Wie der Kuhstall vor Allergien schützt
Kinder, die auf Bauernhöfen mit Tierhaltung aufwachsen, haben seltener Allergien als Stadtkinder. Dies haben Wissenschaftler beobachtet. Die Medizinerin Erika von Mutius erforscht, wie dieser Allergieschutz funktioniert und wie man daraus einen Impfstoff entwickeln kann.
Matthias Hanselmann: Kaum ist die Wintererkältung weg, läuft die Nase schon wieder: Diesmal bei den Pollen-Allergikern. Warum Pollen Nase und Augen reizen und was sich dagegen tun lässt, das soll uns die Medizin-Professorin Erika von Mutius vom Haunerschen Kinderspital München erklären: Sie forscht nämlich gerade an einem neuen Impfstoff – und zwar aus Kuhstallmist. Frau von Mutius hat eine interessante Beobachtung aufgegriffen: Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, haben nämlich seltener Allergien als Stadtkinder. Mein Kollege Stefan Karkowsky hat sich mit ihr unterhalten und sie gefragt, warum das so ist.
Erika von Mutius: Zunächst einmal ist die Beobachtung richtig, das haben wir immer wieder jetzt gesehen. Es ist gar nicht so sehr der Stadt-Land-Vergleich als der Vergleich auch auf dem Land, Kinder aus ein- und demselben Dorf: Die, die auf dem Bauernhof aufwachsen, haben den Schutz, die, die nicht auf dem Bauernhof aufwachsen, haben nicht den Schutz.
Stefan Karkowsky: Wie kommt das?
von Mutius: Wir denken – oder wir haben gesehen –, dass das damit zusammenhängt, dass die Kinder sehr früh und viel im Stall sich aufhalten. Das sind alles Milchbauern, die wir untersucht haben, und der Aufenthalt mit den Kühen, mit den Viechern, auf Bayrisch, oder mit den Tieren, Nutztieren, den Futtermitteln – das alles bringt diesen Schutz.
Karkowsky: Aber wie sind Sie denn überhaupt auf diesen Gedanken gekommen? In der Stadt sagen wir doch immer: Liebes Kind, lass bitte alles liegen, was auf dem Bürgersteig liegt, nimm es nicht in den Mund.
von Mutius: Ja, Dreck ist auch sicher nicht gleich Dreck. Man kann jetzt nicht verallgemeinern von dem, dass Bauernkinder diesen Schutz haben, dass man in der Stadt nun jedem Dreck sich aussetzen sollte. Da muss man schon unterscheiden. Die Beobachtung kam über Kollegen aus der Schweiz, insbesondere über Dr. Gassner, der ein Schularzt in einem kleinen Dorf in Grabs ist, der immer wieder beobachtet hatte, dass in seiner Umgebung die Kinder vom Bauernhof einfach keinen Heuschnupfen hatten.
Karkowsky: Dann erklären Sie uns doch bitte noch mal kurz, was eigentlich passiert bei einer Allergie, also warum bei manchen Menschen so ein winziges Pollenkörnchen einen Heuschnupfen auslöst mit roten Augen, laufender Nase, und andere können durch ganze Armeen von Pollenstaub durchlaufen und merken gar nichts?
von Mutius: Die Allergie ist ein Mangel an Toleranz, an Toleranz gegen ganz natürliche Substanzen, und dieser Mangel an Toleranz äußert sich in einer Immunantwort und das sind bestimmte Antikörper, nämlich die IgE-Antikörper, die gegen diese Pollen gebildet werden. Und wenn dann so ein Polle heranfliegt und man diese IgE-Antikörper hat, dann setzen sich diese IgE-Antikörper auf bestimmte Zellen, die Mastzellen, und die platzen dann, und mit diesem Platzen dieser Zellen werden ganz viele Botenstoffe ausgeschüttet, unter anderem Histamin, und die führen zum Beispiel im Allergietest dazu, dass da so eine rote Quaddel entsteht oder sie führen dazu, dass die Nase läuft, dass man Niesanfälle hat, dass man vielleicht auch einen Asthmaanfall hat. Im Wesentlichen sind das diese Botenstoffe.
Karkowsky: Sie haben da eine Münchner Kollegin, die warnt regelmäßig vor einer Zunahme der Pollengefahr, Professorin Heidrun Behrendt, sie ist Allergologin am Klinikum rechts der Isar. Frau Behrendt sagt, es gibt mehr Pollen, neue Pollen und die Pollen werden aggressiver. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
von Mutius: Es gibt sicher neue Pollen, die Ambrosia-Pollen werden doch langsam heimisch. Bei den Kindern, die ich sehe, sind die meisten Kinder auf viele Dinge allergisiert, also nicht nur auf die Baumpollen, sondern häufig auf Bäume und Gräser, oder auch auf Tiere oder auf Hausstaub, und eine Polle mehr oder weniger macht in der Regel jetzt das Krankheitsbild nicht sehr viel schwerer. Natürlich gibt es mal die Fälle, wo zusätzliche Sensibilisierungen den Heuschnupfen stärker machen lassen können, das kann schon sein.
Karkowsky: Wenn wir mal kurz noch bei den Pollen bleiben – Ihre Kollegin Frau Behrendt sagt ja, die sollen heute in viel höherer Konzentration auftreten, die Zahl der Allergene, die freigesetzt werden aus den einzelnen Pollen habe sich erhöht. Da sieht Ihre Kollegin also die Zunahme von Heuschnupfen in einer höheren Aggressivität der Pollen begründet. Halten Sie das für stichhaltig?
von Mutius: Ich denke, was man sieht, ist, dass die Pollen, die beladen sind mit Schadstoffen, insbesondere Dieselpartikeln, von Menschen, die sehr nah an sehr viel befahrenen Straßen leben – also, sehr nah heißt ungefähr 50 Meter, hier zum Beispiel München, Mittleren Ring –, die haben wahrscheinlich schon verstärkt Probleme. Wir wissen aber, dass in den letzten zehn Jahren die Häufigkeit des Heuschnupfens nicht mehr zugenommen hat und es gibt auch keinen Anhalt dafür, dass der Schweregrad des Heuschnupfens auf allgemeiner Bevölkerungsebene zugenommen hätte.
Karkowsky: Aber wer davon ausgeht, also eine zunehmende Pollenaggressivität als Hauptursache des Heuschnupfens sieht, wird vermutlich dann die berühmte Gräserpille empfehlen, oder? Da wurde viel drüber geschrieben und geredet die letzten zwei Jahre, so ein Mix verschiedener Allergien auslösender Substanzen. Was halten Sie davon?
von Mutius: Die Gräserpille ist eine Neuentwicklung, das ist eine Form der Hyposensibilisierung, die jetzt nicht mehr in Spritzenform geht, sondern geschluckt wird. Das ist eine neue Form, die muss man noch mal, denke ich, gerade in Bezug auf die Kinder, evaluieren. Da gab es manche Enttäuschung auch bisher in der Vergangenheit, aber natürlich ist es insgesamt ein sehr vielversprechender Ansatz.
Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton die Münchner Professorin Erika von Mutius, Oberärztin und Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz im Dr.-Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität. Ihre Forschung, Frau von Mutius, setzt ja beim menschlichen Immunsystem an. Sie haben vorhin erwähnt: Eine Ursache, dass Menschen Allergien kriegen, ist eine mangelnde Toleranz für die Stoffe, die da eindringen. Was genau heißt das?
von Mutius: Das heißt, dass Toleranz ein aktiver Prozess ist. Das Immunsystem muss lernen, dass es auf bestimmte Dinge in der natürlichen Umgebung keine Immunantwort macht. Und bei der Allergie ist diese Toleranz verlorengegangen.
Karkowsky: Und Sie glauben, dass auf Bauernhöfen der Körper am ehesten lernt, diese Toleranz zu entwickeln?
von Mutius: Ich denke, ich habe es so oft gesehen jetzt, in so vielen Studien, dass die Kinder, die auf dem Bauernhof leben, diesen Schutz, diese Toleranz haben – die Natur macht es uns irgendwie vor. Und unser Ziel ist eigentlich, zu verstehen, wie die Natur das macht.
Karkowsky: Also, es geht nicht in erster Linie darum, dass das Immunsystem von Menschen in Industriestaaten, wo es nicht mehr so viele Bauernhöfe gibt, insgesamt messbar schwächer geworden ist, oder?
von Mutius: Wir interessieren uns jetzt speziell für diese Bauernhofsituation, weil das hier ein, ich sage jetzt mal, menschliches Modell ist oder einfach, noch mal gesagt: Das ist das, wie es die Natur uns vormacht. Man weiß von Entwicklungsländern, dass der Zug vom Land in die Stadt mit dieser Zunahme an allergischen Erkrankungen vergesellschaftet ist. Aber das ist natürlich für mich sozusagen, die ich hier in München bin, nicht so einfach, das zu untersuchen. Aber diese Landwirte und diese Familien können uns eben helfen, hier in Deutschland dieses Problem auch anzugehen.
Karkowsky: Nun wollen die meisten von uns unsere Wohnung ungern verwahrlosen lassen, um etwa Parasiten anzulocken, die womöglich unser Immunsystem stärken. Wir hätten das gern in Pillenform.
von Mutius: Ja, aber Entschuldigung, da muss ich Sie unterbrechen: Eine Wohnung von einem Bauernhaus ist weder verwahrlost noch gibt es da Parasiten noch ist das irgendwie Dreck in irgendeiner Form. Ich spreche wirklich tatsächlich davon, dass Kinder, die sich viel im Kuhstall aufhalten ... Das ist eine ganz besondere Exposition, kann man jetzt nicht damit verallgemeinern, dass man sagt, Dreck allgemein ist gut. Das muss man schon auseinanderhalten.
Karkowsky: Und wie unterscheiden Sie guten Dreck von bösem Dreck?
von Mutius: Was uns interessiert, ist diese Beobachtung, zu verstehen, warum diese Kinder, die auf dem Bauernhof aufgewachsen sind, diesen Schutz haben. Wir wissen, dass dieser Schutzfaktor sich im Stall befindet, das ist sozusagen unsere Detektivsuche nach den Faktoren, die da in der Luft schwirren, zu verstehen, wie das Immunsystem das lernt, diese Toleranz.
Unsere Idee ist, dass das mit den mikrobiellen Expositionen zusammenhängt. Wir wissen, in einem Stall sind viele Tiere, ist Mist, ist Futtermittel, alles Mögliche, da fliegen sehr viele Mikroben durch die Gegend und wir haben auch schon aus Voruntersuchungen gesehen, dass diese Bakterien oder Bakterienbestandteile auch mit einem Schutz vor Allergien einhergehen können. Und wir haben auch zwei Bakterien aus dem Stall isoliert und die in Mausmodellen fürs allergische Asthma getestet, und wenn wir diesen Mäusen diese Bakterien verabreichen, dann können wir die Entstehung des allergischen Asthma verhindern.
Karkowsky: Mit wie vielen Inhaltsstoffen arbeiten Sie und wie sortieren Sie da aus, was für das menschliche Immunsystem gut sein kann und was nicht?
von Mutius: Wir arbeiten zusammen mit Professor Holst in Brastl und Professor Bufe in Bochum und Professor Renz in Marburg, das ist also eine große interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die das macht. Wir machen einerseits die Beobachtungen an den Kindern, in den sogenannten epidemiologischen Studien, und andererseits die Beobachtungen an den Mäusen, wo wir bestimmte Kandidaten, die wir aus den, ich sage jetzt mal Bauernstudien, identifiziert haben, in die Maus geben, schauen, wirkt das in der Maus, und wo wir dann versuchen, das später wieder in die menschliche Population zurückzubringen.
Karkowsky: Also, niemand muss Kuhmist schlucken, um sich vor Allergien zu schützen.
von Mutius: Nein.
Karkowsky: Was glauben Sie, gibt es da einen Zeitplan, den Sie absehen können, wann die Pille fertig sein könnte?
von Mutius: Wir wissen noch nicht, ob das eine Pille ist oder ob das eine Impfung ist oder wie wir das verabreichen können.
Karkowsky: Sie machen Grundlagenforschung?
von Mutius: Wir machen Grundlagenforschung, wir wissen, dass es an der Maus funktioniert. Im Moment sind wir dabei, Dosisfindungen zu machen, Toxikologie, also, wir brauchen natürlich etwas, was nebenwirkungsfrei ist oder extrem nebenwirkungsarm ist, damit wir das verabreichen können. Wir tasten uns jetzt an der Maus voran. Wenn das in der Maus funktioniert, gehen wir sicher zu anderen Tieren und werden dann hoffentlich einen Schritt nach dem anderen vielleicht irgendwann das auch mal zum Menschen bringen können.
Karkowsky: Dann bedanke ich mich bei Professorin Erika von Mutius, sie ist Oberärztin und Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz im Dr.-Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
von Mutius: Danke schön!
Erika von Mutius: Zunächst einmal ist die Beobachtung richtig, das haben wir immer wieder jetzt gesehen. Es ist gar nicht so sehr der Stadt-Land-Vergleich als der Vergleich auch auf dem Land, Kinder aus ein- und demselben Dorf: Die, die auf dem Bauernhof aufwachsen, haben den Schutz, die, die nicht auf dem Bauernhof aufwachsen, haben nicht den Schutz.
Stefan Karkowsky: Wie kommt das?
von Mutius: Wir denken – oder wir haben gesehen –, dass das damit zusammenhängt, dass die Kinder sehr früh und viel im Stall sich aufhalten. Das sind alles Milchbauern, die wir untersucht haben, und der Aufenthalt mit den Kühen, mit den Viechern, auf Bayrisch, oder mit den Tieren, Nutztieren, den Futtermitteln – das alles bringt diesen Schutz.
Karkowsky: Aber wie sind Sie denn überhaupt auf diesen Gedanken gekommen? In der Stadt sagen wir doch immer: Liebes Kind, lass bitte alles liegen, was auf dem Bürgersteig liegt, nimm es nicht in den Mund.
von Mutius: Ja, Dreck ist auch sicher nicht gleich Dreck. Man kann jetzt nicht verallgemeinern von dem, dass Bauernkinder diesen Schutz haben, dass man in der Stadt nun jedem Dreck sich aussetzen sollte. Da muss man schon unterscheiden. Die Beobachtung kam über Kollegen aus der Schweiz, insbesondere über Dr. Gassner, der ein Schularzt in einem kleinen Dorf in Grabs ist, der immer wieder beobachtet hatte, dass in seiner Umgebung die Kinder vom Bauernhof einfach keinen Heuschnupfen hatten.
Karkowsky: Dann erklären Sie uns doch bitte noch mal kurz, was eigentlich passiert bei einer Allergie, also warum bei manchen Menschen so ein winziges Pollenkörnchen einen Heuschnupfen auslöst mit roten Augen, laufender Nase, und andere können durch ganze Armeen von Pollenstaub durchlaufen und merken gar nichts?
von Mutius: Die Allergie ist ein Mangel an Toleranz, an Toleranz gegen ganz natürliche Substanzen, und dieser Mangel an Toleranz äußert sich in einer Immunantwort und das sind bestimmte Antikörper, nämlich die IgE-Antikörper, die gegen diese Pollen gebildet werden. Und wenn dann so ein Polle heranfliegt und man diese IgE-Antikörper hat, dann setzen sich diese IgE-Antikörper auf bestimmte Zellen, die Mastzellen, und die platzen dann, und mit diesem Platzen dieser Zellen werden ganz viele Botenstoffe ausgeschüttet, unter anderem Histamin, und die führen zum Beispiel im Allergietest dazu, dass da so eine rote Quaddel entsteht oder sie führen dazu, dass die Nase läuft, dass man Niesanfälle hat, dass man vielleicht auch einen Asthmaanfall hat. Im Wesentlichen sind das diese Botenstoffe.
Karkowsky: Sie haben da eine Münchner Kollegin, die warnt regelmäßig vor einer Zunahme der Pollengefahr, Professorin Heidrun Behrendt, sie ist Allergologin am Klinikum rechts der Isar. Frau Behrendt sagt, es gibt mehr Pollen, neue Pollen und die Pollen werden aggressiver. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen?
von Mutius: Es gibt sicher neue Pollen, die Ambrosia-Pollen werden doch langsam heimisch. Bei den Kindern, die ich sehe, sind die meisten Kinder auf viele Dinge allergisiert, also nicht nur auf die Baumpollen, sondern häufig auf Bäume und Gräser, oder auch auf Tiere oder auf Hausstaub, und eine Polle mehr oder weniger macht in der Regel jetzt das Krankheitsbild nicht sehr viel schwerer. Natürlich gibt es mal die Fälle, wo zusätzliche Sensibilisierungen den Heuschnupfen stärker machen lassen können, das kann schon sein.
Karkowsky: Wenn wir mal kurz noch bei den Pollen bleiben – Ihre Kollegin Frau Behrendt sagt ja, die sollen heute in viel höherer Konzentration auftreten, die Zahl der Allergene, die freigesetzt werden aus den einzelnen Pollen habe sich erhöht. Da sieht Ihre Kollegin also die Zunahme von Heuschnupfen in einer höheren Aggressivität der Pollen begründet. Halten Sie das für stichhaltig?
von Mutius: Ich denke, was man sieht, ist, dass die Pollen, die beladen sind mit Schadstoffen, insbesondere Dieselpartikeln, von Menschen, die sehr nah an sehr viel befahrenen Straßen leben – also, sehr nah heißt ungefähr 50 Meter, hier zum Beispiel München, Mittleren Ring –, die haben wahrscheinlich schon verstärkt Probleme. Wir wissen aber, dass in den letzten zehn Jahren die Häufigkeit des Heuschnupfens nicht mehr zugenommen hat und es gibt auch keinen Anhalt dafür, dass der Schweregrad des Heuschnupfens auf allgemeiner Bevölkerungsebene zugenommen hätte.
Karkowsky: Aber wer davon ausgeht, also eine zunehmende Pollenaggressivität als Hauptursache des Heuschnupfens sieht, wird vermutlich dann die berühmte Gräserpille empfehlen, oder? Da wurde viel drüber geschrieben und geredet die letzten zwei Jahre, so ein Mix verschiedener Allergien auslösender Substanzen. Was halten Sie davon?
von Mutius: Die Gräserpille ist eine Neuentwicklung, das ist eine Form der Hyposensibilisierung, die jetzt nicht mehr in Spritzenform geht, sondern geschluckt wird. Das ist eine neue Form, die muss man noch mal, denke ich, gerade in Bezug auf die Kinder, evaluieren. Da gab es manche Enttäuschung auch bisher in der Vergangenheit, aber natürlich ist es insgesamt ein sehr vielversprechender Ansatz.
Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton die Münchner Professorin Erika von Mutius, Oberärztin und Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz im Dr.-Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität. Ihre Forschung, Frau von Mutius, setzt ja beim menschlichen Immunsystem an. Sie haben vorhin erwähnt: Eine Ursache, dass Menschen Allergien kriegen, ist eine mangelnde Toleranz für die Stoffe, die da eindringen. Was genau heißt das?
von Mutius: Das heißt, dass Toleranz ein aktiver Prozess ist. Das Immunsystem muss lernen, dass es auf bestimmte Dinge in der natürlichen Umgebung keine Immunantwort macht. Und bei der Allergie ist diese Toleranz verlorengegangen.
Karkowsky: Und Sie glauben, dass auf Bauernhöfen der Körper am ehesten lernt, diese Toleranz zu entwickeln?
von Mutius: Ich denke, ich habe es so oft gesehen jetzt, in so vielen Studien, dass die Kinder, die auf dem Bauernhof leben, diesen Schutz, diese Toleranz haben – die Natur macht es uns irgendwie vor. Und unser Ziel ist eigentlich, zu verstehen, wie die Natur das macht.
Karkowsky: Also, es geht nicht in erster Linie darum, dass das Immunsystem von Menschen in Industriestaaten, wo es nicht mehr so viele Bauernhöfe gibt, insgesamt messbar schwächer geworden ist, oder?
von Mutius: Wir interessieren uns jetzt speziell für diese Bauernhofsituation, weil das hier ein, ich sage jetzt mal, menschliches Modell ist oder einfach, noch mal gesagt: Das ist das, wie es die Natur uns vormacht. Man weiß von Entwicklungsländern, dass der Zug vom Land in die Stadt mit dieser Zunahme an allergischen Erkrankungen vergesellschaftet ist. Aber das ist natürlich für mich sozusagen, die ich hier in München bin, nicht so einfach, das zu untersuchen. Aber diese Landwirte und diese Familien können uns eben helfen, hier in Deutschland dieses Problem auch anzugehen.
Karkowsky: Nun wollen die meisten von uns unsere Wohnung ungern verwahrlosen lassen, um etwa Parasiten anzulocken, die womöglich unser Immunsystem stärken. Wir hätten das gern in Pillenform.
von Mutius: Ja, aber Entschuldigung, da muss ich Sie unterbrechen: Eine Wohnung von einem Bauernhaus ist weder verwahrlost noch gibt es da Parasiten noch ist das irgendwie Dreck in irgendeiner Form. Ich spreche wirklich tatsächlich davon, dass Kinder, die sich viel im Kuhstall aufhalten ... Das ist eine ganz besondere Exposition, kann man jetzt nicht damit verallgemeinern, dass man sagt, Dreck allgemein ist gut. Das muss man schon auseinanderhalten.
Karkowsky: Und wie unterscheiden Sie guten Dreck von bösem Dreck?
von Mutius: Was uns interessiert, ist diese Beobachtung, zu verstehen, warum diese Kinder, die auf dem Bauernhof aufgewachsen sind, diesen Schutz haben. Wir wissen, dass dieser Schutzfaktor sich im Stall befindet, das ist sozusagen unsere Detektivsuche nach den Faktoren, die da in der Luft schwirren, zu verstehen, wie das Immunsystem das lernt, diese Toleranz.
Unsere Idee ist, dass das mit den mikrobiellen Expositionen zusammenhängt. Wir wissen, in einem Stall sind viele Tiere, ist Mist, ist Futtermittel, alles Mögliche, da fliegen sehr viele Mikroben durch die Gegend und wir haben auch schon aus Voruntersuchungen gesehen, dass diese Bakterien oder Bakterienbestandteile auch mit einem Schutz vor Allergien einhergehen können. Und wir haben auch zwei Bakterien aus dem Stall isoliert und die in Mausmodellen fürs allergische Asthma getestet, und wenn wir diesen Mäusen diese Bakterien verabreichen, dann können wir die Entstehung des allergischen Asthma verhindern.
Karkowsky: Mit wie vielen Inhaltsstoffen arbeiten Sie und wie sortieren Sie da aus, was für das menschliche Immunsystem gut sein kann und was nicht?
von Mutius: Wir arbeiten zusammen mit Professor Holst in Brastl und Professor Bufe in Bochum und Professor Renz in Marburg, das ist also eine große interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die das macht. Wir machen einerseits die Beobachtungen an den Kindern, in den sogenannten epidemiologischen Studien, und andererseits die Beobachtungen an den Mäusen, wo wir bestimmte Kandidaten, die wir aus den, ich sage jetzt mal Bauernstudien, identifiziert haben, in die Maus geben, schauen, wirkt das in der Maus, und wo wir dann versuchen, das später wieder in die menschliche Population zurückzubringen.
Karkowsky: Also, niemand muss Kuhmist schlucken, um sich vor Allergien zu schützen.
von Mutius: Nein.
Karkowsky: Was glauben Sie, gibt es da einen Zeitplan, den Sie absehen können, wann die Pille fertig sein könnte?
von Mutius: Wir wissen noch nicht, ob das eine Pille ist oder ob das eine Impfung ist oder wie wir das verabreichen können.
Karkowsky: Sie machen Grundlagenforschung?
von Mutius: Wir machen Grundlagenforschung, wir wissen, dass es an der Maus funktioniert. Im Moment sind wir dabei, Dosisfindungen zu machen, Toxikologie, also, wir brauchen natürlich etwas, was nebenwirkungsfrei ist oder extrem nebenwirkungsarm ist, damit wir das verabreichen können. Wir tasten uns jetzt an der Maus voran. Wenn das in der Maus funktioniert, gehen wir sicher zu anderen Tieren und werden dann hoffentlich einen Schritt nach dem anderen vielleicht irgendwann das auch mal zum Menschen bringen können.
Karkowsky: Dann bedanke ich mich bei Professorin Erika von Mutius, sie ist Oberärztin und Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz im Dr.-Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
von Mutius: Danke schön!