Wie der Stil, so der Mensch

Von Klaus Bölling |
In Fischers Büro hängt ein Bild von Gustav Stresemann, der es als Außenminister in der Weimarer Republik ungleich schwerer hatte. Stresemann ging mit seinen Untergebenen stets menschlich um und respektierte deren Sachverstand. Das sei nicht der Stil von Fischer, meint der Journalist Klaus Bölling.
Vor der großen Revolution notierte ein Graf de Buffon seine Beobachtung, die bei unserem westlichen Nachbarn ein geflügeltes Wort geworden ist: "Le style cést l’homme", "Wie der Stil, so der Mensch". Das hört sich ziemlich elitär an, doch es beschreibt eine Wahrheit. Die Art und Weise, wie sich ein Mensch seinen Mitmenschen darstellt, ist allemal eine zuverlässige Selbstauskunft. Die liefert uns, nicht zum ersten Mal, Joschka Fischer.

Seine Botschafter, die rechtzeitig gut begründete Warnungen vor den Konsequenzen einer ideologieorientierten Visa–Erteilung nach Berlin kabelten, hat er abkanzeln lassen. Es sind nur noch wenige Zeitgenossen zu treffen, die einem erklären können, warum sich Fischer, der große Realist, der Anerkennung von Tatsachen verschlossen hat. Auch in einer Demokratie haben Stilfragen viel mit politischer Kultur zu tun.

Der Grüne, der nach Meinung des sozialdemokratischen Außenpolitikers Gernot Erler für die Koalition "konstitutiv" ist, also eine tragende und nicht zu ersetzende Säule, hat sich vor langer Zeit schon als ein Mann von schlechter Erziehung identifiziert: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch", rief er einst im Hohen Haus am Rhein. Es war nicht bloß die Gossensprache, die eine gestörte Beziehung zum Anstand offenbarte. Es ist die Kaltschnäuzigkeit, es ist die Attitüde der Herablassung, die er im Umgang sogar mit seinen Parteifreunden, erst recht mit seinen Beamten und mit Presseleuten nur mühsam zu verstecken weiß. Hoffart, ein altmodisches Wort, trifft noch besser.

Er hat es weit gebracht. Mit scharfer Intelligenz und Ellbogen. Das Auswärtige Amt galt schon zur Kaiser-Zeit als das feinste aller Ministerien. Otto von Bismarck grämte sich als Gesandter in Frankfurt oder in Petersburg, dass er nicht so schnell, wie er es sich wünschte, auf Preußens Außenpolitik Einfluss nehmen konnte. Fischer konnte.

Der Auswärtige Dienst, nach dem Krieg wieder aufgebaut von Berufsdiplomaten, unter denen in der Hitler-Diktatur nur ganz wenige Zivilcourage gezeigt hatten, konnte sich bald einen guten Ruf machen und galt in seiner Professionalität den Außenämtern der uns verbündeten Westmächte als ebenbürtig. Nur noch Spurenelemente des alten Kastengeistes waren manchmal zu bemerken. So gab es Karrierediplomaten, die Willy Brandts Ostpolitik mehr oder minder öffentlich schlecht redeten.

Als Fischer antrat und sich sogleich in die Kontinuität seiner Vorgänger stellte, hat sich die Skepsis, mit der ihm die Beamten anfangs begegneten, bald verflüchtigt. Seine Frankfurter Biografie wurde hingenommen. Wie anders ist das heute. Da hängt in seinem Büro ein Bild von Gustav Stresemann, der es als Außenminister in der Weimarer Republik der radikalen Rechten wegen ungleich schwerer hatte als Fischer. Stresemann ging mit seinen Untergebenen stets menschlich um und respektierte deren Sachverstand. Das ist seit längerer Zeit nicht der Stil von Fischer.

Wäre er nicht ein ungewöhnliches "political animal", zu Deutsch und etwas härter klingend, ein "politisches Tier", wäre der Mann niemals in solche Höhen gekommen. Jetzt hört er von allen Seiten, auch von denen, die ihn früher in den Himmel gehoben haben, er sei von der Hybris gepackt. In der Antike bezeichnete das Wort frevelhaften Übermut. Fischer meint wohl immer noch, dass alle um ihn herum Pygmäen sind, ein Schimpfwort, mit dem Franz Josef Strauß seine Kritiker runterzumachen pflegte. Fischer, der Riese, an den keiner heranreicht, die anderen nur Winzlinge.

Sollte er, wovon die Rede ist, am 25. April im Visa-Untersuchungsausschuss vor den Kameras aussagen müssen, mag er abermals Fehler einräumen, das tat er ja schon, doch ob zerknirscht oder selbstgerecht wie immer, das Bild von einem Mann, der sich zur Ikone modelliert hat, wird haften bleiben. Für die rot-grüne Koalition scheint er tatsächlich "konstitutiv" zu sein. Gernot Erler gilt als ein Parlamentarier von sicherem Urteil. Gegen Irrtümer ist auch er nicht gefeit.

Klaus Bölling: Journalist, Buchautor, ehem. Diplomat und Politiker. Geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegel", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".