Widersprüchliche Jazz-Diva
Die Autorin stützt sich in ihrer Biographie vor allem auf 150 bis jetzt unveröffentlichte Tonband-Interviews Diese Erinnerungen summieren sich zum nicht immer angenehmen Bild einer begnadeten Sängerin, die nie Gesangsstunden genommen hatte und dennoch begehrt war von den Großen der damaligen Jazzszene.
Auch heute noch strahlt es hell, das Dreigestirn der Jazz-Sängerinnen Sarah Vaughan, Ella Fitzgerald und Billie Holiday. Die Kunst dieser drei schwarzen Musikerinnen ist nur noch auf Platten, auf CDs, neuerdings auch auf DVDs, zu genießen, doch ihrer immer noch eindrücklichen Präsenz kann sich kaum jemand entziehen, weder das Publikum noch die Nachfolgerinnen.
Von den drei Sängerinnen wiederum dürfte keine einen solch speziellen Platz in der Geschichte des Jazz einnehmen wie Billie Holiday; nur bei ihr verzahnen sich Musik und Leben auf eine Weise, die auch bei Jazz-Entfernten den Wunsch entfacht, mehr von ihr zu erfahren. In ihrer Person bündeln sich Urteile und Vorurteile über Jazz, lässt sich die Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen in den USA nachzeichnen, ja das ganze gesellschaftliche Leben Amerikas von den 30er bis zu den 50er Jahren kann an Hand von Billie Holidays leidvollen Erfahrungen wie unter einer Lupe betrachtet werden.
Man durfte also gespannt sein, welchen Weg der Lebensbeschreibung die britische Autorin Julia Blackburn in ihrer neuen Biographie von Billie Holiday einschlagen würde. Sie macht von Anfang an klar, dass sie mit einem gewichtigen neuen Pfund wuchern kann, das allerdings nicht Ergebnis ihrer eigenen Recherche ist: „Dankbare Anerkennung gebührt Linda Lipnack Kuehl, deren Forschungsergebnisse beim Schreiben dieses Buchs von unschätzbarem Wert gewesen sind.“ Der Schatz, von dem hier gleich zu Beginn die Rede ist, besteht aus 150 bis jetzt unveröffentlichten Tonband-Interviews, in den 70er Jahren von der inzwischen verstorbenen Ms. Kuehl durchgeführt.
Es treten unter anderem auf: Bobby Tucker, Pianist von Billie Holiday, Jimmy Fletcher, schwarzer Rauschgiftfahnder, der 1947 dabei war, als die Sängerin wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde, Freddie Green, ein Jugendfreund, der Billie und ihrer Mutter half, als ihnen, sie wohnten noch in Baltimore, nur ein Zimmer in einem Bordell als Unterkunft zur Verfügung stand, und „Pony“ Kane, die sich mit Billie befreundete, als diese im Alter von neun Jahren als „Minderjährige ohne angemessene Betreuung und Obhut“ für ein Jahr in ein katholisches Erziehungsheim für farbige Mädchen eingewiesen wurde.
Diese Erinnerungen summieren sich zum nicht immer angenehmen Bild einer begnadeten Sängerin, die nie Gesangsstunden genommen hatte und dennoch begehrt war von den Großen der damaligen Jazzszene, von Teddy Wilson, Artie Shaw und Benny Goodman. Das waren die Glanzstunden der Sängerin; für die negativen Seiten, die sich unter die Überschrift „Sex and Drugs and Violence“ subsumieren lassen, finden sich ebenfalls genügend Zeitzeugen. Das Bild allerdings, das uns Julia Blackburn an Hand der von ihr zum ersten Mal ausgewerteten Interviews anbietet, bleibt widersprüchlich.
Das hängt zum Teil einfach damit zusammen, dass sich die Freunde, die Kollegen und die übrigen Befragten permanent widersprechen. Wer hat wann und wo Lady Day, so nannte sie Lester Young, bei Sessions begleitet? Oder: Ist Billie nun mit ihrem vermutlichen Vater Clarence Holiday, ebenfalls Musiker, zusammen aufgetreten, oder hat sie ihn strikt gemieden? Und wenn es gar um die Intimsphäre der Sängerin geht, dann gerät die Autorin endgültig auf schwankenden Boden. Lebte Lady Day ihre Bisexualität freimütig aus, wie einige behaupten? War sie Masochistin, die prügelnde Männer attraktiv fand? Und versuchte ihr Manager Joe Glaser – der gleiche, der auch Louis Armstrong sehr gewinnbringend „betreute“ – sie vor der Heroin-Sucht zu bewahren oder „verkaufte“ er sie an die Polizei und das Rauschgiftdezernat, denn beide brauchten unbedingt einen spektakulären Fall?
Man wünscht sich, Julia Blackburn hätte die Stränge mehr miteinander verwoben, und hätte vor allem auch ihre eigenen Schlussfolgerungen offengelegt. Uns zum Beispiel erläutert, wie viel Wahrheit in Holidays „Autobiographie“ steckt, die bereits 1956 von einem befreundeten Journalisten verfasst wurde. So manches Mal muss man Biographen zu mehr Zurückhaltung raten, hier wünscht man sich im Gegenteil ein stärkeres ordnendes Eingreifen.
Am 17. Juli 1959 starb Billie Holiday, sie war 44 Jahre alt. Wer hat die wohl bedeutendste Jazz-Sängerin der Welt auf dem Gewissen? Sie wurde gejagt von den Behörden, weil sie anklagende Lieder vortrug wie den Anti-Lynch Song „Strange Fruit“. Sie war ein Opfer der Rassentrennung im Norden und des offenkundigen Rassismus im Süden, sie war allerdings auch ein „Opfer“ ihres eigenen tollkühnen Lebens. Das lernt man aus Julia Blackburns Biographie, man lernt allerdings auch, dass eine „große“ Lebensbeschreibung der Lady Day noch aussteht.
Rezensiert von Maximilian Preisler.
Julia Blackburn: Billie Holiday
Aus dem Englischen von Barbara Christ.
Berlin Verlag 2006, 380 Seiten, 24,90 Euro
Von den drei Sängerinnen wiederum dürfte keine einen solch speziellen Platz in der Geschichte des Jazz einnehmen wie Billie Holiday; nur bei ihr verzahnen sich Musik und Leben auf eine Weise, die auch bei Jazz-Entfernten den Wunsch entfacht, mehr von ihr zu erfahren. In ihrer Person bündeln sich Urteile und Vorurteile über Jazz, lässt sich die Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen in den USA nachzeichnen, ja das ganze gesellschaftliche Leben Amerikas von den 30er bis zu den 50er Jahren kann an Hand von Billie Holidays leidvollen Erfahrungen wie unter einer Lupe betrachtet werden.
Man durfte also gespannt sein, welchen Weg der Lebensbeschreibung die britische Autorin Julia Blackburn in ihrer neuen Biographie von Billie Holiday einschlagen würde. Sie macht von Anfang an klar, dass sie mit einem gewichtigen neuen Pfund wuchern kann, das allerdings nicht Ergebnis ihrer eigenen Recherche ist: „Dankbare Anerkennung gebührt Linda Lipnack Kuehl, deren Forschungsergebnisse beim Schreiben dieses Buchs von unschätzbarem Wert gewesen sind.“ Der Schatz, von dem hier gleich zu Beginn die Rede ist, besteht aus 150 bis jetzt unveröffentlichten Tonband-Interviews, in den 70er Jahren von der inzwischen verstorbenen Ms. Kuehl durchgeführt.
Es treten unter anderem auf: Bobby Tucker, Pianist von Billie Holiday, Jimmy Fletcher, schwarzer Rauschgiftfahnder, der 1947 dabei war, als die Sängerin wegen Drogenbesitzes verhaftet wurde, Freddie Green, ein Jugendfreund, der Billie und ihrer Mutter half, als ihnen, sie wohnten noch in Baltimore, nur ein Zimmer in einem Bordell als Unterkunft zur Verfügung stand, und „Pony“ Kane, die sich mit Billie befreundete, als diese im Alter von neun Jahren als „Minderjährige ohne angemessene Betreuung und Obhut“ für ein Jahr in ein katholisches Erziehungsheim für farbige Mädchen eingewiesen wurde.
Diese Erinnerungen summieren sich zum nicht immer angenehmen Bild einer begnadeten Sängerin, die nie Gesangsstunden genommen hatte und dennoch begehrt war von den Großen der damaligen Jazzszene, von Teddy Wilson, Artie Shaw und Benny Goodman. Das waren die Glanzstunden der Sängerin; für die negativen Seiten, die sich unter die Überschrift „Sex and Drugs and Violence“ subsumieren lassen, finden sich ebenfalls genügend Zeitzeugen. Das Bild allerdings, das uns Julia Blackburn an Hand der von ihr zum ersten Mal ausgewerteten Interviews anbietet, bleibt widersprüchlich.
Das hängt zum Teil einfach damit zusammen, dass sich die Freunde, die Kollegen und die übrigen Befragten permanent widersprechen. Wer hat wann und wo Lady Day, so nannte sie Lester Young, bei Sessions begleitet? Oder: Ist Billie nun mit ihrem vermutlichen Vater Clarence Holiday, ebenfalls Musiker, zusammen aufgetreten, oder hat sie ihn strikt gemieden? Und wenn es gar um die Intimsphäre der Sängerin geht, dann gerät die Autorin endgültig auf schwankenden Boden. Lebte Lady Day ihre Bisexualität freimütig aus, wie einige behaupten? War sie Masochistin, die prügelnde Männer attraktiv fand? Und versuchte ihr Manager Joe Glaser – der gleiche, der auch Louis Armstrong sehr gewinnbringend „betreute“ – sie vor der Heroin-Sucht zu bewahren oder „verkaufte“ er sie an die Polizei und das Rauschgiftdezernat, denn beide brauchten unbedingt einen spektakulären Fall?
Man wünscht sich, Julia Blackburn hätte die Stränge mehr miteinander verwoben, und hätte vor allem auch ihre eigenen Schlussfolgerungen offengelegt. Uns zum Beispiel erläutert, wie viel Wahrheit in Holidays „Autobiographie“ steckt, die bereits 1956 von einem befreundeten Journalisten verfasst wurde. So manches Mal muss man Biographen zu mehr Zurückhaltung raten, hier wünscht man sich im Gegenteil ein stärkeres ordnendes Eingreifen.
Am 17. Juli 1959 starb Billie Holiday, sie war 44 Jahre alt. Wer hat die wohl bedeutendste Jazz-Sängerin der Welt auf dem Gewissen? Sie wurde gejagt von den Behörden, weil sie anklagende Lieder vortrug wie den Anti-Lynch Song „Strange Fruit“. Sie war ein Opfer der Rassentrennung im Norden und des offenkundigen Rassismus im Süden, sie war allerdings auch ein „Opfer“ ihres eigenen tollkühnen Lebens. Das lernt man aus Julia Blackburns Biographie, man lernt allerdings auch, dass eine „große“ Lebensbeschreibung der Lady Day noch aussteht.
Rezensiert von Maximilian Preisler.
Julia Blackburn: Billie Holiday
Aus dem Englischen von Barbara Christ.
Berlin Verlag 2006, 380 Seiten, 24,90 Euro