Wie die "Generation Putin" lebt

Von Susanne Luerweg · 19.05.2010
In Russland steht "Generation P" nicht für "Praktikum" oder "Prekariat", sondern für "Pepsi" oder "Putin". Die heute über 40-Jährigen haben nach der Wende so schnell wie möglich alle westlichen Konsum- und Orientierungsmuster übernommen. Der russische Autor Sergej Minajew hat ihnen mit "Seelenkalt" einen Roman gewidmet.
"In den Neunzigerjahren brach das Sowjetregime zusammen und wir waren sehr optimistisch. Wir warteten auf neue Entwicklungen, ein neues Land. Das ist eines der Probleme meiner Generation: Wir stehen zwischen den Stühlen. Eine Hälfte von uns hängt an der sowjetischen Vergangenheit und die andere an dem neuen Russland. Besonders für unsere Eltern war der Wechsel sehr schwer. Es ist vergleichbar mit den Ereignissen in Ostdeutschland. Es ist genauso wie der Mauerfall."

Der russische Autor Sergej Minajew wählt seine Worte langsam und bedächtig. Er ist klein, trägt einen nicht übermäßig gepflegten Stoppelbart und Jeans. Nur das Designer T- Shirt und die teure Uhr am Handgelenk verraten, dass er einer von den neuen Reichen Russlands ist. Dass er einmal als Schriftsteller sein Geld verdienen würde, hat er sich allerdings nicht träumen lassen. Als die Sowjetunion zu Ende ging, war er 17, studierte Geschichte und war vor allem verwirrt.

"Erst einmal gab es viele Möglichkeiten: freie Märkte, offene Grenzen, neue Medien. Natürlich war es für mich als 17-Jähriger sehr schwer all diese neuen Eindrücke zu filtern. Medien, Politik, Kultur und all das. Wenn du eines Tages aufwachst und deine Welt Kopf steht, das ist nicht leicht. Du weißt nicht wohin du dich wenden sollst."

Sergej Minajew verfiel wie so viele seiner Generation dem Konsumrausch. Verschämt erzählt er, dass die Eröffnung einer neuen Pradaboutique ihm wichtiger war als das weltpolitische Geschehen. Bis zu seinem 29. Lebensjahr arbeitete er als Manager einer Weinimportfirma, verdiente viel Geld, das er abends in teuren Restaurants und edlen Clubs auf den Kopf haute. Ein Dasein ohne viel Sinn, immer auf der Suche nach dem neusten Kick. Ein Zustand, den er perfekt in seinem Buch "Seelenkalt" beschreibt.

"Wenn man diese Jahre betrachtet, dann drehte sich alles um Clubs, Drogen und so ein Zeug, weil man sich amüsieren wollte. Man hatte Geld und lebte so, weil man alle alten Werte verloren hatte. Es gab keinen familiären Zusammenhalt mehr, die Freunde waren weg. Und dann taucht man eben in dieses Leben ein. Wenn man Glück hatte, hörte man selbst damit auf oder jemand sorgte dafür, dass man aufhörte. Aber ich kenne Leute, die noch mit 55 Jahren oder älter so weiterleben."

Minajew selbst zog irgendwann einen Schlussstrich. Mit fast 30 hatte er das unstete Leben satt. Ein literarisches Erweckungserlebnis sei unter anderen Bret Easton Ellis Roman "Glamorama" gewesen, erzählt Minajew. Auf dem Höhenpunkt seiner Managerkarriere beschließt er nicht mehr zu trinken, keine Drogen mehr zu nehmen und einen Roman zu schreiben: "Seelenkalt". Das Buch macht ihn über Nacht berühmt und stellt das Leben der Generation "Putin", der orientierungslosen Konsumgeneration, in den Mittelpunkt.

"Ich glaube, jeder der sein erstes Buch schreibt, greift der Einfachheit halber auf eigene Erlebnisse zurück. Es war natürlich einfacher selbst Teil dieser Gesellschaft zu sein, diese Geschichten zu erleben und die Menschen direkt zu beobachten. Und wenn diese Leute das jetzt lesen, sagen sie: Das ist nicht über uns, das ist über unsere Freunde. Wir sind nicht so."

Sergej Minajew glaubt, dass ihn auch sein stabiler Familienrückhalt gerettet hat. Seine Eltern gehörten zur russischen Intelligenzija. Sein Vater arbeitete als Ingenieur bei einem Staatskonzern, die Mutter war Archivarin in einer Bibliothek. Dem heute 40-jährigen Minajew wurden andere Werte als Konsum vermittelt, so dass er nicht völlig in die oberflächliche Welt der Mode und Modells abdriftete.

"Ich habe schon mit 15 Ausstellungen besucht und ich mache das immer noch und habe es sogar in meiner härtesten Clubphase gemacht. Ich glaube jeder ist ein Produkt seiner Erziehung. Im Elternhaus werden die Grundsteine für kulturelle Werte gelegt. Wie ich heute bin verdanke ich meinen Eltern, meiner Erziehung."

Obwohl er ein Familienmensch ist: Minajews eigene Ehe ist zerbrochen. Seine Tochter lebt bei seiner Exfrau und sieht ihren viel beschäftigten Vater eher selten. Der arbeitet inzwischen nicht mehr nur als Autor, sondern moderiert auch eine wöchentliche Talkshow im russischen Fernsehen und verlegt Bücher. Unter anderem vom Schweizer Pop-Literaten Christian Kracht. Sehr umtriebig, aber auch sehr bodenständig.

"Ich versuche ein normales Leben fernab vom Jet Set zu führen. Ich habe eine Wohnung die ich mir leisten kann, kein Luxusauto. Ich war sowieso schon immer mehr ein Kosmopolit als ein Russe und das ist mein Problem."

Ein neues Buch hat er noch nicht geschrieben, aber er arbeitet daran. Im Mittelpunkt auch diesmal: die Moskauer Szene. Denn, so meint er, der Konsumwahn bleibt in der russischen Hauptstadt trotz Finanzkrise omnipräsent.