Wie egoistisch sind Senioren?

Von Dirk Asendorpf · 13.01.2013
Weil die jungen Menschen immer weniger werden, dominieren die Alten in der Politik und anderen Entscheidungsstrukturen. Das wirft die Frage auf: Wer handelt fairer - die Jungen oder die Alten? Erste Ergebnisse eines Bremer Experiments deuten darauf hin, dass die Jungen vorne liegen.
"Okay, dann fangen wir jetzt an. Herzlich willkommen zu der Studie, mein Name ist Franziska Klempt und ich bin hier Studentin an der Uni und das ist Micaela Kulesz, und die wird im Rahmen ihrer Doktorarbeit das Experiment hier auswerten."

Acht Teilnehmer sind ins Labor 3 der Bremer Jacobs University gekommen, um an einem wissenschaftlichen Versuch teilzunehmen. Vier sind unter 26 Jahre jung, die anderen vier über 55 Jahre alt. Es geht um die Frage, welchen Einfluss das Lebensalter auf wirtschaftliche Entscheidungen hat. Sind junge Menschen wirklich wagemutiger und konkurrenzorientierter? Sind Alte zurückhaltender und eher auf Ausgleich bedacht?

"Das Experiment besteht insgesamt aus sechs Schritten."

Alle Teilnehmer sitzen räumlich getrennt vor einem Computerbildschirm. Per Mausklick können sie echtes Geld verdienen. Dabei arbeiten sie mit einem Partner zusammen, von dem sie nur wissen, ob er zu den alten oder zu den jungen Versuchsteilnehmern gehört. Abwechselnd müssen die Partner entscheiden, ob sie aus dem Spiel aussteigen oder weitermachen wollen. Bleiben beide Partner bis ganz zum Schluss dabei, gewinnt jeder den gleichen Euro-Betrag, der Gewinn wird also fair geteilt. Zwischendurch haben sie aber mehrmals die Möglichkeit sich unfair zu verhalten, auszusteigen und dabei deutlich mehr zu kassieren. Dabei nehmen sie in Kauf, dass ihr Partner wesentlich weniger bekommt. Je länger das Spiel dauert, desto größer wird die Verlockung zu unfairem Verhalten. Die Volkswirtin Micaela Kulesz hat sich den Versuchsaufbau ausgedacht. Obwohl sie erst die Hälfte der geplanten 400 Versuchsteilnehmer zu Gast hatte, zeichnen sich bereits zwei Ergebnisse ab.

"Das erste Ergebnis ist, dass die Älteren lange weitermachen. Sie wollen die Gewinnsumme wirklich hochtreiben. Aber dann kommt das zweite Ergebnis: Je höher der Betrag wird, desto weniger sind sie bereit, etwas abzugeben. Und die Jüngeren streben meistens ein faires Ergebnis an. Sie steigen überhaupt nicht aus, dann ist der Gewinnbetrag immer für beide gleich. Es gibt also signifikante Unterschiede."

Die Älteren verhalten sich fair, solange es um wenig geht. Sobald die Kosten der Fairness steigen, sinkt ihre Bereitschaft zur Kooperation – und zwar unter das Niveau der Jüngeren. Eine der älteren Versuchsteilnehmerinnen hat es auch so empfunden.

"Ich meine, ich hab' bei den Jüngeren mehr Fairness gemerkt. Ja, genau."

Einer der jungen Teilnehmer war geradezu schockiert, dass andere Mitspieler auf seine Kosten den eigenen Vorteil gewählt hatten.

"In dem Test dachte ich: Okay, ich versuche mich sozial zu verhalten. Das heißt, ich habe meine Entscheidungen jetzt nicht davon abhängig gemacht, wie es für mich am besten ist, sondern wie es für uns beide am besten ist – mein Gegenüber und ich. Und habe halt festgestellt, dass viele anscheinend nicht so denken. Ich war manchmal erschrocken, wie früh die Leute schon gestoppt haben. Obwohl die Person einen ja nicht kennt, hat man das Gefühl, dass einem nicht vertraut wird. Es gibt tatsächlich einen Weg, wie beide fast bestmöglich rausgehen können, wieso handelt man dann so? (lacht) Es ist interessant, ja."

Auch zwei weitere, ähnlich aufgebaute Experimente führen immer wieder zum gleichen Ergebnis. Ältere verhalten sich in wirtschaftlichen Fragen keineswegs fairer als Junge. Im Gegenteil: Wenn es um viel Geld geht, tendieren sie zum Eigennutz. Der Wirtschaftswissenschaftler Dennis Dittrich unterstützt die Forschungsarbeit von Micaela Kulesz als Betreuer. Falls sich die vorläufigen Ergebnisse bestätigen, hätte das auch Folgen für die große Politik.

"Wenn wir in den Bundestag schauen: Die Mitglieder des Bundestages sind etwas überdurchschnittlich alt. Und das heißt natürlich, dass eher zu erwarten ist, dass unsere Politiker im Sinne unserer älteren Bevölkerung abstimmen, was dazu führen kann, dass tatsächlich die Älteren auf Kosten der Jüngeren leben. Es wurde ja häufiger schon diskutiert, ob nicht ein Familienwahlrecht zum Beispiel eingeführt wird, das ein größeres Gewicht auf die Jüngeren in der Gesellschaft legt. Und das könnte tatsächlich eine Maßnahme sein, die die Jüngeren dagegen schützt, von den Älteren ausgenommen zu werden."

Der im Experiment gemessene Unterschied zwischen Alt und Jung könnte allerdings auch damit zusammen hängen, dass die Aufgaben für ungeübte Computernutzer – und das sind sicherlich eher die alten als die jungen Teilnehmer – recht verwirrend sind.

"Ich muss ehrlich sagen: Ich hab' das teilweise gar nicht richtig verstanden und ich hab' teilweise das Gefühl gehabt: Das ist 'ne Verarschung irgendwie. Und ich hab' mich gefragt: Was will man damit jetzt eigentlich testen? Ob die Menschen ehrlich sind? Und ehrlich sagen: Ich versteh es gar nicht? Oder ob jeder versucht, da was zu beantworten, was gar nicht zu beantworten ist? Ich hab's nicht rausgefunden."

Versuchsleiterin Micaela Kulesz hat so etwas nach dem Ende des Experiments schon öfter gehört, glaubt aber trotzdem an die Qualität ihrer Ergebnisse.

"Es ist schon lustig: Sie verhalten sich bei verschiedenen Aufgaben völlig einheitlich. Vielleicht verstehen sie nicht alles, aber sie wissen durchaus, dass der Betrag, auf den sie klicken, der Betrag ist, den sie bekommen. Und das ist die höchste Motivation für ein rationales Verständnis der Fragen: Am Ende bekommt man Geld."

Der eigene Gewinn wird jedem Teilnehmer bar auf die Hand gezahlt. Dabei zeigt sich ein weiteres überraschendes Ergebnis. Während die Alten bisher durchschnittlich auf 17,60 Euro kamen, erzielten die Jungen 3,50 Euro mehr. Fairness zahlt sich am Ende eben doch aus – zumindest in dieser Versuchsanordnung.