Wie das Auge sieht

In "Das optische Wissen" stellt Ralph Köhnen Ansichten über das Sehen von der Antike bis zur Gegenwart vor. Darin verknüpft er drei Ebenen: die Erkenntnisse über das menschliche Auge, die Entwicklung von technischen Instrumenten als Sehhilfen und die Entstehung künstlerischer Zeugnisse wie die Malerei.
Die Geschichte des Auges ist in Ralph Köhnens Buch "Das optische Wissen" ein zentrales Thema, das er, ausgehend von der Antike, bis in die unmittelbare Gegenwart verfolgt. Für diese Untersuchung von Sehkonzepten muten die 600 Seiten, die er dafür benötigt, eher schmal an, denn zu diesem Thema liegen bereits umfassende Forschungsergebnisse in Einzelstudien vor.

Köhnen weist im ersten Kapitel, das mit "Elemente/Strahlen: Das optische Wissen in Antike und Mittelalter" überschrieben ist, darauf hin, dass es in der Antike unter anderem die Auffassung gab, die angesehenen Dinge würden auf den Augen des Betrachters Spuren hinterlassen. Neben der "Bewaffnung des Auges" durch das Fernglas im 16. Jahrhundert, das Galilei für seine Himmelsbeobachtungen genutzt hat, finden sich in Köhnens Untersuchung auch Ausführungen zur "Trägheit des Auges", die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckt wurde. Diese Erkenntnis wurde wegweisend für den Film, der das Auge überlistet, wenn 24 statische Einzelbilder innerhalb einer Sekunde durch einen Apparat in Bewegung versetzt werden. Denn so entsteht der Eindruck, die Bilder würden laufen können. Im letzten der insgesamt 20 Kapitel "Semiosen zwischen Wort und Bild. Heiner Müllers Dramenpoetik" wendet sich Köhnen den in Müllers Text "Bildbeschreibung" vorhandenen visuellen Botschaften zu.

Ralph Köhnens verknüpft drei zentrale Themen miteinander. Er will zeigen, wie "physiologische Grundbegriffe des Auges beziehungsweise des Sehvorgangs, ästhetische Zeugnisse der Malerei und der Literatur, die über die Sehhaltung einer Epoche Auskunft geben, und nicht zuletzt das technische Wissen, das sich in der […] Herstellung optischer Instrumente niederschlägt" aufeinander reagieren und sich gegenseitig beeinflussen. Dabei interessieren ihn die Wechselwirkungen zwischen Körperwissen, ästhetischen Zeichen und technischen Apparaturen.

Zu diesen drei Bereichen finden sich in Köhnens Darstellung über das optische Wissen aufschlussreiche Ausführungen, wobei wesentliche Umschlagpunkte, die die Geschichte des Sehens, die Bedeutung des Bildes und die Entwicklung technischer Instrumente und Apparate betreffen, zusammenhängend entwickelt werden. Darin liegt der Gewinn dieser Studie, die ein umfangreiches Material überzeugend in den Zusammenhängen zu präsentieren weiß.

Doch kann man sich andererseits nicht des Eindrucks erwehren, als würde es die Möglichkeiten eines Buches sprengen, was es dabei zu bündeln und zu beschreiben gilt. An entscheidenden Punkten vermag Köhnen nicht in die Tiefe zu gehen, aber eben dort wartet die gegenwärtige Forschung zum Sehen und zum Bildbegriff mit spannenden Ergebnissen auf. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Im sechsten Kapitel "Die lange Geburt eines Mediums: Galileis Fernrohr", stehen Köhnen zwanzig Seiten zur Verfügung, um zu beschreiben, wie es Galilei durch das Fernrohr unter anderem gelang, Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Mondoberfläche in seinem Buch "Sidereus Nuncius" festzuhalten. Für die Entdeckungen Horst Bredekamps (er wird nur am Rande erwähnt), die in seinem Buch "Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand" (2007) nachzulesen sind, dass Galilei ein "motorisches Denken in Bildern" favorisiert, weil seine Zeichnungen nicht nur abbilden, sondern die Hand beim Zeichnen auch Entdeckungen macht, bleibt da leider ebenso wenig Platz wie für manch andere interessante Einsicht.

Ralph Köhnen hat sich in "Das optische Wissen" einem höchst aktuellen Gegenstand zugewendet. Er schärft in dieser umfangreichen Studie die Aufmerksamkeit für die Herausforderungen, denen das Auge bei permanenter Reizüberflutung ausgesetzt ist.

Besprochen von Michael Opitz

Ralph Köhnen: Das optische Wissen. Mediologische Studien zu einer Geschichte des Sehens
Wilhelm Fink Verlag, München 2009,
603 Seiten, 78 Euro