When I’m 84

Von Cora Stephan · 18.03.2008
Ja, wir sind viele und wir werden immer mehr. Wir verfügen über Kaufkraft, Lebenserfahrung und gute Aussichten, steinalt zu werden. Deshalb nennt man über 50-Jährige neuerdings "Best Agers" und umschmeichelt sie als spendierfreudige Kunden, statt immer nur Hörgeräte und Rheumadecken anzubieten. Was bis vor kurzem noch eine weitgehend unsichtbare Altersgruppe war, ist heute überall präsent - und in der Werbung gern auch unbekleidet.
Toll, dieser neue Respekt vor dem Alter. Nervtötend, dieses allfällige Anbiedern. Überall Erinnerungsseliges und Hits aus den 60er, 70er und 80er Jahren im Seniorenradio. In Wirklichkeit unterscheidet sich die neue Aufmerksamkeit nicht von der früheren Nichtbeachtung: Älterwerden wird immer noch als Manko wahrgenommen.

Denn der Entdeckung der Älteren durch die Konsummärkte tritt eine ebenso auffällige Panikmache an die Seite. Die stetig steigende durchschnittliche Lebenserwartung gilt nicht als Geschenk, sondern als Bedrohung, die Journalisten auf eine schäbige Zukunft schließen lässt, in der einsame Greise ihre Rollatoren durch verödete Städte schieben.

"Wer pflegt mich, wenn ich alt bin?" titelt in Konkurrenz mit der Apothekenrundschau ein einst meinungsstarkes Wochenjournal, das seine Leser ein paar Wochen zuvor schon mit einem verstörenden Bericht über Alzheimerpatienten beglückt hat. Kurze Zeit später ein Titel, auf dem ein besorgt dreinschauendes Best-Ager-Paar in den Sonnenuntergang schaut, begleitet von der Zeile: "Kann ich von meiner Rente später leben?"

Kein Wunder, dass in einer Talkrunde übers Älterwerden ein junger, weniger als 30 Jahre alter Abgeordneter die richtigen Konsequenzen aus dem grassierenden Altenwahn zog: Er verkündete mit einsichtig gefaltetem Gesicht, schon heute jugendlicher Sünden zu entraten, damit aus ihm später mal ein gesunder Senior werde.

Meine Güte! Ist das normal, dass sich ein 30-Jähriger bereits Gedanken darüber macht, wie er in 50 Jahren dasteht? Dass Endfünfziger sich in der Seniorenresidenz vormerken lassen, über die barrierefreie Umgestaltung des Eigenheims nachdenken und das ehemalige Kinderzimmer schon mal für die Altenpflegerin umrüsten? Dass sich arbeitende Menschen vor Altersarmut fürchten, statt beizeiten etwas dagegen zu unternehmen?

Seit es üblich geworden ist, dieses oder jenes Problem als eines anzusprechen, das "alle angeht", werden hierzulande gern sämtliche Phänomene des Lebens, die statistisch erfassbar sind, zum allgemeinen Phänomen hochgerechnet. Die Menschen werden älter, aber statt dass uns die Aussicht freut, womöglich selbst ein langes Leben vor uns zu haben, grassiert die Angst vor Altersarmut und langem Siechtum vor dem entsprechend erbärmlichen Ableben.

Wer junge und nicht mehr ganz so junge Menschen fragt, wie hoch sie die Wahrscheinlichkeit einschätzen, selbst einmal zu diesen bemitleidenswerten Menschen zu gehören, nennen sie Zahlen, die in der Tat erschrecken lassen. Doch mit der heutigen und abzusehenden Realität haben diese Zahlen nichts zu tun – wohl aber mit dem schaurigen Bild, das vom Altern gezeichnet wird.

Es gibt Alterselend, gewiss. Und dennoch ist die Wahrscheinlichkeit weit größer, dass man glücklich und gesund lebt, bevor man stirbt. Ein paar Zahlen gefällig? Erst jenseits des 80. Lebensjahres nimmt das Risiko signifikant zu, krank und pflegebedürftig zu werden. Doch auch in dieser Altersklasse liegt das sogenannte Pflegerisiko noch immer bei weniger als 20 Prozent. Und selbst diese zweifellos starke Minderheit siecht keineswegs überwiegend im Pflegeheim vor sich hin, nach wie vor überwiegt die Pflege durch Angehörige. Auch die lange totgesagte Familie lebt also noch immer.

Was aber ist mit den restlichen 80 Prozent der über 80-Jährigen? Könnte es sein, dass sie sich weitgehend unbehindert ihres langen Lebens erfreuen? Könnte sein. Denn die politischen Probleme, die uns die demographische Entwicklung beschert, haben mit den individuellen Problemen des Älterwerdens fast nichts zu tun. Die Crux ist nicht das tatsächliche Drama des Alterns, sondern das deutsche Rentensystem, das einst unter anderen Voraussetzungen beschlossen wurde. Es den veränderten Umständen anzupassen, ist überfällig. Und private Vorsorge sollte den Menschen einleuchtend gemacht werden können, ohne Horrorszenarien zu bemühen.

Weit wichtiger aber ist es, worauf viele Untersuchungen hindeuten, dass Menschen eine Aufgabe haben, die Herz, Hirn und Muskeln beschäftigt. Warum man sie gesunden 65jährigen vollautomatisch nimmt, ist in dreifacher Hinsicht rätselhaft, entlastet Arbeit doch die Sozialsysteme, erhöht die spätere Rente und verringert jene Faktoren, die Menschen vorzeitig siechen lassen: Das Gefühl von Nutzlosigkeit und Langeweile. Was also spricht gegen eine Heraufsetzung des Rentenalters?

Die Frankfurter Publizistin und Buchautorin Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin. Von 1976 bis 1984 war sie Lehrbeauftragte an der Johann Wolfgang von Goethe Universität und Kulturredakteurin beim Hessischen Rundfunk. Von 1985 bis 1987 arbeitete sie im Bonner Büro des "Spiegel". Zuletzt veröffentlichte sie "Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte", "Die neue Etikette" und "Das Handwerk des Krieges".