Wider die Zwangsfolklorisierung
Das Projekt "Romanistan. Crossing Spaces in Europe" befasst sich in Berlin mit der Kunst und Kultur der Roma. Über die "Ethno-Nische" hinaus soll eine Plattform geschaffen werden für eine weit in die Gesellschaft hineinreichende Entfaltung von Musikern, Dichtern oder bildenden Künstlern.
Mit ihrer Ablehnung ausschweifenden Konsums und dem Respekt vor der Natur, den Alten und auch ihren Kindern, vor allem aber mit ihrem Credo der Musik und des Tanzes anstelle von Krieg und Gewalt könnten die Roma ganz Europa einen Weg weisen aus der Krise. Davon ist Ismet Jasarevic überzeugt. Allerdings sieht der Direktor des Belgrader "Zentrums für Unterstützung und Integration der Roma" Probleme bei der praktischen Umsetzung dieser Einsichten, die er seit vielen Jahren auf Sommerseminaren vorträgt. Der serbische Musiker und Dichter wies bei der Vorbereitungskonferenz für das Berliner Projekt "Romanistan. Crossing Spaces in Europe" darauf hin, dass die Ergebnisse solcher Veranstaltungen nur selten in die Tat umgesetzt werden.
Dass "Romanistan" möglich ist, hat Rahim Burhan bewiesen, als er Anfang der 90er-Jahre in Mülheim an der Ruhr, dann in Düsseldorf und Köln das Theater Roma Pralipe aufgebaut und geleitet hat: Für die Bühne hat er spezifische Zeichen und Symbole der eigenen Kultur "ausgegraben", um sie dann durch moderne Ausdrucksmittel einem europäischen Publikum zu vermitteln – obwohl auf der Bühne immer nur Romanes gesprochen wurde. Ein erfolgreiches Experiment – das sein Ende fand, als das Land Nordrhein-Westfalen vor einigen Jahren die Förderung einstellte. Darüber zu lamentieren wäre müßig, meint der Bildhauer und Biennale-Künstler André Raatzsch – der in Berlin lebende Ungar analysiert stattdessen ganz nüchtern die Lage, das Verhältnis der Sinti und Roma zur offiziellen Kulturpolitik:
"Wenn man ein Theater gründen möchte, können Roma nicht einfach ein Theater eröffnen, was mit der zeitgenössischen Theaterkunst, dem aktuellen Theaterdiskurs zu tun hat. Muss das überhaupt ein roma-orientiertes Theater sein? Es gibt aber keine andere Möglichkeit, das zu finanzieren, nur wenn man sagt: Das ist ein Roma-Theater. Ich denke, da muss man auch auf politischer Ebene nachdenken und überlegen, was man damit hervorruft: Ethno-Marketing, Ethno-Business."
Genau über diese "Ethno-Nische" hinaus soll das "Romanistan"-Projekt eine Plattform bieten für eine weit in die Gesellschaft hineinreichende Entfaltung von Musikern, Dichtern oder bildenden Künstlern mit Sinti- oder Roma-Hintergrund. Für Slavisa Markovic, einen der Initiatoren des selbstorganisierten Roma Aether Klub Theaters in Berlin, ergeben sich dabei allerdings "strukturelle Hindernisse" durch Unterordnung unter externe Verwaltungsapparate. Vor allem aber fürchtet der Theatermacher, dass mit dieser Institutionalisierung kulturelle Zuschreibungen einhergehen, die zwar gut gemeint sein können – aber eben von außen kommen. André Raatzsch hält dagegen:
"Dass die Kultur verschiedene Instrumente und Institutionen benötigt, Folklore von zeitgenössischer Kunst, lokale von zentraler, europäischer Kunst einmal zu trennen, aber im nächsten Moment auch anzunähern. Ich denke, wenn wir das auf Roma-Kultur übertragen würden, dann müssten wir verstehen, dass die Klischees sich immer wieder selbst hervorrufen, weil diese Instrumente und Institutionen fehlen."
Als ein Instrument dieser Sichtung und damit auch einer selbstkritischen Würdigung von Roma-Kunst begreift Moritz Pankok seine Galerie Kai Dikhas: Selbst kein Roma, hat der Kunstwissenschaftler nach seiner Arbeit im Theater Pralipe seine Kontakte zu Roma und Sinti ausgebaut, bietet ihnen in Berlin mehr als nur eine Ausstellungsgelegenheit. Pankok begreift ihre Arbeiten als Akt des Widerstands gegen Falschdarstellungen in den Medien – und er selbst lehnt ohne Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeit der Künstler jeden "vorfabrizierten Blick" ab, hat deshalb beispielsweise einen Fotografen, den er ästhetisch überzeugend fand, am Ende doch zurückgewiesen.
Mit ganz anderen "Diskursen", mit den nackten Mechanismen des Marktes und der Macht sah sich der ehemalige Underground-Musiker Georgel Caldararu in Rumänien konfrontiert, wo selbst die Punk-Szene nicht frei war von Anti-Ziganismus: Die aus der Roma-Kultur heraus entwickelte und anfangs aus Protest gegen die Ceausescu-Diktatur gespielte Manele-Musik wird neuerdings mit einem Virus im Internet blockiert, nachdem sie zuvor vom Geheimdienst Securitate unterdrückt und von der rumänischen "Schlager-Mafia" instrumentalisiert worden ist. Dahinter steht, was André Raatzsch auch im westlichen Europa beobachtet – die kommerzielle "Zwangsfolklorisierung":
"Selbst zu den Roma-Minderheiten zugehörige Familien identifizieren sich durch die Medien neu. Andererseits: Auch wenn in den Museen die alten Bilder von Roma aus kolonialistischen Zeiten auftauchen, müssen die Roma ganz genau kommunizieren, wie man sich heute in Europa vorstellen möchte – wie möchte man heute gesehen werden?"
Eben dies, die eigene kulturelle Identität, möchte niemand staatlichen Institutionen überlassen. Und so beantwortet sich die entscheidende Frage eigentlich von selbst: Soll das fiktive "Romanistan" Teil einer nationalen Kultur werden, im Behördendeutsch also für "Integration" stehen – oder werden in diesem Projekt Sinti und Roma mit je eigenen künstlerischen Produktions- und Ausdrucksweise Europas Grenzen überwinden?
Dass "Romanistan" möglich ist, hat Rahim Burhan bewiesen, als er Anfang der 90er-Jahre in Mülheim an der Ruhr, dann in Düsseldorf und Köln das Theater Roma Pralipe aufgebaut und geleitet hat: Für die Bühne hat er spezifische Zeichen und Symbole der eigenen Kultur "ausgegraben", um sie dann durch moderne Ausdrucksmittel einem europäischen Publikum zu vermitteln – obwohl auf der Bühne immer nur Romanes gesprochen wurde. Ein erfolgreiches Experiment – das sein Ende fand, als das Land Nordrhein-Westfalen vor einigen Jahren die Förderung einstellte. Darüber zu lamentieren wäre müßig, meint der Bildhauer und Biennale-Künstler André Raatzsch – der in Berlin lebende Ungar analysiert stattdessen ganz nüchtern die Lage, das Verhältnis der Sinti und Roma zur offiziellen Kulturpolitik:
"Wenn man ein Theater gründen möchte, können Roma nicht einfach ein Theater eröffnen, was mit der zeitgenössischen Theaterkunst, dem aktuellen Theaterdiskurs zu tun hat. Muss das überhaupt ein roma-orientiertes Theater sein? Es gibt aber keine andere Möglichkeit, das zu finanzieren, nur wenn man sagt: Das ist ein Roma-Theater. Ich denke, da muss man auch auf politischer Ebene nachdenken und überlegen, was man damit hervorruft: Ethno-Marketing, Ethno-Business."
Genau über diese "Ethno-Nische" hinaus soll das "Romanistan"-Projekt eine Plattform bieten für eine weit in die Gesellschaft hineinreichende Entfaltung von Musikern, Dichtern oder bildenden Künstlern mit Sinti- oder Roma-Hintergrund. Für Slavisa Markovic, einen der Initiatoren des selbstorganisierten Roma Aether Klub Theaters in Berlin, ergeben sich dabei allerdings "strukturelle Hindernisse" durch Unterordnung unter externe Verwaltungsapparate. Vor allem aber fürchtet der Theatermacher, dass mit dieser Institutionalisierung kulturelle Zuschreibungen einhergehen, die zwar gut gemeint sein können – aber eben von außen kommen. André Raatzsch hält dagegen:
"Dass die Kultur verschiedene Instrumente und Institutionen benötigt, Folklore von zeitgenössischer Kunst, lokale von zentraler, europäischer Kunst einmal zu trennen, aber im nächsten Moment auch anzunähern. Ich denke, wenn wir das auf Roma-Kultur übertragen würden, dann müssten wir verstehen, dass die Klischees sich immer wieder selbst hervorrufen, weil diese Instrumente und Institutionen fehlen."
Als ein Instrument dieser Sichtung und damit auch einer selbstkritischen Würdigung von Roma-Kunst begreift Moritz Pankok seine Galerie Kai Dikhas: Selbst kein Roma, hat der Kunstwissenschaftler nach seiner Arbeit im Theater Pralipe seine Kontakte zu Roma und Sinti ausgebaut, bietet ihnen in Berlin mehr als nur eine Ausstellungsgelegenheit. Pankok begreift ihre Arbeiten als Akt des Widerstands gegen Falschdarstellungen in den Medien – und er selbst lehnt ohne Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeit der Künstler jeden "vorfabrizierten Blick" ab, hat deshalb beispielsweise einen Fotografen, den er ästhetisch überzeugend fand, am Ende doch zurückgewiesen.
Mit ganz anderen "Diskursen", mit den nackten Mechanismen des Marktes und der Macht sah sich der ehemalige Underground-Musiker Georgel Caldararu in Rumänien konfrontiert, wo selbst die Punk-Szene nicht frei war von Anti-Ziganismus: Die aus der Roma-Kultur heraus entwickelte und anfangs aus Protest gegen die Ceausescu-Diktatur gespielte Manele-Musik wird neuerdings mit einem Virus im Internet blockiert, nachdem sie zuvor vom Geheimdienst Securitate unterdrückt und von der rumänischen "Schlager-Mafia" instrumentalisiert worden ist. Dahinter steht, was André Raatzsch auch im westlichen Europa beobachtet – die kommerzielle "Zwangsfolklorisierung":
"Selbst zu den Roma-Minderheiten zugehörige Familien identifizieren sich durch die Medien neu. Andererseits: Auch wenn in den Museen die alten Bilder von Roma aus kolonialistischen Zeiten auftauchen, müssen die Roma ganz genau kommunizieren, wie man sich heute in Europa vorstellen möchte – wie möchte man heute gesehen werden?"
Eben dies, die eigene kulturelle Identität, möchte niemand staatlichen Institutionen überlassen. Und so beantwortet sich die entscheidende Frage eigentlich von selbst: Soll das fiktive "Romanistan" Teil einer nationalen Kultur werden, im Behördendeutsch also für "Integration" stehen – oder werden in diesem Projekt Sinti und Roma mit je eigenen künstlerischen Produktions- und Ausdrucksweise Europas Grenzen überwinden?