Wider die Dummheit

Was wir im Social-Media-Zeitalter von Dietrich Bonhoeffer lernen können

04:35 Minuten
Zwei Hände tippen auf einem Smartphone
Der Algorithmus biete uns an, was wir kennen, schon glauben, fühlen und was uns vertraut ist, sagt Sineb El Masrar © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Von Sineb El Masrar |
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Die Algorithmen in den Sozialen Medien machen uns dumm, sagt die Autorin Sineb El Masrar. Schon Dietrich Bonhoeffer beschrieb geistige Trägheit als Kern der Dummheit – und zeigte Wege, sie zu überwinden.
Wer an Dummheit denkt, denkt in der Regel an fehlenden Verstand. Doch Dummheit ist kein Mangel an Verstand, sondern der Verzicht darauf, den eigenen Verstand auch zu benutzen.
Der protestantische Theologe Dietrich Bonhoeffer, der 1944 seinen Widerstand gegen die Nationalsozialisten mit seinem Leben bezahlen 
musste, schrieb, Dummheit sei gefährlicher als die Bosheit. Warum? Weil die Dummen sich nicht widerlegen lassen. Nicht aus Trotz, sondern aus geistiger Trägheit. Weil sie zu bequem sind, Dinge zu hinterfragen und sich selbst ein Urteil zu bilden.

Eine Empörungswelle jagt die nächste

Achtzig Jahre nach Bonhoeffers Hinrichtung müssen wir feststellen: Diese Trägheit ist nicht verschwunden. Sie hat nur ein neues Betriebssystem bekommen in Form der Algorithmen in den sozialen Medien.

Denn heute leben wir in einer Zeit, wo eine Empörungswelle die nächste jagt. Die Empörung ist zu einer Reflexbewegung geworden. Andauernd scrollen wir, reagieren auf Postings, Schlagzeilen und Gesten, bevor wir überhaupt darüber nachgedacht haben. Wir reagieren und teilen, noch bevor wir prüfen. Wir wiederholen Parolen, die uns bestätigen, statt Fragen zu stellen.
Die Plattformen nutzen wir immer mehr zur hetzerischen Spaltung. Wir glauben Widerstand zu leisten gegen Antidemokraten und erreichen das Gegenteil mit der täglichen Empörung in alle mögliche Richtungen. Und so verstärken wir alles, was laut ist und nicht selten dumm. Jüngstes Beispiel: Die Empörung um Friedrich Merz Aussage über das Stadtbild. Peinliche Aussage, keine Frage. Aber die reflexartigen Reaktionen verstärkten nur die extremen Ränder. 

Menschen werden nicht dumm geboren

Bonhoeffer hätte diese Mechanismen erkannt. Denn Dummheit, so schrieb er, sei ein kollektives Phänomen. Die Menschen werden nicht dumm geboren. Sie werden durch Verführung dumm gemacht  durch verlockende, weil sehr bequeme Angebote, das Denken den anderen zu überlassen. Die „anderen“ – das sind heute Trends, denen wir folgen, und diverse Lager, denen wir uns jeweils zuordnen und die sich erbittert bekämpfen. 
Hierbei ist der Algorithmus Verbündeter unserer eigenen mentalen Bequemlichkeit. Denn er bietet uns an, was wir kennen, schon glauben, fühlen und was uns vertraut ist. Warum sich also die Mühe des Nachdenkens machen, wenn es so einfach ist, sich in den eigenen Überzeugungen bestätigen zu lassen? Geschweige denn Zweifel zuzulassen, wenn die unreflektierte Empörung mental zum Dopaminkick führt.

Nicht Empörungsimpuls wählen, sondern Gespräch und Neugier am Gegenüber

Genau hier ist der zivile Widerstand gefragt! Beim Denken! Nicht als akademisches Glasperlenspiel, sondern als tagtägliche Praxis. Denken kann die leise und wirksamste Form des Aufstehens sein. Indem wir uns nicht auf eine Seite schlagen. Nicht den Empörungsimpuls wählen, sondern das Gespräch und die Neugier am Gegenüber wählen. In unserem direkten familiären und beruflichen Umfeld.

Kurz in unserem Alltag Demokratie und Freiheit leben und somit spaltende Parteien unsere Stimme verweigern. Sich nicht abwenden, wenn das Gegenüber etwas sagt, was den eigenen Werten zuwider ist. Das Gegenüber einladen sich auch in sein Gegenüber und seine Werte hineinzuversetzen.
Das macht deutlich: Denken heißt, sich zu bewegen und sich nicht irgendwohin bewegen zu lassen. Seine Gefühle zu reflektieren, einzuordnen und Widersprüche gelten zu lassen. Den Algorithmus nicht über uns bestimmen zu lassen. Geistig beweglich und neugierig zu bleiben. Nicht um sich über andere zu erheben. Sondern um besser miteinander leben zu können und um Frieden und Freiheit zu wahren.

Bonhoeffer hat erkannt: Widerstand beginnt im Kopf! Für uns beginnt er vielleicht in dem Moment, indem wir alle weniger aufgeregt auf den „Teilen“-Button klicken und Parolen nachplappern.

Sineb El Masrar ist Herausgeberin und Chefredakteurin der multikulturellen feministischen Zeitschrift „Gazelle“ und Autorin zahlreicher Bücher zum Islam. 

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