Wie definiert man Krieg?

Von Lorenz Maroldt, Chefredakteur "Tagesspiegel" |
In Afghanistan sterben deutsche Soldaten - und in Deutschland wird darüber gestritten, ob die Bundeswehr sich nun im Krieg befindet oder nicht. Der Bundesverteidigungsminister sagt nein. Der Wehrbeauftragte des Bundestags sagt ja. Der Regierungssprecher sagt nein. Der Ex-Verteidigungsminister sagt ja.
Wenn man in diesen Tagen mit Deutschen spricht, die in Afghanistan ihren Dienst tun, ob als Soldaten oder als Aufbauhelfer, dann trifft man dort auf zwei ganz starke Gefühle: Auf Angst - und auf Empörung. Die Angst gilt den Attacken der Taliban. Die Empörung gilt den Debatten in Deutschland.

36 deutsche Soldaten sind seit 2002 in Afghanistan ums Leben gekommen. Einige bei Unfällen, manche haben sich auch selbst getötet. Mehr als die Hälfte der Soldaten aber fielen direkt den Taliban zum Opfer. Auch die drei Männer, die am Dienstag starben, waren mit Gewehren und Panzerfäusten beschossen worden. Es war der 31. Angriff seit Anfang des Jahres. Vier Stunden dauerte das Gefecht, zweihundert Mann waren darin verwickelt. Keiner der Toten war älter als 23.

Wenn das kein Krieg ist, was ist dann Krieg? Nur Zyniker zitieren als Antwort auf diese Frage den Preußischen General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz. Der hat gesagt, Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das aber ist, besonders aus heutiger Sicht, eine Perversion des politischen Gedankens.

Die Bundesregierung definiert Krieg ebenso wie der Verteidigungsminister rein legalistisch. Demnach ist Krieg die militärische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten. Die Bundeswehr aber ist auf Bitten der demokratisch gewählten afghanischen Regierung im Einsatz und unterstützt das afghanische Militär im Kampf gegen Aufständische. Offiziell starben die Soldaten also im Rahmen von Gefechtshandlungen, nicht im Krieg. Wäre es anders, würden die Taliban laut Völkerrecht aufgewertet und bekämen den Status von Soldaten. Sie könnten dann, zum Beispiel, nicht als Terroristen und Mörder vor ein ordentliches Gericht gestellt werden.

Gegen diese Haltung der Regierung zieht jetzt der Bundeswehrverband ganz offen zu Felde. Die Politik müsse endlich eine deutliche Sprache sprechen. Für den Verband gilt dabei nur ein einziges, aber ganz starkes Kriterium: das Gefühl der Soldaten. Wer dort unten kämpft, so der Verband, empfindet sich im Krieg. Das und nichts anderes sei entscheidend.

Dieser Meinung ist auch der frühere Verteidigungsminister Peter Struck. Struck sagt, die Taliban zwingen uns ihren Krieg auf. Und der Wehrbeauftragte des Bundestags sagt, wer jetzt nicht von Krieg spricht, der verharmlost die dramatische Lage. Das kuriose an dieser Debatte ist, dass keiner der Verbal-Kombattanten den Einsatz selbst in Frage stellt. Bis auf die Linke stützen alle im Bundestag vertretenen Parteien den Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan.

Das Ziel der Soldaten soll es sein, den Aufbau demokratischer Strukturen zu sichern und zu verhindern, dass neue Terrorzellen entstehen. Aber anders als etwa die Amerikaner waren die Deutschen stets bemüht, jegliches Pathos im Zusammenhang mit dem Militär zu vermeiden. Das hat auch historische Gründe.

Es hilft aber vor allem, unangenehme Wahrheiten zu verdrängen. Der Einsatz wurde von der Politik schöngeredet und zum Friedenslauf deklariert. So dachten wohl viele, dass die Bundeswehr immer noch mit einer Nelke im Gewehrlauf aufmarschiert und Geschenke verteilt.

Dass ein solcher Einsatz wie in Afghanistan aber mit tödlicher Konsequenz geführt werden muss - oder eben gar nicht, davon wollten viele lieber nichts wissen, auch nicht im Bundestag. Und schon gar nicht im Wahlkampf. Doch das kommt einer Geringschätzung, wenn nicht gar einem Verrat an jenen jungen Soldaten gleich, die dort ihr Leben riskieren - und laut Bundesregierung unser Leben verteidigen.