Wie die Geliebte Dostojewskis
Ein Geschichtslehrer prophezeit der Hauptfigur des Romans, Tanja, dass sie einmal die Muse eines großen Mannes sein werde. Tanja nimmt dies ernst, dafür muss sie aber die gerade zusammen gebrochene Sowjetunion verlassen und nach New York übersiedeln. Dort ist es nicht einfach, den zu inspirierenden Dichter aufzutreiben. Aber Tanja gelingt das Kunststück.
"Du wirst die Gefährtin eines großen Mannes sein. Du wirst an seiner Seite sein, ihn unterstützen, ihn unterhalten, ihn glücklich machen und ihn zu großen Taten inspirieren." Nach ihrem Schulabschlussball bekommt Tanja diese Vorhersage für ihre Zukunft zu hören, von ihrem Geschichtslehrer, einem Mann mit allerdings beschränkter Einsichtsfähigkeit, der im Unterricht schon mal exotisch und esoterisch verwechselt.
Tanja aber nimmt seine Prophezeiung ernst, denn die Vorstellung eines Lebens als Muse eines großen Mannes spukt schon länger in ihrem Kopf herum. Ein Auslöser dafür sind die vielen Fotos russischer Dichter, mit denen Tanja groß geworden ist. Ihre Mutter hatte die Moskauer Wohnung mit den Dichter-Porträts ausgestattet, nachdem Tanjas Vater die Familie verlassen hatte, alle Bilder vom Vater wurden verbannt. So geraten die Dichter, vor allem Dostojewski, in die erotischen Träume der jungen Tanja. Immer wieder stellt sie sich vor, wie ein weise lächelnder Fjodor Michailowitsch Dostojewski sie langsam auszieht.
Das Modell für ihre Musen-Träume findet Tanja in Polina Suslowa, der Geliebten Dostojewskis, die er in seinen Romanen "Die Brüder Karamasow" und "Der Idiot" verewigt hat. Tanja denkt sich in Polina Suslowa hinein, sie sammelt alles, was man über sie wissen kann, die Leerstellen füllt sie mit ihrer Phantasie.
Sie malt sich die kahlen Petersburger Hotelzimmer aus, in denen sich Dostojewski und Polina für hastige Schäferstündchen trafen. Sie denkt darüber nach, warum die Geliebte mit ihren Katzenaugen und den schmalen Füßen eine so deutliche, leidenschaftliche Spur in Dostojewskis Romanen hinterlassen hat, ganz anders als ihre Nachfolgerin, die sehr junge zweite Ehefrau Anna Grigorjewna. Und Tanja beschließt, auf den großen Mann zu warten, dem sie eine Polina sein kann.
Dafür aber muss Tanja die gerade zusammen gebrochene Sowjetunion verlassen und nach New York übersiedeln. Sie ist Mitte 20, als sie dort ankommt, mit einem sehr schütteren Englisch und einem Geschichtsdiplom in der Tasche. Nicht einfach, unter diesen Voraussetzungen den zu inspirierenden Dichter aufzutreiben, aber Tanja gelingt das Kunststück.
Bei einer Lesung lernt sie Mark Schneider kennen, einen Autor in den mittleren Jahren, der ein erfolgreiches Buch veröffentlicht hat und diesem Erfolg nun mäßig inspiriert hinterherschreibt. Tanja zieht bald bei Mark ein, sie darf ihn bei Einkäufen in den Bioläden der Upper West Side assistieren, sie darf ihm seinen organischen Kaffee ans Sofa tragen und ihn zu literarischen Stehpartys begleiten.
Mark ist einer der Männer, die nur für die eigenen Problemen und Bedürfnisse Sensibilität und Intelligenz aufbringen, das aber tüchtig. Das sarkastische Porträt des prätentiösen Literaten Mark und der Kulturschickeria um ihn herum ist eines der Glanzstücke in diesem Roman. Genauso gelungen sind die Szenen, in denen Tanja das Leben der russischen Immigrantengemeinde schildert, mit ihren üppigen Gelagen, der Gier nach Statussymbolen und der Verzweiflung über die Härte des amerikanischen Paradieses.
Die Geschichte mit der Muse und dem Mark aber, die ist allzu vorhersehbar. Natürlich lässt Tanja den langweiligen Dichter irgendwann sitzen, um sich ein eigenes Leben zu suchen. Dass dieses eigene, emanzipierte und ausgefüllte Leben dann im klassischen Ein-Kind-ein-Mann-ein-Reihenhaus-Schema stattfindet, das ist eine hübsche Pointe des Romans.
Zum Phänomen der "Muse" aber hat der Roman wenig beizutragen, weder wenn er von Dostojewski und seiner Polina erzählt, noch wenn es um Tanja und ihre New-Yorker-Musen-Karriere geht. Zum versöhnlichen Ende des Romans gehört allerdings, dass sich Tanjas Berufung zur Muse doch noch erfüllt, nur ganz anders als gedacht.
Rezensiert von Frank Meyer
Lara Vapnyar: Erinnerungen einer Muse
Aus dem Englischen von Monika Schmalz.
Berlin Verlag 2007, 254 Seiten, 22 Euro
Tanja aber nimmt seine Prophezeiung ernst, denn die Vorstellung eines Lebens als Muse eines großen Mannes spukt schon länger in ihrem Kopf herum. Ein Auslöser dafür sind die vielen Fotos russischer Dichter, mit denen Tanja groß geworden ist. Ihre Mutter hatte die Moskauer Wohnung mit den Dichter-Porträts ausgestattet, nachdem Tanjas Vater die Familie verlassen hatte, alle Bilder vom Vater wurden verbannt. So geraten die Dichter, vor allem Dostojewski, in die erotischen Träume der jungen Tanja. Immer wieder stellt sie sich vor, wie ein weise lächelnder Fjodor Michailowitsch Dostojewski sie langsam auszieht.
Das Modell für ihre Musen-Träume findet Tanja in Polina Suslowa, der Geliebten Dostojewskis, die er in seinen Romanen "Die Brüder Karamasow" und "Der Idiot" verewigt hat. Tanja denkt sich in Polina Suslowa hinein, sie sammelt alles, was man über sie wissen kann, die Leerstellen füllt sie mit ihrer Phantasie.
Sie malt sich die kahlen Petersburger Hotelzimmer aus, in denen sich Dostojewski und Polina für hastige Schäferstündchen trafen. Sie denkt darüber nach, warum die Geliebte mit ihren Katzenaugen und den schmalen Füßen eine so deutliche, leidenschaftliche Spur in Dostojewskis Romanen hinterlassen hat, ganz anders als ihre Nachfolgerin, die sehr junge zweite Ehefrau Anna Grigorjewna. Und Tanja beschließt, auf den großen Mann zu warten, dem sie eine Polina sein kann.
Dafür aber muss Tanja die gerade zusammen gebrochene Sowjetunion verlassen und nach New York übersiedeln. Sie ist Mitte 20, als sie dort ankommt, mit einem sehr schütteren Englisch und einem Geschichtsdiplom in der Tasche. Nicht einfach, unter diesen Voraussetzungen den zu inspirierenden Dichter aufzutreiben, aber Tanja gelingt das Kunststück.
Bei einer Lesung lernt sie Mark Schneider kennen, einen Autor in den mittleren Jahren, der ein erfolgreiches Buch veröffentlicht hat und diesem Erfolg nun mäßig inspiriert hinterherschreibt. Tanja zieht bald bei Mark ein, sie darf ihn bei Einkäufen in den Bioläden der Upper West Side assistieren, sie darf ihm seinen organischen Kaffee ans Sofa tragen und ihn zu literarischen Stehpartys begleiten.
Mark ist einer der Männer, die nur für die eigenen Problemen und Bedürfnisse Sensibilität und Intelligenz aufbringen, das aber tüchtig. Das sarkastische Porträt des prätentiösen Literaten Mark und der Kulturschickeria um ihn herum ist eines der Glanzstücke in diesem Roman. Genauso gelungen sind die Szenen, in denen Tanja das Leben der russischen Immigrantengemeinde schildert, mit ihren üppigen Gelagen, der Gier nach Statussymbolen und der Verzweiflung über die Härte des amerikanischen Paradieses.
Die Geschichte mit der Muse und dem Mark aber, die ist allzu vorhersehbar. Natürlich lässt Tanja den langweiligen Dichter irgendwann sitzen, um sich ein eigenes Leben zu suchen. Dass dieses eigene, emanzipierte und ausgefüllte Leben dann im klassischen Ein-Kind-ein-Mann-ein-Reihenhaus-Schema stattfindet, das ist eine hübsche Pointe des Romans.
Zum Phänomen der "Muse" aber hat der Roman wenig beizutragen, weder wenn er von Dostojewski und seiner Polina erzählt, noch wenn es um Tanja und ihre New-Yorker-Musen-Karriere geht. Zum versöhnlichen Ende des Romans gehört allerdings, dass sich Tanjas Berufung zur Muse doch noch erfüllt, nur ganz anders als gedacht.
Rezensiert von Frank Meyer
Lara Vapnyar: Erinnerungen einer Muse
Aus dem Englischen von Monika Schmalz.
Berlin Verlag 2007, 254 Seiten, 22 Euro