Whistleblower in der Wissenschaft

Ausgedachte Experimente und gefakte Studien

Symbolbild Labor
Manche Experimente in der Forschung haben nur auf dem Papier stattgefunden. © imago/Westend61
Von Christine Westerhaus · 05.04.2018
Der Druck auf Wissenschaftler wächst und damit auch die Gefahr, dass erfundene Forschungsergebnisse publiziert werden. Doch wenn Wissenschaftler die Arbeit von Kollegen als Betrug entlarven, setzen sie auch ihre eigene Karriere aufs Spiel.
Die Meeresforschungsstation Kristineberg an der schwedischen Westküste. Am Eingang eines großen Labors steht eine kleine Gruppe von Biologen und wertet ein Experiment aus. Fredrik Jutfelt steht am Ende des Raums vor einem großen Aquarium. Darin tummeln sich Seeigel, Krebse, Muscheln und andere Meerestiere.
"Hier in Kristineberg haben wir jede Menge Experimente, in denen wir untersuchen, wie sich der Klimawandel und die Ozeanversauerung auf Fische auswirken. Das ist das, womit ich mich viel lieber beschäftige. Absolut!"
In den Monaten zuvor hatten Fredrik Jutfelt und seine Kollegin Josefin Sundin kaum Zeit für ihre Forschung. Die beiden mussten Beweise dafür sammeln, dass ein Experiment ihrer Kollegin so nicht stattgefunden haben kann.
"Es war Zufall, dass wir so eng neben unserer Kollegin gearbeitet haben und alles gesehen haben. Sonst hätten wir niemals herausgefunden, dass sie sich das Experiment in weiten Teilen nur ausgedacht hatte."

Whistleblower unter Beweislast

Jutfelt und Sundins Kollegin Oona Lönnstedt veröffentlicht 2016 eine Studie im renommierten Fachmagazin "Science". Angeblich konnte sie mit ihrem Experiment zeigen, dass Fischlarven ihre Feinde nicht mehr erkennen, wenn sie Mikroplastik ausgesetzt sind und dass sie die Kunststoffpartikel sogar lieber fressen, als echtes Futter. Medien auf der ganzen Welt berichten darüber.
Als Sundin und Jutfelt das Paper ihrer Kollegin lesen, sind sie völlig verblüfft. Die beiden Meeresforscher waren zur selben Zeit auf einer Forschungsstation auf der Insel Gotland, wo die Experimente angeblich stattgefunden haben. Sie nutzen damals dieselben Labore, wie ihre Kollegin und haben den Aufbau ihrer Versuche gesehen. In einem ganz ähnlichen Labor erinnert sich Josefin Sundin daran.
"Es war so, als hätte jemand einfach ein paar Bechergläser auf den Labortisch gestellt. Hier, solche! Mit Wasser und ein paar Fischen darin. In manchen viel Plastikpartikel, in anderen weniger. So sah das Experiment aus."
Josefin Sundin nimmt ihr Laborbuch in die Hand, das vor ihr auf dem Tisch liegt.
"Wir schreiben auch immer alles in unseren Laborbüchern auf und messen die ganze Zeit die Temperatur und den Sauerstoffgehalt im Wasser. Aber bei diesem Experiment war keine Kontrolle. Es war unklar, was da passiert. Und unsere Kollegin konnte auch kein Laborbuch vorzeigen."

Lauter Ungereimtheiten

Josefin Sundin und Fredrik Jutfelt entdecken weitere Ungereimtheiten. Ihre Kollegin hatte angeblich Verhaltensexperimente mit Hechten gemacht. Doch Sundin erinnert sich, dass die Forscher im betreffenden Sommer extreme Schwierigkeiten hatten, genügend Hechte für ihre Experimente zu fangen. Zudem war Oona Lönnstedt nur etwa zwei Wochen auf der Forschungsstation. Ihr angebliches Experiment hat jedoch drei Wochen gedauert. Doch als sich Sundin und Jutfelt an die Uppsala Universität wenden, an der ihre Kollegin angestellt ist, passiert nichts. Die Universität stellt das Verfahren nach kurzer Zeit ein. Die beiden Whistleblower sind fassungslos.
"Das war eine Katastrophe. Es war für uns völlig undenkbar, dass der Fall nicht weiter untersucht wird, wo wir doch so viele Beweise hatten. Wir waren schockiert!"
Nun steht auch der Ruf der Whistleblower auf dem Spiel.
"Es gab Gerüchte, dass es hier um einen persönlichen Konflikt ging. Dass wir nur neidisch auf unsere Kollegin sind und ihre Arbeit schlecht machen wollten. Aber so war es nicht."

Sie gelten als Nestbeschmutzer

So wie Josefin Sundin und Fredrik Jutfelt geht es vielen Whistleblowern in der Forschung. Sie gelten noch immer als Nestbeschmutzer. Und nur, wenn es um größere Skandale geht, interessiert sich die Öffentlichkeit für sie. "Jeder mag die Tatsache, dass es Whistleblower gibt, aber niemand kann sie leiden", hat es der US-amerikanische Forscher Uri Simonsohn formuliert.
2012 hat er dem Rotterdamer Sozialpsychologen Dirk Smeesters Datenmanipulation nachgewiesen. Dabei ist vor allem die Forschung darauf angewiesen, Tipps von Whistleblowern zu bekommen. Schließlich gibt es niemanden, der wissenschaftliche Experimente überprüft, sagt Joachim Heberle, Mitglied im Ombudsgremium für die Wissenschaft. An diesen Ausschuss können sich Wissenschaftler in Deutschland wenden, wenn sie einen Verdacht aus wissenschaftliches Fehlverhalten haben.
"Das ganze wissenschaftliche System basiert auf Vertrauen, das muss man immer noch sagen. Wir haben kein Wissenschaftsgesetz - aus guten Gründen gibt es das nicht, aber es gibt eben kein Gesetz und es gibt auch kein Gericht für uns."
Klar ist, dass der Druck auf Wissenschaftler in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist. Wer keine publizierbaren Daten produziert, muss seine Karriere schnell an den Nagel hängen. "Publish or perish", "veröffentliche oder geh unter", wie es im Forscherjargon heißt.
"Das kann man auch korrelieren, dass dort, wo ein stärkerer Druck, also ´publish or perish` Druck herrscht, dass dort auch die Gefahr des wissenschaftlichen Fehlverhaltens größer ist. Also ich glaube, das kann man schon feststellen. Also das hat was mit diesem Druck zu tun."

Zehn Monate auf der Suche nach Beweisen

Vielleicht ist auch Oona Lönnstedt der Versuchung erlegen, ihrer Karriere einen Kick zu verschaffen. Als sie Ende 2015 ihre Studie über Mikroplastik beim renommierten Fachmagazin "Science" einreicht, erlebt das Thema gerade einen Hype in der Forschung. Und auch die Medien interessieren sich sehr für dieses Umweltproblem. Wer in "Science" publizieren kann, hat das große Los gezogen. Und tatsächlich bekommt Oona Lönnstedt nach der Veröffentlichung große Summen an Forschungsgeldern bewilligt. Doch Josefin Sundin und Fredrik Jutfelt erwirken bei der zentralen Ethikprüfungskomission in Schweden, dass der Fall neu untersucht wird. Zehn Monate lang sind die Beiden jetzt fast nur damit beschäftigt, weitere Beweise zu liefern, die gegen ihre Kollegin sprechen.
"In diesen zehn Monaten hat uns das Thema rund um die Uhr beschäftigt. Bis wir Recht bekommen haben."
Oona Lönnstedts Studie wird schließlich als gefälscht entlarvt – wenig später zieht "Science" das Paper zurück. Josefin Sundin und Fredrik Jutfelt würden den gleichen Weg noch einmal gehen, sagen sie heute. Doch sie wären besser auf den Gegenwind vorbereitet, der Whistleblowern in der Forschung entgegen schlägt.
"Als Whistleblower hatten wir kaum etwas zu gewinnen, aber sehr viel zu verlieren. Das ist ganz klar ein Risiko."
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