Widersprüchlicher Umgang mit Wissen
Robert Laughlin, Nobelpreisträger für Physik, geht es um eine paradoxe Situation: Auf der einen Seite die Wissensgesellschaft, die den freien Zugang zu Informationen voraussetzt. Auf der anderen Seite das Phänomen, dass Wissen, vor allen Dingen technologisch anwendbares, aus wirtschaftlichen, politischen und militärischen Gründen schnell als illegal erklärt werden kann. Der Autor führt zahlreiche Beispiele an, etwa aus dem Patentrecht.
Robert B. Laughlin ist Physiker an der Universität Stanford in Kalifornien. 1998 erhielt er den Physik-Nobelpreis. Laughlin gehört ohne Zweifel zu einem erlesenen Kreis genialer, hoch spezialisierter Experten. Menschen, die wir aus der Ferne bewundern, doch aus der Nähe in der Regel gar nicht verstehen. Und insgeheim hält man solche Menschen manchmal eher für Fachidioten - versunken in die Geheimnisse eines Spezialgebietes, von dem wir kaum den Namen kennen. Uns mag zwar dämmern, dass die Arbeit solcher Physiker irgendwann und irgendwie unsere Lebensgrundlagen verändert, aber wir erwarten von ihm keine Äußerungen dazu.
Bei Laughlin liegt der Fall allerdings entschieden anders. Der Mann kann sich nämlich auch geistreich und elegant zu Fragen äußern, die uns alle betreffen. Dabei scheint es ihm nichts auszumachen, dass er von Anfang an und entschlossen gegen den vermeintlich gesunden Menschenverstand der meisten seiner Leser anschreibt.
Denn sind wir nicht einigermaßen einverstanden damit, dass bestimmte Kenntnisse nicht allgemein zugänglich sind - zum Beispiel solche über den Bau einer Atombombe? Und halten wir es nicht auch für berechtigt, dass die Experimente mit embryonalen Stammzellen unter genau geregelten Bedingungen stattzufinden haben? Und die meisten dürften auch Verständnis haben für den Schutz des geistigen Eigentums - sei es in Form von Urheberrechten oder im Rahmen des Patentschutzes. All solchen geläufigen, auch ehrlich empfundenen, doch meist wenig durchdachten Überzeugungen rückt Laughlin gefährlich auf die Pelle.
An vielen oft ganz einfachen Beispielen macht Laughlin klar, dass der Zugang zu einem erheblichen Teil unseres Wissens kriminalisiert ist. Und dabei spielen ökonomische, politische oder militärische Gründe meist die entscheidende Rolle.
So entschied etwa der Oberste Gerichtshof der USA einerseits, dass Naturgesetze nicht patentiert werden können und traf in dem selben Verfahren die Entscheidung, dass Gensequenzen patentfähig seien. Worüber der Fachmann natürlich nur lachen kann - was sonst sollen Gensequenzen denn sein, wenn nicht Naturgesetze.
Doch abgesehen von der juristischen Absurdität bedeutet das, dass ein bestimmtes wesentliches Wissen vom Menschen für die Forschung nicht mehr frei zugänglich ist. Laughlin nennt eine Fülle von Beispielen aus den unterschiedlichsten Gebieten, wo es bei solchen Patentverletzungen zur Zahlung von vielen hundert Millionen Dollar kam. Und er verweist auf eine andere Konsequenz: Universitäten scheuen deshalb ihren ureigensten Forschungsauftrag wegen solcher möglichen Patentbestimmungen.
Dabei muss man sich vor Augen halten, in welchem Ausmaß das Patentwesen wuchert. Allein die Computerfirma Microsoft meldet pro Jahr über 2000 Patente an - und dazu gehören so erstaunliche Dinge wie Programme über die Konjugation von Verben oder ein Verfahren, dass erlauben soll "gutes" von "schlechtem" Verhalten im Internet zu unterscheiden.
In anderen Fällen stecken hinter der Geheimhaltung von Wissen Sicherheitserwägungen. In den USA gibt es den berüchtigten Atomic Energy Act, der im Grunde jegliche freie Nuklearforschung untersagt, die die Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohen könnte. Und welche Nuklearforschung täte das nicht?
Gewiss, es scheint beruhigend, dass sich nicht jeder eine Anleitung zum Bau einer Atombombe aus dem Internet runterladen kann. Andererseits: Es gibt dieses Wissen und wer entscheidet, wer dazu Zugang haben darf und wer nicht? Und wer kontrolliert jenes versteckte Wissen? Außerdem zeigt sich, dass man solche Kenntnisse nicht wirklich geheim halten kann.
Und wie steht es dann mit chemischen und biologischen Waffen, mit Laserraketen, neurologisch aktiven Radiowellen oder Computerangriffen? Alle diese Technologien bergen mindestens ebenso viele Gefahren wie Nuklearwaffen, außerdem sind sie erheblich leichter herzustellen oder zu beschaffen. Tatsächlich wird in bestimmten Kreisen längst darüber diskutiert, wie man den Zugang zu diesem Wissen verbieten kann.
Laughlin beschreibt in seinem übrigens auch durchaus unterhaltsam geschriebenen Buch einen zentralen Widerspruch unserer modernen Informationsgesellschaft. Einerseits der Anspruch auf die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der freien Forschung, andererseits die zunehmende Kriminalisierung des Wissens.
Und Laughlin macht klar: wir stehen erst am Anfang dieser Wissensgesellschaft und es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass sich der von ihm skizzierte Widerspruch noch wesentlich verschärfen wird. Innerhalb kürzester Zeit könnte die Kriminalisierung des Wissens unerträgliche Züge annehmen. Doch bereits in der Gegenwart ist das Ausmaß dieser Kriminalisierung überraschend und erschreckend.
Rezensiert von Walter van Rossum
Robert B. Laughlin: Das Verbrechen der Vernunft. Betrug an der Wissensgesellschaft
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag. Edition Unseld. Frankfurt a. M. 2008.
159 Seiten, 10 Euro
Bei Laughlin liegt der Fall allerdings entschieden anders. Der Mann kann sich nämlich auch geistreich und elegant zu Fragen äußern, die uns alle betreffen. Dabei scheint es ihm nichts auszumachen, dass er von Anfang an und entschlossen gegen den vermeintlich gesunden Menschenverstand der meisten seiner Leser anschreibt.
Denn sind wir nicht einigermaßen einverstanden damit, dass bestimmte Kenntnisse nicht allgemein zugänglich sind - zum Beispiel solche über den Bau einer Atombombe? Und halten wir es nicht auch für berechtigt, dass die Experimente mit embryonalen Stammzellen unter genau geregelten Bedingungen stattzufinden haben? Und die meisten dürften auch Verständnis haben für den Schutz des geistigen Eigentums - sei es in Form von Urheberrechten oder im Rahmen des Patentschutzes. All solchen geläufigen, auch ehrlich empfundenen, doch meist wenig durchdachten Überzeugungen rückt Laughlin gefährlich auf die Pelle.
An vielen oft ganz einfachen Beispielen macht Laughlin klar, dass der Zugang zu einem erheblichen Teil unseres Wissens kriminalisiert ist. Und dabei spielen ökonomische, politische oder militärische Gründe meist die entscheidende Rolle.
So entschied etwa der Oberste Gerichtshof der USA einerseits, dass Naturgesetze nicht patentiert werden können und traf in dem selben Verfahren die Entscheidung, dass Gensequenzen patentfähig seien. Worüber der Fachmann natürlich nur lachen kann - was sonst sollen Gensequenzen denn sein, wenn nicht Naturgesetze.
Doch abgesehen von der juristischen Absurdität bedeutet das, dass ein bestimmtes wesentliches Wissen vom Menschen für die Forschung nicht mehr frei zugänglich ist. Laughlin nennt eine Fülle von Beispielen aus den unterschiedlichsten Gebieten, wo es bei solchen Patentverletzungen zur Zahlung von vielen hundert Millionen Dollar kam. Und er verweist auf eine andere Konsequenz: Universitäten scheuen deshalb ihren ureigensten Forschungsauftrag wegen solcher möglichen Patentbestimmungen.
Dabei muss man sich vor Augen halten, in welchem Ausmaß das Patentwesen wuchert. Allein die Computerfirma Microsoft meldet pro Jahr über 2000 Patente an - und dazu gehören so erstaunliche Dinge wie Programme über die Konjugation von Verben oder ein Verfahren, dass erlauben soll "gutes" von "schlechtem" Verhalten im Internet zu unterscheiden.
In anderen Fällen stecken hinter der Geheimhaltung von Wissen Sicherheitserwägungen. In den USA gibt es den berüchtigten Atomic Energy Act, der im Grunde jegliche freie Nuklearforschung untersagt, die die Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohen könnte. Und welche Nuklearforschung täte das nicht?
Gewiss, es scheint beruhigend, dass sich nicht jeder eine Anleitung zum Bau einer Atombombe aus dem Internet runterladen kann. Andererseits: Es gibt dieses Wissen und wer entscheidet, wer dazu Zugang haben darf und wer nicht? Und wer kontrolliert jenes versteckte Wissen? Außerdem zeigt sich, dass man solche Kenntnisse nicht wirklich geheim halten kann.
Und wie steht es dann mit chemischen und biologischen Waffen, mit Laserraketen, neurologisch aktiven Radiowellen oder Computerangriffen? Alle diese Technologien bergen mindestens ebenso viele Gefahren wie Nuklearwaffen, außerdem sind sie erheblich leichter herzustellen oder zu beschaffen. Tatsächlich wird in bestimmten Kreisen längst darüber diskutiert, wie man den Zugang zu diesem Wissen verbieten kann.
Laughlin beschreibt in seinem übrigens auch durchaus unterhaltsam geschriebenen Buch einen zentralen Widerspruch unserer modernen Informationsgesellschaft. Einerseits der Anspruch auf die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der freien Forschung, andererseits die zunehmende Kriminalisierung des Wissens.
Und Laughlin macht klar: wir stehen erst am Anfang dieser Wissensgesellschaft und es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass sich der von ihm skizzierte Widerspruch noch wesentlich verschärfen wird. Innerhalb kürzester Zeit könnte die Kriminalisierung des Wissens unerträgliche Züge annehmen. Doch bereits in der Gegenwart ist das Ausmaß dieser Kriminalisierung überraschend und erschreckend.
Rezensiert von Walter van Rossum
Robert B. Laughlin: Das Verbrechen der Vernunft. Betrug an der Wissensgesellschaft
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag. Edition Unseld. Frankfurt a. M. 2008.
159 Seiten, 10 Euro