Wie Cannes den deutschen Film ignoriert

Ein Kommentar von Josef Schnelle |
Es hatte doch alles anders werden sollen. Jede Menge gute deutsche Filme auf der Berlinale. Ein neues Selbstbewusstsein, das ansteckte. Sogar ein Deutscher Film im Oskar-Rennen. Aber was macht Cannes, das immer noch größte und wichtigste Filmfestival der Welt?
Letztes Jahr mit immerhin – rechnet man Altmeister Wim Wenders mit und das muss man wohl – drei deutsche Filme im Hauptprogramm. Der böse Fluch schien ja schon mit Hans Weingartners "Die fetten Jahre sind vorbei" nach 20-jähriger Abstinenz im Cannes-Wettbewerb von 2004 gebrochen. Die Verantwortlichen des Festivals hatten offenbar aufgegeben, auf einen neuen Fassbinder zu hoffen und auch dem ganz neuen Kino aus Deutschland eine neue Chance gegeben.

Seit heute Nachmittag ist klar: Deutsche Filme spielen offenbar wieder einmal keine Rolle in der Weltliga, die sich jedes Jahr in Cannes trifft. Zumindest mit dem zeitgeschichtlich interessanten und glänzend inszenierten Film "Das Leben der anderen" von Florian von Donnersmark, so dachte man allgemein, würde sich die französische Auswahljury anfreunden können. Noch stehen die Nominierungen der beiden kleinen aber feinen cineastischen Sonderreihen aus, die nächste Woche bekannt gegeben werden. Dort, am Rande der Aufmerksamkeit, könnte doch noch ein deutscher Film Flagge zeigen. Schon meldet die deutsche Promotionagentur German Films gar Filme des Finnen Aki Kaurismäki und des Briten Ken Loach als deutsche Beiträge im Wettbewerb um die goldene Palme – weil es ein bisschen zusätzliches deutsches Geld in der Produktion gab.

Kulturstaatsminister Bernd Neuman hat jedenfalls trotzdem einen ungemütlichen Antrittsbesuch in Cannes vor sich. Von ihm werden wieder einmal mahnende Worte an die Festivalleitung erwartet. Ein künstlerischer Filmboom in Deutschland und aus Cannes nur Achselzucken. Was ist das? Eine kalkulierte Frechheit oder die übliche Blamage? Ein Blick auf das Gesamtprogramm zeigt. Die in Cannes machen nur, was die Deutschen auch machen. Sie hängen ihr eigenes Filmschaffen ganz hoch. Aber sechs französische Filme im Wettbewerb von 19 Beiträgen. Das dürfte einsamer Rekord sein.

Dazu voraussehbare Kassenknüller wie die Bestsellerverfilmung von "Das Sakrileg", die den Da Vinci Code filmischer Rekordeinahmen knacken soll, die Fortsetzung des Comicsaga "X-Men" und der Film zum dritten Flugzeug des 11. Septembers "United 93" von Paul Greengrass. Zum Glück darf man sich auf ein paar Filme der üblichen Verdächtigen wie Nanni Moretti aus Italien und Sofia Coppola aus den USA freuen und vielleicht darauf, dass der deutsche Film auch unabhängig von seiner Cannes-Präsenz wächst und gedeiht. Das wäre ein echter Quantensprung: Einfach nicht mehr nur auf den großen Markt der Eitelkeiten schauen an der Cote D`Azur schauen. Dafür das neu gewonnene Selbstbewusstsein bei allen anderen Gelegenheiten zwischen Venedig und Guadelajara zur Schau stellen und in Deutschland selbst, in dem es dem deutschen Film immer noch an genügend Möglichkeiten der Selbstdarstellung fehlt. Dieter Kosslick kann man nur empfehlen im nächsten Jahr sieben gute deutsche Filme in den Wettbewerb zu nehmen.