Wie die Provinz lähmt

Von Ulrich Fischer · 26.05.2011
Einar Schleef hat dem deutschen Provinzialismus, dem Brett vorm Kopf, der Engherzigkeit und Engstirnigkeit eine ganze Tetralogie gewidmet, die "Totentrompeten". Im Rahmen der Ruhrfestspiele wurde der Vierteiler jetzt vollendet.
Große Geister haben immer wieder über kleine gespottet. Goethe verortete die selbstzufriedene Beschränktheit der Kleinstadt in "Plunderweilern", in der jeder Eingeweihte schmunzelnd Weimar erkennt. Peter Hacks hat die DDR wegen ihrer Borniertheit durch den Kakao gezogen – und Einar Schleef hat dem deutschen Provinzialismus, dem Brett vorm Kopf, der Engherzigkeit und Engstirnigkeit eine ganze Tetralogie gewidmet, die "Totentrompeten". Jetzt ist der Vierteiler von dramagraz im Rahmen der Ruhrfestspiele vollendet worden. Der vierte und letzte Teil heißt "Gute Reise Auf Wiedersehen", Ernst M. Binder, ein Schleef-Kenner, hat die Uraufführung inszeniert.

"Der erste Teil beschreibt das ewige Einerlei des DDR-Provinzlebens als Schauspiel; der zweite Teil '3 Alte tanzen Tango' beschreibt den Fluch des Lebens und das dauernde Rumoren dagegen als Tragödie, der dritte Teil 'Deutsche Sprache, schwere Sprache' beschreibt die groteske Situation der Fluchbeladenen als Komödie, der vierte Teil beschreibt das neue ewige Einerlei als Elegie", notierte Schleef.

"Gute Reise auf Wiedersehen" ist recht kurz geraten, wohl deshalb hat Regisseur Binder einen Prolog vorangestellt und eine Nachrede hinzugefügt. Beim Vorspiel treten zwei Polizisten auf, direkt nach der Wende. Der Wessi sagt dem Ossi, wo‘s lang geht: Er brüllt, so wie in Deutschland schon immer gebrüllt wurde. Der Ossi schlägt ängstlich die Hacken zusammen, wie in Deutschland schon immer. Der Duckmäuser und sein Herr – hier wird ein zentrales Thema des Stücks angeschlagen. Die provozierende Behauptung liegt auf der Hand: Mit der Wende ist nichts besser geworden. Alles bleibt, wie es ist – das wird vom Nachspiel bekräftigt. Da spricht ein alter Baum, seine Wurzeln verhindern jede Bewegung.

Im Mittel- und Hauptteil, dem eigentlichen Stück, stehen wie in den anderen Teilen der Tetralogie drei Frauen im Mittelpunkt. Wundersamerweise sind die alten Damen jünger geworden. Die kurze "Elegie" spielt nach der Wende, die Träume der Frauen sind nach wie vor höchst lebendig, doch nichts davon wird in der Wirklichkeit eingelöst. Mitunter wirkt die Szene, als verbrächten die drei eine Nacht in einem schäbigen Hotelzimmer. Von draußen dringt Musik herein, da braust das Leben. Gern würden sie an der Party teilnehmen – aber sie trauen sich nicht.

Regisseur Binder legt in seiner Uraufführungsinszenierung nahe, dass nicht die DDR die Engherzigkeit der Frauen erzeugt hat, sondern dass sie auch in der Nachwendezeit fortlebt. Ein Satz von Trude (wacker: Katja Brenner), der zentralen Figur, gibt einen Schlüssel zur Deutung des kurzen (End)Stücks: "… nicht die Politik, die eigene Trägheit hängt's Gewicht an die Füße …".

Regisseur Binder wählt eine mehrdeutige, zeitenthobene, ortlose Ebene, die Schauspielerinnen sprechen unnatürlich, gekünstelt, vieles bleibt dunkel. Der Text ist konkreter, komischer als die Uraufführung – vor allem der Sexualneid der drei Frauen könnte mehr Leben in die Inszenierung bringen. Lange Strecken wirken, als bliebe der Text vom Ensemble unverstanden. Im Publikum wird viel zu selten gelacht.

Die Entscheidung von Festivalleiter Frank Hoffmann, Schleefs Tetralogie im Rahmen der Ruhrfestspiele zu vollenden, ist nachvollziehbar. Die Ruhrfestspiele sind ein Volkstheaterfestival – und Schleefs "Totentrompeten" sind Volkstheater von Grund auf. Hier wird das von den drei Frauen repräsentierte Volk kritisiert: Es sollte endlich Courage entwickeln, statt sich gegenseitig zu lähmen!

Auch wenn die Uraufführung hinter Schleefs witzigem, lyrisch verdichtetem Text zurückbleibt – die Planung war richtig. Eine inspiriertere Regie und leistungsfähigere Schauspielerinnen könnten mehr aus Schleefs Stück herausholen.