch nie wirklich begegnet und glauben trotzdem zu wissen, wie sie sind. (lacht) Wenn nun Produktionen aus Istanbul hier zu sehen sind, ist das eine neue, ganz andere Begegnung, die, so finde ich, dieses beschränkte Bild verändern kann. Darüber hinaus: Auch die türkische Gemeinschaft kann hier in Dialog treten. Sie haben eine Berühmtheit erwartet und Verstörendes gesehen. Sie sind Berliner und sehen Produktionen aus Istanbul - auch für sie ist eine andere Sicht – das ist eine Chance zum Dialog."

Auch Alabora erlebte eine Überraschung. Als er die türkische Nationalhymne spielte, eine Erinnerung an seine Kindheit in den 80er-Jahren, gab es im Publikum keinerlei Reaktionen.

Memet Ali Allabora: "In vielen europäischen Städten stehen Türken auf, wenn wir die Nationalhymne spielen. In Berlin habe ich das auch erwartet. Aber sie haben es nicht getan."

Muhabir – der Reporter ist wie ein Stein im Schuh. Das Stück bleibt einem eine Weile erhalten, bleibt im Kopf. Aber es gab auch weniger gelungene Abende auf dem Diyalog-Festival. Die Produktion "Herzliches Beileid - ein migratorisches Missverständnis" aus Berlin bot weder Einblick in das Leben türkischer Migranten noch einen Konflikt, den der Titel des Stückes doch vermuten lässt. Und auch die Schauspieler konnten der eindimensionalen Komödie keinerlei Reibung verpassen.

Mürtüz Yolcu leitet das Diyalog-Festival seit 14 Jahren, ist selbst Schauspieler und kam als Teenager Ende der 70er-Jahre nach Berlin. Als er Mitte der 90er-Jahre gemeinsam mit Arbeitern und Studenten das erste türkische Theaterfest in Berlin-Kreuzberg auf die Beine stellte, spielten sie nur auf Türkisch, Schauspielunterricht hatte keiner von ihnen genossen. Sie erzählten vom Leben in der Fremde, vom Alltag. Im Publikum saßen die Einwanderer der ersten Generation. Heute sind die meisten Produktionen auf Deutsch, im Publikum sitzt die erste Einwandergeneration nur noch selten. Das soll sich in diesem Jahr ändern. Mürtüz Yolcu tippt im Programmheft auf die Ankündigung Sahmaran – die Schlangenkönigin. Eine alte Geschichte aus Mesopotamien, ein Musikabend von Metin und Kemal Kahmaran.

Mürtüz Yolcu: "Da werden auch viele Leute aus der ersten Generation zu dieser Veranstaltung kommen. Das ist auch so gedacht, denn ansonsten kann man die erste Generation nicht so gut erreichen."

Ein Ausschluss-Kriterium beim Festival sind für den Kurator die – so sagt er – "böse Väter". Das Bild des bösen, rückständigen, türkischen Vaters, der seine Töchter und seine Ehefrau nach Fehltritten umbringen will, kann Mürtüz Yolcu auf der Bühne nicht mehr ertragen. Überhaupt soll das Festival auch den Schauspielern die Chance geben, mehr als ein türkisches Klischee zu sein, sagt der 49-Jährige. Denn das erlebe er selbst als Schauspieler viel zu oft:

"Du sollst eine Rolle spielen, es ist alles irgendwie vorgegeben, wie du diese Figur spielen sollst. Obwohl man gar nicht darüber gesprochen hat, das Textbuch vielleicht auch gar nicht analysiert hat. Man weiß von vornherein, der Typ heißt Hassan und der sieht so aus – Ende und aus."

Ein böser Vater ist dann doch noch über die Festivalhürden gesprungen - gemeinsam mit der Produktion "Die Schwäne vom Schlachhof", die im vergangenen Jahr am Ballhaus Naunystraße entstanden ist. Es handelt sich dabei um ein Stück, dass der junge Regisseur Hakan Savas Mican aus Interviews mit vier Kreuzbergern entwickelt hat. Echte Geschichten davon, wie junge Türken die Mauer und den Mauerfall erlebt haben in einer Zeit als Kreuzberg noch am Westberliner Rand war und nicht im Zentrum der Hauptstadt.

Starke Geschichten, starke Schauspieler. Ein Abend, an dem man wieder einmal mit einem Stein im Schuh nach Hause gehen durfte.

Jetzt blicken alle nach oben - in den Himmel - und hoffen, dass die Flugzeuge aus der Türkei bald wieder nach Berlin fliegen dürfen. Sibel Türker konnte heute Abend nicht zur Lesung aus ihrem neuen Roman "Jungfernhaut" ins Ballhaus Naunystraße kommen. Doch alle anderen Künstler, so versichert die Festivalleitung, Ilyas Odman mit seinem Tanztheater und auch die Metin und Kemal Kahraman werden der Aschewolke trotzen und beim Festival dabei sein.

Diyalog TheaterFest 2010