"Wichtiger Schritt für deutsch-polnische Aussöhnung"
Der Besuch von Papst Benedikt XVI. in Polen war nach Auffassung des polnische Historikers Robert Zurek ein historisches Ereignis. Zurek zollte dem Papst für sein Auftreten im Nachbarland und für seinen Auschwitz-Besuch hohen Respekt. Benedikt habe die schwierige Aufgabe souverän gelöst, indem er die Polen ernst genommen habe, ohne mit zu großer Demut aufzutreten, sagte Zurek.
Jürgen König: "Als Sohn des deutschen Volkes" hat Papst Benedikt XVI. gestern in Auschwitz einen Aufruf zur Versöhnung an alle Menschen gerichtet. Er sei "an den Ort des Grauens, einer Anhäufung von Verbrechen gegen Gott und die Menschen ohne Parallele in der Geschichte gekommen, um die Gnade der Versöhnung zu erbitten - von Gott zuerst, der allein unsere Herzen auftun und reinigen kann, von den Menschen, die hier gelitten haben, und schließlich die Gnade der Versöhnung für alle, die in dieser unserer Stunde der Geschichte auf neue Weise unter der Macht des Hasses und der vom Hass geschürten Gewalt leiden". Ein deutscher Papst in Auschwitz, gekommen, um - wie er sagte - dafür zu beten, dass die Wunden des letzten Jahrhunderts verheilen. - Wir wollen sprechen über diesen Papst-Besuch in Polen mit dem Historiker Dr. Robert Zurek, der sich intensiv mit den deutsch-polnischen Beziehungen auseinander gesetzt hat, und dabei insbesondere mit der Rolle, die die Kirchen dabei gespielt haben. Herr Zurek, einen guten Morgen.
Robert Zureck: Guten Morgen.
König: Ein deutscher Papst in Auschwitz, das ist eine Aufgabe, bei der man sehr viele Fehler machen kann. Hat Benedikt XVI. die Aufgabe bewältigt?
Zureck: Es war in der Tat eine sehr schwierige Aufgabe, und Benedikt war sich dessen bewusst. Sein erster Satz seiner Rede in Auschwitz lautete in ungefähr: Am liebsten würde ich hier schweigen. Da hat er natürlich doch geredet, und es war - wie ich finde - eine bewegende Rede, eine sehr persönliche Rede. Er hat natürlich in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der katholischen Kirche gesprochen, aber ich hatte den Eindruck, er spricht vor allem für sich, für Joseph Ratzinger, als Zeitzeuge, als ein Mensch, der von dem Bösen in Auschwitz sehr betroffen ist. Die Erwartungen waren natürlich enorm. Und auch sein Zuhörerkreis war sehr differenziert. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass der Papst nicht nur Lob, sondern auch Kritik ernten kann.
König: Wofür?
Zureck: Na ja, also ich weiß nicht, ob sich die jüdischen Kreise mit seiner theologischen Interpretation des Holocaust anfreunden können. Da muss man die Reaktion der jüdischen Kommentatoren abwarten. Und, also ich freue mich natürlich als Pole, dass er Auschwitz nicht nur auf den Holocaust reduziert hat. Also es war vor allem die Stätte der Shoa. Aber die slawischen Mitopfer der Nazi-Herrschaft haben ein Problem damit, dass sie im Bewusstsein der westlichen öffentlichen Meinung zunehmend nicht als Mitopfer anerkannt werden. Der Papst hat aber ihre Opferrolle sehr stark akzentuiert. Das hat die Menschen in Polen natürlich gefreut.
Andererseits würde ich mir doch wünschen, dass er die Leiden der Juden etwas stärker akzentuiert. Das hat er - also er hat sie natürlich akzentuiert, aber nicht so stark, wie ich mir das gewünscht hätte. Andererseits muss man natürlich erkennen, dass er dort nicht als Repräsentant des deutschen Volkes gesprochen hat, sondern als Oberhaupt der katholischen Kirche. Und als solcher steht er in einer gewissen Tradition. Und da hat Johannes Paul im Jahr 2000 sowohl in Israel als auch in Rom im Rahmen des Schuldbekenntnisses deutliche Worte gefunden ...
König: ... die ja auch die polnische Bischofskonferenz übernommen hat, wenn ich das richtig erinnere, im Jahr 2000.
Zureck: Das stimmt. Ja.
König: Mein Eindruck war, dass die Polen Benedikt XVI. von Anfang an sehr begeistert zugejubelt haben und dass diese Begeisterung sich dann immer noch weiter gesteigert hat. Ist dieser Eindruck zutreffend? Und gleich noch eine Frage dazu: War das ein großer Schritt aus polnischer Sicht, auf dem Weg zum, ja, zu einer weiteren Verbesserung der deutsch-polnischen Versöhnung?
Zureck: Also die freundliche Aufnahme ist in der Tat beeindruckend. Wobei man dazu sagen muss, dass schon die Wahl Benedikts zum Papst in Polen viel positiver als in Deutschland aufgenommen wurde. Aber es war natürlich die Gefahr vorhanden, dass Ratzinger mit dieser Reise einiges kaputtmacht, weil die Erwartungen sehr groß waren. Ich glaube ...
König: … und der verstorbene Johannes Paul II. noch überdimensioniert in den Köpfen und den Herzen ...
Zureck: Das stimmt, das war eine Ur-Identifikationsfigur für alle Polen. Aber Ratzinger hat diese Aufgabe sehr souverän gelöst. Also ich war wirklich beeindruckt. Also, was das Wichtigste war für die Polen, war, glaube ich, dass er sie sehr ernst genommen hat. Also was die Polen am meisten, glaube ich, stört in ihrer Wahrnehmung durch den Westen, ist etwas, was ich eine Mischung von Ignoranz und Arroganz nenne. Also dass man über Polen sehr wenig weiß, dass man mit Stereotypen und Vorurteilen agiert, aber dennoch der Meinung ist, die Polen belehren zu können und über sie urteilen zu können. Also Benedikt ist mit einer großen Demut aufgetreten und - wie gesagt - er hat seine Zuhörer sehr ernst genommen. Aber andererseits, er hat sich an sie nicht angebiedert. Und er hat gar nicht versucht, Johannes Paul zu imitieren. Er war er selbst, und das hat die Menschen sehr beeindruckt.
König: Das Thema "deutsch-polnische Versöhnung" ist, glaube ich, in Polen ein sehr viel größeres Thema als bei uns. Stimmt das?
Zureck: Ja. Da gibt es eine unglaubliche Asymmetrie. Für viele Polen war dieser Besuch als ein Schritt zur Vollendung der deutsch-polnischen Aussöhnung. In Deutschland wird das nicht unbedingt so aufgenommen. Aber ich glaube, es steckt auch eine gewisse Gefahr dahinter - also hinter dieser polnischen Überzeugung, Benedikt sei ein Repräsentant des deutschen Volkes. Denn er wird in Deutschland nicht als solcher wahrgenommen. Und der Dialog beziehungsweise Trialog, der nach der polnischen Auffassung zwischen den Polen und Deutschen über Benedikt läuft, ist in Wirklichkeit ein Dialog zwischen den Polen und Benedikt. Das wird in Deutschland nicht so sehr wahrgenommen. Und wenn die Polen merken, dass die Kommunikation doch nicht so in diesem Dreieck läuft, dann wird es vielleicht ein böses Aufwachen geben.
König: Es hat viel Streit gegeben um den katholischen Sender "Radio Maryja" aus der, sagen wir ruhig, fundamentalistischen Diözese Thorn. Ich habe gelesen, es wurde so formuliert, dieser Sender habe antisemitische Hetze und fremdenfeindliche Parolen hoffähig gemacht - so stand es zum Beispiel in der FAZ. Der Vatikan hat "Radio Maryja" dafür scharf kritisiert, auf eine Kurskorrektur auch gedrängt. Dafür wiederum griffen Anhänger des Senders das Kirchenoberhaupt direkt an, haben ihm unterstellt seine Herkunft - also seine deutsche Herkunft - beeinträchtige ihn in seiner Amtsführung. Wie hat "Radio Maryja" den Besuch dieses Papstes jetzt kommentiert und wie ist der Papst seinerseits mit "Radio Maryja" umgegangen?
Zureck: "Radio Maryja" geht mit dem Papst positiv um. Also es gibt keine Angriffe auf ihn. Und diese Aussage, die Sie zitiert haben, die war eigentlich so gemeint: Na ja, der Papst kann das "Radio Maryja" nicht objektiv beurteilen, weil er als Deutscher natürlich auf eventuelle Vorwürfe, Verteidiger eines antisemitisches Radio … sehr sensibel ist. Aber es war kein direkter Angriff und es war zudem eine vereinzelte Stimme. Aber das "Radio Maryja" ist ein großes Problem innerhalb der polnischen Kirche. Das entscheidende Problem ist, dass es kein Radio der polnischen Kirche als solcher, also etwa der polnischen Bischofskonferenz, ist, sondern ein Radiosender eines katholischen Ordens. Und die katholischen Orden stehen unmittelbar dem Papst, also die polnischen Bischöfe haben keine Einflussmöglichkeiten. Ansonsten, also sie wollten schon seit Jahren diesen Sender disziplinieren, aber er steht nicht unter ihrer Jurisdiktion.
König: Und er gilt als regierungsnah, was das Ganze dann noch staatstragender macht, die Aussagen.
Zureck: Na ja, weil der Radiosender die Politik der Regierung unterstützt und die Regierungspolitiker werden da eingeladen und nehmen diese Einladung auch gerne an, weil sie dadurch die breite Zuhörerschaft des Radios erreichen können. Aber ich möchte doch mit der Feststellung polemisieren: Der Sender betreibt eine antisemitische Hetze. Also es gibt immer wieder antisemitische Akzente, das stimmt. Aber wenn ich "Hetze" höre, dann denke ich gleich an die Reichskristallnacht. Also so weit geht es wirklich nicht. Und man muss dazu sagen: Die Zuhörer des Radios, das sind vor allem ältere, schwach ausgebildete Menschen. Die Jugend ist auf die Rhetorik dieses Senders eigentlich immun. Es ist ein Problem innerhalb der polnischen Kirche, aber es soll nicht überbewertet werden.
König: Haben Sie den Eindruck, dass in Deutschland, vielleicht insbesondere in den deutschen Medien, der Eindruck entsteht, vielleicht sogar bewusst - ich will es nicht hoffen, aber nehmen wir es mal an - geschürt wird, die Polen seien ein Volk von Antisemiten? Durch übertriebene oder zumindest sehr intensive Berichterstattung über "Radio Maryja"?
Zureck: Da sprechen Sie mir aus der Seele. Ich habe schon den Eindruck, dass man nach allen Anzeichen des polnischen Antisemitismus sehr gerne - vielleicht zu gerne - sucht. Die Polen sind kein Volk von Antisemiten. Es gibt natürlich einen Antisemitismus in Polen, aber es ist eine Randerscheinung. Wenn Sie die politischen Wahlen in Polen verfolgen und feststellen, welchen Einfluss die Parteien bekommen beziehungsweise die Politiker, die offen mit antisemitischen Parolen agieren, dann würden Sie feststellen, dass es wirklich eine Randerscheinung ist.
Genauso ist es innerhalb des polnischen Katholizismus. Und wenn jemand der Meinung ist, dass die Polen - jetzt abgesehen von dem Antisemitismus - ein xenophobes, fremdenfeindliches Land ist, dann soll er sich ruhig die Bilder von dem Papst-Besuch anschauen. Also ein Papst in Polen, ein deutscher Papst wurde in Polen nicht nur von der jungen, sondern auch von der älteren Generation sehr freundlich aufgenommen - obwohl dieses ältere Generation noch ganz gut die Schrecken der Nazi-Herrschaft in Erinnerung hat.
König: Versuchen wir ein abschließendes Fazit dieses Besuches. War das ein historischer Besuch?
Zureck: Ich glaube schon, denn Johannes Paul war für die Polen wie gesagt eine Identifikationsfigur, aber es war sozusagen "unser" Papst und es stand die Frage offen, inwiefern wir hier … eine authentischen Suche nach einer moralischen Autorität zu tun haben, und inwiefern das alles sentimental und national bedingt ist. Der Besuch von Benedikt, der wie gesagt einerseits auf den Spuren von Johannes Paul war, andererseits aber sehr souverän er selbst geblieben ist, hat gezeigt, dass es etwas mehr … als ein Happening war - und auch im Hinblick auf die deutsch-polnische Versöhnung. Aber bei aller Skepsis glaube ich, dass sich das Deutschen-Bild der Polen zunehmend zum Positiven wandelt, und der Papst spielt da eine nicht geringe Rolle.
König: Der deutsche Papst hat Auschwitz besucht. Ein Gespräch mit dem polnischen Historiker Dr. Robert Zurek. Vielen Dank.
Zureck: Danke schön.
Robert Zureck: Guten Morgen.
König: Ein deutscher Papst in Auschwitz, das ist eine Aufgabe, bei der man sehr viele Fehler machen kann. Hat Benedikt XVI. die Aufgabe bewältigt?
Zureck: Es war in der Tat eine sehr schwierige Aufgabe, und Benedikt war sich dessen bewusst. Sein erster Satz seiner Rede in Auschwitz lautete in ungefähr: Am liebsten würde ich hier schweigen. Da hat er natürlich doch geredet, und es war - wie ich finde - eine bewegende Rede, eine sehr persönliche Rede. Er hat natürlich in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der katholischen Kirche gesprochen, aber ich hatte den Eindruck, er spricht vor allem für sich, für Joseph Ratzinger, als Zeitzeuge, als ein Mensch, der von dem Bösen in Auschwitz sehr betroffen ist. Die Erwartungen waren natürlich enorm. Und auch sein Zuhörerkreis war sehr differenziert. Deswegen kann ich mir vorstellen, dass der Papst nicht nur Lob, sondern auch Kritik ernten kann.
König: Wofür?
Zureck: Na ja, also ich weiß nicht, ob sich die jüdischen Kreise mit seiner theologischen Interpretation des Holocaust anfreunden können. Da muss man die Reaktion der jüdischen Kommentatoren abwarten. Und, also ich freue mich natürlich als Pole, dass er Auschwitz nicht nur auf den Holocaust reduziert hat. Also es war vor allem die Stätte der Shoa. Aber die slawischen Mitopfer der Nazi-Herrschaft haben ein Problem damit, dass sie im Bewusstsein der westlichen öffentlichen Meinung zunehmend nicht als Mitopfer anerkannt werden. Der Papst hat aber ihre Opferrolle sehr stark akzentuiert. Das hat die Menschen in Polen natürlich gefreut.
Andererseits würde ich mir doch wünschen, dass er die Leiden der Juden etwas stärker akzentuiert. Das hat er - also er hat sie natürlich akzentuiert, aber nicht so stark, wie ich mir das gewünscht hätte. Andererseits muss man natürlich erkennen, dass er dort nicht als Repräsentant des deutschen Volkes gesprochen hat, sondern als Oberhaupt der katholischen Kirche. Und als solcher steht er in einer gewissen Tradition. Und da hat Johannes Paul im Jahr 2000 sowohl in Israel als auch in Rom im Rahmen des Schuldbekenntnisses deutliche Worte gefunden ...
König: ... die ja auch die polnische Bischofskonferenz übernommen hat, wenn ich das richtig erinnere, im Jahr 2000.
Zureck: Das stimmt. Ja.
König: Mein Eindruck war, dass die Polen Benedikt XVI. von Anfang an sehr begeistert zugejubelt haben und dass diese Begeisterung sich dann immer noch weiter gesteigert hat. Ist dieser Eindruck zutreffend? Und gleich noch eine Frage dazu: War das ein großer Schritt aus polnischer Sicht, auf dem Weg zum, ja, zu einer weiteren Verbesserung der deutsch-polnischen Versöhnung?
Zureck: Also die freundliche Aufnahme ist in der Tat beeindruckend. Wobei man dazu sagen muss, dass schon die Wahl Benedikts zum Papst in Polen viel positiver als in Deutschland aufgenommen wurde. Aber es war natürlich die Gefahr vorhanden, dass Ratzinger mit dieser Reise einiges kaputtmacht, weil die Erwartungen sehr groß waren. Ich glaube ...
König: … und der verstorbene Johannes Paul II. noch überdimensioniert in den Köpfen und den Herzen ...
Zureck: Das stimmt, das war eine Ur-Identifikationsfigur für alle Polen. Aber Ratzinger hat diese Aufgabe sehr souverän gelöst. Also ich war wirklich beeindruckt. Also, was das Wichtigste war für die Polen, war, glaube ich, dass er sie sehr ernst genommen hat. Also was die Polen am meisten, glaube ich, stört in ihrer Wahrnehmung durch den Westen, ist etwas, was ich eine Mischung von Ignoranz und Arroganz nenne. Also dass man über Polen sehr wenig weiß, dass man mit Stereotypen und Vorurteilen agiert, aber dennoch der Meinung ist, die Polen belehren zu können und über sie urteilen zu können. Also Benedikt ist mit einer großen Demut aufgetreten und - wie gesagt - er hat seine Zuhörer sehr ernst genommen. Aber andererseits, er hat sich an sie nicht angebiedert. Und er hat gar nicht versucht, Johannes Paul zu imitieren. Er war er selbst, und das hat die Menschen sehr beeindruckt.
König: Das Thema "deutsch-polnische Versöhnung" ist, glaube ich, in Polen ein sehr viel größeres Thema als bei uns. Stimmt das?
Zureck: Ja. Da gibt es eine unglaubliche Asymmetrie. Für viele Polen war dieser Besuch als ein Schritt zur Vollendung der deutsch-polnischen Aussöhnung. In Deutschland wird das nicht unbedingt so aufgenommen. Aber ich glaube, es steckt auch eine gewisse Gefahr dahinter - also hinter dieser polnischen Überzeugung, Benedikt sei ein Repräsentant des deutschen Volkes. Denn er wird in Deutschland nicht als solcher wahrgenommen. Und der Dialog beziehungsweise Trialog, der nach der polnischen Auffassung zwischen den Polen und Deutschen über Benedikt läuft, ist in Wirklichkeit ein Dialog zwischen den Polen und Benedikt. Das wird in Deutschland nicht so sehr wahrgenommen. Und wenn die Polen merken, dass die Kommunikation doch nicht so in diesem Dreieck läuft, dann wird es vielleicht ein böses Aufwachen geben.
König: Es hat viel Streit gegeben um den katholischen Sender "Radio Maryja" aus der, sagen wir ruhig, fundamentalistischen Diözese Thorn. Ich habe gelesen, es wurde so formuliert, dieser Sender habe antisemitische Hetze und fremdenfeindliche Parolen hoffähig gemacht - so stand es zum Beispiel in der FAZ. Der Vatikan hat "Radio Maryja" dafür scharf kritisiert, auf eine Kurskorrektur auch gedrängt. Dafür wiederum griffen Anhänger des Senders das Kirchenoberhaupt direkt an, haben ihm unterstellt seine Herkunft - also seine deutsche Herkunft - beeinträchtige ihn in seiner Amtsführung. Wie hat "Radio Maryja" den Besuch dieses Papstes jetzt kommentiert und wie ist der Papst seinerseits mit "Radio Maryja" umgegangen?
Zureck: "Radio Maryja" geht mit dem Papst positiv um. Also es gibt keine Angriffe auf ihn. Und diese Aussage, die Sie zitiert haben, die war eigentlich so gemeint: Na ja, der Papst kann das "Radio Maryja" nicht objektiv beurteilen, weil er als Deutscher natürlich auf eventuelle Vorwürfe, Verteidiger eines antisemitisches Radio … sehr sensibel ist. Aber es war kein direkter Angriff und es war zudem eine vereinzelte Stimme. Aber das "Radio Maryja" ist ein großes Problem innerhalb der polnischen Kirche. Das entscheidende Problem ist, dass es kein Radio der polnischen Kirche als solcher, also etwa der polnischen Bischofskonferenz, ist, sondern ein Radiosender eines katholischen Ordens. Und die katholischen Orden stehen unmittelbar dem Papst, also die polnischen Bischöfe haben keine Einflussmöglichkeiten. Ansonsten, also sie wollten schon seit Jahren diesen Sender disziplinieren, aber er steht nicht unter ihrer Jurisdiktion.
König: Und er gilt als regierungsnah, was das Ganze dann noch staatstragender macht, die Aussagen.
Zureck: Na ja, weil der Radiosender die Politik der Regierung unterstützt und die Regierungspolitiker werden da eingeladen und nehmen diese Einladung auch gerne an, weil sie dadurch die breite Zuhörerschaft des Radios erreichen können. Aber ich möchte doch mit der Feststellung polemisieren: Der Sender betreibt eine antisemitische Hetze. Also es gibt immer wieder antisemitische Akzente, das stimmt. Aber wenn ich "Hetze" höre, dann denke ich gleich an die Reichskristallnacht. Also so weit geht es wirklich nicht. Und man muss dazu sagen: Die Zuhörer des Radios, das sind vor allem ältere, schwach ausgebildete Menschen. Die Jugend ist auf die Rhetorik dieses Senders eigentlich immun. Es ist ein Problem innerhalb der polnischen Kirche, aber es soll nicht überbewertet werden.
König: Haben Sie den Eindruck, dass in Deutschland, vielleicht insbesondere in den deutschen Medien, der Eindruck entsteht, vielleicht sogar bewusst - ich will es nicht hoffen, aber nehmen wir es mal an - geschürt wird, die Polen seien ein Volk von Antisemiten? Durch übertriebene oder zumindest sehr intensive Berichterstattung über "Radio Maryja"?
Zureck: Da sprechen Sie mir aus der Seele. Ich habe schon den Eindruck, dass man nach allen Anzeichen des polnischen Antisemitismus sehr gerne - vielleicht zu gerne - sucht. Die Polen sind kein Volk von Antisemiten. Es gibt natürlich einen Antisemitismus in Polen, aber es ist eine Randerscheinung. Wenn Sie die politischen Wahlen in Polen verfolgen und feststellen, welchen Einfluss die Parteien bekommen beziehungsweise die Politiker, die offen mit antisemitischen Parolen agieren, dann würden Sie feststellen, dass es wirklich eine Randerscheinung ist.
Genauso ist es innerhalb des polnischen Katholizismus. Und wenn jemand der Meinung ist, dass die Polen - jetzt abgesehen von dem Antisemitismus - ein xenophobes, fremdenfeindliches Land ist, dann soll er sich ruhig die Bilder von dem Papst-Besuch anschauen. Also ein Papst in Polen, ein deutscher Papst wurde in Polen nicht nur von der jungen, sondern auch von der älteren Generation sehr freundlich aufgenommen - obwohl dieses ältere Generation noch ganz gut die Schrecken der Nazi-Herrschaft in Erinnerung hat.
König: Versuchen wir ein abschließendes Fazit dieses Besuches. War das ein historischer Besuch?
Zureck: Ich glaube schon, denn Johannes Paul war für die Polen wie gesagt eine Identifikationsfigur, aber es war sozusagen "unser" Papst und es stand die Frage offen, inwiefern wir hier … eine authentischen Suche nach einer moralischen Autorität zu tun haben, und inwiefern das alles sentimental und national bedingt ist. Der Besuch von Benedikt, der wie gesagt einerseits auf den Spuren von Johannes Paul war, andererseits aber sehr souverän er selbst geblieben ist, hat gezeigt, dass es etwas mehr … als ein Happening war - und auch im Hinblick auf die deutsch-polnische Versöhnung. Aber bei aller Skepsis glaube ich, dass sich das Deutschen-Bild der Polen zunehmend zum Positiven wandelt, und der Papst spielt da eine nicht geringe Rolle.
König: Der deutsche Papst hat Auschwitz besucht. Ein Gespräch mit dem polnischen Historiker Dr. Robert Zurek. Vielen Dank.
Zureck: Danke schön.