Wichtigtuerisches Weltschmerztheater

Von Christoph Leibold · 23.06.2013
Depression, Lebensüberdruss und Langeweile stehen im Zentrum dieser ganz und gar unlustigen Bearbeitung von "Leonce und Lena" in München. Calixto Bieitos Büchner-Kollage trieft vor Schwermut und einseitiger Larmoyanz.
In "Leonce und Lena" hat Georg Büchner sein fatalistisches Weltbild in eine Lustspielhandlung verpackt. Prinz Leonce vom Reiche Popo und Prinzessin Lena vom Reiche Pipi sollen miteinander verheiratet werden. Beide fliehen ihr Zuhause, um der arrangierten Ehe zu entgehen, und laufen einander doch geradewegs in die Arme, verlieben sich. Der Mensch entgeht seinem Schicksal nicht.

Regisseur Calixto Bieito verzichtet auf diese Handlung. Er hat für seine gewollt wirkungsbewusste Bearbeitung einzelne Passagen aus dem Stück herausgelöst, alsdann die Bruchstücke umgestellt und mit anderen Texten aus Büchners Werk – etwa aus dem Drama "Dantons Tod", der Erzählung "Lenz" oder aus Briefen – zu einer Kollage komponiert. Es ist der Versuch, eine reine Autorenstimme aus dem Gesamtwerk zu filtern, die – verteilt auf fünf Darsteller ohne feste Rollenzuschreibungen – von Depression, Lebensüberdruss und Langeweile erzählt, also von dem, was Bieito mit dem Untertitel seiner ganz und gar unlustigen Lustspiel-Bearbeitung als "Dunkle Nacht der Seele" beschreibt.

Mondscheinkaltes Licht beleuchtet schwach die Szenerie, Nebelschwaden ziehen hinweg über eine apokalyptische Landschaft aus schwarzer Plastikplane, die zerknitterte Wellen wirft wie ein gespenstischer Acker. Dann wird ein Teil der Plane an Seilen emporgezogen, bis er sich als nachtschwarzer Himmel über der Bühne wölbt, während sich die fünf Schauspieler singend aus der Dunkelheit lösen.

Begleitet werden sie von drei Live-Musikern mit Geige, Cello und Flügel, die auch weite Strecken der Aufführung mit düsteren Klängen untermalen. Die Lieder der Schauspieler, die zwischen den Büchner-Originaltext montiert sind, hat die spanische Songschreiberin Maika Makovski eigens für die Inszenierung geschrieben: schwermütige Balladen, dem Bombast-Pop eines Nick Cave ähnlich, nicht ohne Reiz, aber letztlich pathossatter, als es dem ohnehin vor Schwermut triefenden Abend gut tut.

Natürlich findet sich viel Material im Werk Büchners, das Bieitos Interpretation stützt. Das eigentliche Faszinosum aber - dass nämlich Büchner ein politischer Geist war, der die Welt wider seine letztlich nihilistische Lebensanschauung verändern wollte - bleibt völlig ausgeklammert. Bieito begnügt sich mit seiner einseitig larmoyanten Lesart. Und so entpuppt sich, was im Programmheft gewichtig als "Kompendium der Schlüsselmomente in der Vision eines Autors" verkauft wird, als wichtigtuerisches Weltschmerztheater, in dem mit großer theatralischer Geste am Leben verzweifelt wird; und das doch so kalt lässt wie das Mondlicht, das die Bühne über anderthalb ärgerliche Stunden bescheint.