Wie der zündende Gedanke kommt

15.01.2013
In dem Buch von Christoph Markschies und Ernst Osterkamp schreiben Künstler und Wissenschaftler über die Quellen ihrer künstlerischen Produktivität - wie sie die innere Leere überwinden und was sie inspiriert.
Jeder kennt das: Egal, ob es sich um ein Geburtstagsgedicht handelt, um ein Kündigungsschreiben oder um einen Liebesbrief. Eben wusste man noch genau, was man sagen wollte, doch plötzlich breitet sich eine unauflösliche Schreibhemmung aus.

Auch und gerade Vertreter von Wissenschaft und Kunst, zu deren täglichem Geschäft das Schreiben gehört, bleiben von solchen Blockaden nicht verschont. Wie sie die innere Leere überwinden, wie sie auf den zündenden Gedanken kommen, damit am Ende doch das richtige Wort auf dem Papier steht, davon handelt das "Vademecum der Inspirationsmittel".

Rund 50 kreative Spitzenkräfte plaudern aus der Schule, allesamt gehören sie den Berliner Akademien der Wissenschaften und der Künste an: Juristen, Mathematiker, Bildungsforscher, Historiker, Germanisten, Grafiker. Für alle gilt: Der gute Einfall lässt sich nicht befehlen, schon gar nicht erzwingen.

Aber es gibt eine Reihe von Tricks, wie man den unwilligen Kopf zur Mitarbeit überlistet. Gifte werden verschmäht. Kein Alkohol, kein Nikotin. Bis auf eine Ausnahme sind es harmlose, juristisch einwandfreie Mittel, die der Muse auf die Sprünge helfen.

Immerhin, der Zigarette wird als "Stütze für das Selbstbewusstsein" nachgetrauert, und einmal kommt eine "kleine Zigarre" zum Einsatz, wenn der Historiker Etienne Francois im entlegensten Gartenwinkel auf die Eingebung hofft.

Die einen sind morgens am produktivsten, die anderen brauchen die Nacht, um sich zu konzentrieren. Heißes Duschen befördert angeblich den Ideenfluss genauso wie ausdauerndes Anspitzen von Bleistiften. Manche fliehen den heimischen Schreibtisch wie Julian Nida-Rümelin, der seine philosophischen Bücher bevorzugt an überfüllten sizilianischen Stränden oder auf Interkontinentalflügen verfasste, immer im Dialog mit seinem Diktiergerät.

Den Kunsthistoriker Horst Bredekamp hingegen zieht es in die Einsamkeit, an einen internetlosen Ort irgendwo in der ostfriesischen Marsch, wie überhaupt viele im Abschalten aller modernen Unterbrechungstechnologien, E-Mail, Handy, Telefon eine große Hilfe sehen. Viele brauchen den Termindruck, die "deadline", auch die selbstgestellte, wobei für den Rechtshistoriker Michael Stolleis die "überschrittene Todeslinie" besonders stimulierend wirkt, wie ein gärendes Lebensmittel jenseits des Verfalldatums.
Wenig überraschend, dass die meisten ein Loblied auf die körperliche Ertüchtigung singen, auf Laufen, Radfahren oder Bodenturnen, auch Yoga natürlich oder Judo, um den Kopf auf die Erleuchtung vorzubereiten. Dabei lieben manche die Monotonie der Bewegung, andere die Sensation wie beim Bergsteigen, das dem Professor für Diskrete Mathematik, Martin Aigner, ein "elitäres Höhengefühl" beschert ( "man hat es wieder einmal überlebt").

Nur schade, dass in diesem Kompendium aus kleinen Werkstattgeheimnissen die Schriftsteller auffallend fehlen. Bis auf eine Ausnahme (Sibylle Lewitscharoff) wollten sie sich offenbar nicht über die Schulter schauen lassen. Gleichwohl, die Lektüre dieser Bekenntnisse ist amüsant und anregend, sodass auch der schreibende Laie daraus Kapital schlagen kann, indem er sich - inspirieren lässt.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Christoph Markschies, Ernst Osterkamp: Vademecum der Inspirationsmittel
Wallstein-Verlag, Göttingen 2012, 136 Seiten, 14,90 Euro