Widersprüchliches Balkan-Bild
Erich Rathfelder zeichnet in seinem Buch "Schnittpunkt Sarajevo - Bosnien und Herzegowina zehn Jahre nach Dayton" ein facettenreiches, vielfach überraschendes und widersprüchliches Bild vom Alltag im ehemaligen Kriegsgebiet auf dem Balkan. Denn noch immer befindet sich der multiethnische Staat Bosnien und Herzegowina in einem labilen Zustand.
Es wird nicht mehr Krieg geführt auf dem Balkan, gekämpft aber wird weiterhin.
Mehr als zehn Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton befindet sich der multiethnische Staat Bosnien und Herzegowina immer noch in einem labilen Zustand. Beispielsweise wird der Film "Grbavica" der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic, Gewinner des Goldenen Bären auf der diesjährigen Berlinale, zwar im serbischen Belgrad gezeigt, hingegen nicht in Banja Luka, Hauptstadt einer der beiden Teilrepubliken des Staates Bosnien und Herzegowina.
Drei größere Volksgruppen, Orthodoxe, Katholiken und Muslime ringen um Einfluss und politische Macht. Der Gesamtstaat hat drei Präsidenten, einen aus jeder Volksgruppe. Im Parlament vertreten Serben, Kroaten und Bosniaken häufig eigene Interessen, die denen des Gesamtstaates zuwider laufen. Es gibt die bosniakisch-kroatische Föderation, die serbisch dominierte Republika Srpska, den multinationalen Distrikt Brcko.
Insgesamt hat Bosnien mehr als 180 Minister und eine Reihe von konkurrierenden Bürokratien. Daneben existieren die internationalen Institutionen, auch sie haben Machtbefugnisse: die Militärs der Nato, der Eufor, das Büro des Hohen Repräsentanten. Er überwacht als letzte Autorität die Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton.
Erich Rathfelder, der seit Ausbruch des Krieges 1992 die Geschehnisse auf dem Balkan vor Ort verfolgt, ist einer, der mit Menschen spricht, um über politische und wirtschaftliche Verhältnisse der Region und über ihre Entwicklung seit Kriegsende zu berichten. "Schnittpunkt Sarajevo" ist seine 250 Seiten starke Bestandsaufnahme, ein Roadmovie in Buchform. Der Journalist Rathfelder berichtet aus konkreten Situationen, schafft sich attraktive Aufhänger: die Fahrt zu einer mittelalterlichen Königsburg, den Anflug auf Sarajevo, das Treffen in einem Café, Besuch bei Bekannten in einem Wohnzimmer von Mostar. Er zitiert "den Mann von der Straße".
Den Automechaniker ebenso wie den Franziskanermönch, Repräsentanten von Hilfsorganisationen, bosnische Politiker, Überlebende der Massaker. Ihre Statements zur aktuellen Situation im Land überführt er in einen größeren Zusammenhang, reiht dabei aber Informationen an Informationen. Analyse und Systematik sind seine Sache nicht.
Immer wieder verweist Rathfelder auf den guten Willen der verschiedenen Volksgruppen, friedlich zusammenzuleben und Bosnien zu einem "wirklichen" Staat zu machen. Doch ebenso zitiert er nationalistische Hardliner und bringt Beispiele für die Verfestigung von Feindbildern, vom Widerwillen, eine gemeinsame bosnische Identität zu entwickeln. Die These, dass zehn Jahre nach Dayton die Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina einen gemeinsamen Staat baut, lässt sich von Seite zu Seite bestätigen wie auch widerlegen.
Rathfelder sammelt Eindrücke. Erweitert sie mit eigenen Kenntnissen, doch springt durch den Themenpark Bosnien und Herzegowina, wirbelt durch dessen Historie. Von den Türken zu Habsburgern und Tschetniks, von der Bundeswehr zu Partisanen und der Mafia. Er unternimmt kurze kunstgeschichtliche Exkursionen, schildert schwärmerisch Berg- und Tallandschaften. Bloßes Aneinanderreihen, unsystematische Darstellung der Ereignisse und undifferenzierter Gebrauch von Formulierungen - was unterscheidet einen Bosnier von einem Bosniaken, die EU-Armee von den Eufor-Truppen? - vermitteln den Eindruck, dass die Verhältnisse auf dem Balkan chaotisch, auch häufig undurchschaubar sind. Notwendige Erklärungen bleiben aus - aufgrund der großen Selbstverständlichkeit, mit der sich der Autor in seiner Materie "zuhause" fühlt. "Dem Leser sollte in diesem Buch deutlich werden, wie außerordentlich kompliziert die bosnische Gesellschaft ist" - schreibt der Autor im Schlusswort. In der Tat, diesen Anspruch erfüllt Rathfelders Buch. Leider.
Der große Vorteil des Buches liegt vor allem darin, dass es "Authentizität" vermittelt. Als Leser ist man mittendrin im Leben der Menschen, nimmt teil an ihren Sorgen und Nöten. Aber wirklich weiterführende Einsichten bietet das Buch nicht. Zudem ist das Buch schlecht lektoriert, stilistisch unbeholfen und inhaltlich verwirrend. Und das hat weniger mit dem Thema, als vielmehr mit dem Autor zu tun.
Erich Rathfelder: Schnittpunkt Sarajevo
Mit einem Vorwort von Christian Schwarz-Schilling.
Berlin, Verlag Hans Schiler,
250 Seiten, 18,00 Euro.
Mehr als zehn Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton befindet sich der multiethnische Staat Bosnien und Herzegowina immer noch in einem labilen Zustand. Beispielsweise wird der Film "Grbavica" der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic, Gewinner des Goldenen Bären auf der diesjährigen Berlinale, zwar im serbischen Belgrad gezeigt, hingegen nicht in Banja Luka, Hauptstadt einer der beiden Teilrepubliken des Staates Bosnien und Herzegowina.
Drei größere Volksgruppen, Orthodoxe, Katholiken und Muslime ringen um Einfluss und politische Macht. Der Gesamtstaat hat drei Präsidenten, einen aus jeder Volksgruppe. Im Parlament vertreten Serben, Kroaten und Bosniaken häufig eigene Interessen, die denen des Gesamtstaates zuwider laufen. Es gibt die bosniakisch-kroatische Föderation, die serbisch dominierte Republika Srpska, den multinationalen Distrikt Brcko.
Insgesamt hat Bosnien mehr als 180 Minister und eine Reihe von konkurrierenden Bürokratien. Daneben existieren die internationalen Institutionen, auch sie haben Machtbefugnisse: die Militärs der Nato, der Eufor, das Büro des Hohen Repräsentanten. Er überwacht als letzte Autorität die Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton.
Erich Rathfelder, der seit Ausbruch des Krieges 1992 die Geschehnisse auf dem Balkan vor Ort verfolgt, ist einer, der mit Menschen spricht, um über politische und wirtschaftliche Verhältnisse der Region und über ihre Entwicklung seit Kriegsende zu berichten. "Schnittpunkt Sarajevo" ist seine 250 Seiten starke Bestandsaufnahme, ein Roadmovie in Buchform. Der Journalist Rathfelder berichtet aus konkreten Situationen, schafft sich attraktive Aufhänger: die Fahrt zu einer mittelalterlichen Königsburg, den Anflug auf Sarajevo, das Treffen in einem Café, Besuch bei Bekannten in einem Wohnzimmer von Mostar. Er zitiert "den Mann von der Straße".
Den Automechaniker ebenso wie den Franziskanermönch, Repräsentanten von Hilfsorganisationen, bosnische Politiker, Überlebende der Massaker. Ihre Statements zur aktuellen Situation im Land überführt er in einen größeren Zusammenhang, reiht dabei aber Informationen an Informationen. Analyse und Systematik sind seine Sache nicht.
Immer wieder verweist Rathfelder auf den guten Willen der verschiedenen Volksgruppen, friedlich zusammenzuleben und Bosnien zu einem "wirklichen" Staat zu machen. Doch ebenso zitiert er nationalistische Hardliner und bringt Beispiele für die Verfestigung von Feindbildern, vom Widerwillen, eine gemeinsame bosnische Identität zu entwickeln. Die These, dass zehn Jahre nach Dayton die Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina einen gemeinsamen Staat baut, lässt sich von Seite zu Seite bestätigen wie auch widerlegen.
Rathfelder sammelt Eindrücke. Erweitert sie mit eigenen Kenntnissen, doch springt durch den Themenpark Bosnien und Herzegowina, wirbelt durch dessen Historie. Von den Türken zu Habsburgern und Tschetniks, von der Bundeswehr zu Partisanen und der Mafia. Er unternimmt kurze kunstgeschichtliche Exkursionen, schildert schwärmerisch Berg- und Tallandschaften. Bloßes Aneinanderreihen, unsystematische Darstellung der Ereignisse und undifferenzierter Gebrauch von Formulierungen - was unterscheidet einen Bosnier von einem Bosniaken, die EU-Armee von den Eufor-Truppen? - vermitteln den Eindruck, dass die Verhältnisse auf dem Balkan chaotisch, auch häufig undurchschaubar sind. Notwendige Erklärungen bleiben aus - aufgrund der großen Selbstverständlichkeit, mit der sich der Autor in seiner Materie "zuhause" fühlt. "Dem Leser sollte in diesem Buch deutlich werden, wie außerordentlich kompliziert die bosnische Gesellschaft ist" - schreibt der Autor im Schlusswort. In der Tat, diesen Anspruch erfüllt Rathfelders Buch. Leider.
Der große Vorteil des Buches liegt vor allem darin, dass es "Authentizität" vermittelt. Als Leser ist man mittendrin im Leben der Menschen, nimmt teil an ihren Sorgen und Nöten. Aber wirklich weiterführende Einsichten bietet das Buch nicht. Zudem ist das Buch schlecht lektoriert, stilistisch unbeholfen und inhaltlich verwirrend. Und das hat weniger mit dem Thema, als vielmehr mit dem Autor zu tun.
Erich Rathfelder: Schnittpunkt Sarajevo
Mit einem Vorwort von Christian Schwarz-Schilling.
Berlin, Verlag Hans Schiler,
250 Seiten, 18,00 Euro.