Wie Angst in Aggression umschlägt

"Unser Angstsystem hat keinen Schulabschluss"

Eine Frau steht im Dunkeln und schlägt erschrocken die Hände vor dem Gesicht zusammen.
"Wenn ich Menschen Angst mache, dann habe ich ein hohes Risiko, dass daraus auch Hass wird", sagt Neurowissenschaftler Joachim Bauer. © Unsplash / Melanie Wasser
Joachim Bauer im Gespräch mit Julius Stucke · 02.01.2019
Kaum ein anderes Gefühl ist beim Menschen so leicht zu mobilisieren wie Angst, warnt der Neurowissenschaftler Joachim Bauer. Das liege an unserer evolutionären Ausstattung. Besonders manipulierbar seien labile Menschen wie der Attentäter von Bottrop.
Der Neurowissenschaftler und Psychiater Joachim Bauer sieht in dem Attentäter von Bottrop und Essen auch ein Opfer von Angst- und Panikmache, wie sie etwa in sozialen Netzwerken massiv stattfinde.
"Gerade Menschen wie dieser Täter, der offenbar ein psychisch labiles Subjekt ist, eine psychiatrische Vorgeschichte hinter sich hat – solche Menschen sind ganz besonders leicht ansprechbar durch alles, was Angst macht. Und die Angstsysteme stehen in einer sehr engen Verbindung mit den Aggressions- und Hasssystemen. Das heißt, wenn ich Menschen Angst mache, dann habe ich ein hohes Risiko, dass daraus auch Hass wird, Hasstaten werden", sagt Bauer.

In den sozialen Netzwerken geht die Empathie verloren

Das sei keine Entschuldigung für die Tat, betont der Psychiater. Ihm geht es darum, Zusammenhänge aufzuzeigen, und die sieht er in der evolutionären Ausstattung des Menschen: "Jeder Mensch hat in sich ein evolutionär sehr altes System, das ist das Angst- und Aggressionssytem, das ist ein primitives Überlebenssystem, das ist leider ohne Schulabschluss, das ist sehr leicht ansprechbar und sehr leicht manipulierbar."
Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut, Joachim Bauer, spricht im September 2016 in München (Bayern) während einer Pressekonferenz des Lehrerverbandes BLLV.
Der Wissenschaftler Joachim Bauer erklärt, was "die evolutionäre Erfolgsfahrkarte des Menschen" war.© picture alliance / dpa / Peter Kneffel
Dazu gehöre auch, dass wir uns von den Gefühlen anderer sehr leicht anstecken ließen. Hier sind Bauer zufolge insbesondere die sozialen Netzwerke ein Problem: "Es ist einfach ein Faktum, dass das, was in den sozialen Netzwerken, was bei Facebook, bei Google, bei Twitter passiert, ist, dass dort die Menschen, die am meisten Hass mit sich herumtragen, die am meisten Angst mit sich herumtragen, die bestimmen in diesen Netzwerken den Ton, stecken die anderen damit an." Infolgedessen verlören Menschen, die sich viel in diesen virtuellen Räumen bewegten, ihre Empathie. "Wir müssen aufpassen, dass wir gemeinschaftsfähig bleiben", mahnt Bauer. "Denn das, was die evolutionäre Erfolgsfahrkarte des Menschen war, war unsere Fähigkeit, vernünftig zu handeln und zusammenzuarbeiten, zusammenzuhalten."

Gefährliches Spiel der Medien

Und weil Menschen so leicht auf Angstmache anspringen, kommt dem Psychiater zufolge den Medien auch eine besondere Verantwortung zu: Medien sollten insofern besser Chancen aufzeigen, statt auf Angstszenarien zu setzen, wenn es um den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten gehe, mahnt Bauer.
Über die mutmaßlich fremdenfeindlichen Angriffe von Bottrop und Essen in der Silvesternacht hätten die Medien übrigens "ziemlich nüchtern" berichtet, meint der Neurowissenschaftler. "Und das ist auch richtig so."
(uko)
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